Bezahlte Freistellung nach den Corona-Kita- und Schulschließungen (aktualisiert am 30. März 2020)

Was noch wenigen Wochen als weit entferntes Worst-Case-Szenario erschien, ist jetzt Realität geworden: Schulen und Kitas sind flächendeckend geschlossen. Viele Beschäftigte können ihrer Arbeitsverpflichtung wegen der Betreuung ihrer Kinder nicht mehr oder nicht mehr voll nachkommen. Muss der Arbeitgeber ihnen trotzdem das volle Gehalt bezahlen?


Neuer Erstattungsanspruch bei Kinderbetreuungskosten

Als Reaktion auf die Corona-Krise wurde eine Gesetzesänderung vorgenommen, nach der Eltern einen Entschädigungsanspruch erhalten, wenn sie wegen der notwendigen Betreuung ihrer Kinder einen Verdienstausfall erleiden. Der mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ neu eingefügte § 56 Abs. 1a IfSG sieht den Erstattungsanspruch unter folgenden Voraussetzungen vor:

  • die Betreuungseinrichtung oder die Schule wurde außerhalb der planmäßigen Schulferien von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten vorübergehend geschlossen;
  • das betreffende Kind hat das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet oder es ist behindert und auf Hilfe angewiesen;
  • es kann keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sichergestellt werden;
  • durch die Eigenbetreuung erleidet der erwerbstätige Sorgeberechtigte, der den Anspruch geltend machen möchte, einen Verdienstausfall.

Nach § 56 Abs. 2 IfSG beträgt die Entschädigung 67 % des Verdienstausfalls, der dem Sorgeberechtigten infolge der Betreuung seines Kindes entstanden ist, höchstens aber 2.016,00 EUR im Monat; sie kann für längstens sechs Wochen gewährt werden.

Die meisten Eltern und darunter insbesondere die Alleinerziehenden, die die Betreuung ihrer Kinder aufgrund der Kita- und Schulschließungen nicht anders als durch die eigene Betreuung sicherstellen konnten, werden durch den Entschädigungsanspruch demnach erheblich entlastet. Nach der überholten Rechtslage hatten sie lediglich gegebenenfalls einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung gegen ihren Arbeitgeber aus § 616 BGB. Dieser Anspruch ist aber mit viel Unsicherheit verbunden: Zum einen kann er vertraglich ausgeschlossen sein und zum anderen sichert er die Fortzahlung des Gehaltes ohnehin nur für eine sehr begrenzte Dauer. Der neue Erstattungsanspruch ist demgegenüber unabhängig von arbeitsvertraglichen Regelungen und die Entschädigung kann für sechs Wochen, damit erheblich länger beansprucht werden. Weiterhin gilt aber: Wenn die Betreuung beispielsweise durch Partner, andere Familienmitglieder oder die den in sog. systemrelevanten Berufen tätigen Eltern weiterhin zur Verfügung stehenden Betreuungsmöglichkeiten organisiert werden kann, besteht kein Anspruch.


Der Grundsatz:

Der Arbeitnehmer behält für kurze Zeit seinen Lohnanspruch.

Aus § 616 Satz 1 BGB ergibt sich, dass Beschäftigte ihres Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig werden, dass sie für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit ohne eigenes Verschulden an der Dienstleistung verhindert sind. Kann die Kinderbetreuung also tatsächlich nicht anders gewährleistet werden, kann ein Beschäftigter demnach also für kurze Zeit zuhause bleiben, der Arbeitgeber muss ihm grundsätzlich dennoch sein ungekürztes Gehalt zahlen. Wie lange der Gehaltsanspruch trotz ausbleibender Arbeitsleistung weiterbesteht, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist in einer Meldung vom 15. März 2020 von zwei bis drei, maximal aber fünf Tagen ausgegangen. Die Rechtsprechung ist in dieser Frage ebenfalls nicht eindeutig, häufig wird in diesem Zusammenhang auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt. Kann die Betreuung innerhalb dieses Zeitraums nicht anders organisiert werden und bleibt die Arbeitsleistung mit der Kinderbetreuung unvereinbar, beispielsweise weil eine Home Office-Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und dem Beschäftigten nicht möglich oder aber nicht durchführbar ist, bleibt dem Arbeitnehmer nur, sich Urlaub zu nehmen oder unbezahlt von der Arbeit freistellen zu lassen.

Wann dieser Grundsatz nicht gilt:

  • Ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung besteht nur dann, wenn der Beschäftigte eine Kinderbetreuung nicht anderweitig gewährleisten kann, etwa durch den Partner oder andere Familienmitglieder. Eltern in sog. systemrelevanten Berufen haben nach den jeweils einschlägigen landesrechtlichen Regelungen Anspruch auf eine Notbetreuung, damit sie ihrer Arbeit weiterhin nachgehen können (vgl. hierzu die für Berlin geltende Liste).
  • § 616 BGB kann durch Arbeits- oder Tarifvertrag modifiziert werden. Rechtlich zulässig ist sogar ein vollständiger Ausschluss. In Tarifverträgen können sich ebenfalls Regelungen für eine zeitlich begrenzte bezahlte Freistellung oder bezahlten Sonderurlaub finden (vgl. dazu das aktuelle Rundschreiben des BMI für den Bereich des öffentlichen Dienstes).

Die aktuelle Situation stellt Arbeitgeber und Beschäftigte gleichermaßen vor neue Herausforderungen. Sprechen Sie uns gern für Ihre individuelle Lösung an.

Coronavirus – was Arbeitgeber und Arbeitnehmer wissen müssen (aktualisiert am 30. März 2020)

Die Zahl der mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 Infizierten in Deutschland steigt, in Berlin sind Stand heute 15 Fälle bekannt. Für die meisten Menschen sind die Auswirkungen im öffentlichen Leben bislang nur hier und da spürbar: die öffentlichen Verkehrsmittel sind morgens nicht ganz so voll wie sonst, die Supermarktregale abends ebenfalls. Es wurden aber in Berlin bereits erste Schulen vorübergehend geschlossen. Einige Fragen, die sich für Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Falle einer weiteren Ausbreitung des Virus stellen werden, beantworten wir in diesem Artikel.

1. Wie können Präventivmaßnahmen des Arbeitgebers aussehen?

Noch dürften die wenigsten Betriebe durch bekannte Krankheitsfälle direkt betroffen sein. Aber: der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit gewährleisten und ihm möglich und zumutbar sind. Im Gegenzug sind die Arbeitnehmer gemäß §§ 15, 16 ArbSchG dazu verpflichtet, jede erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit unverzüglich dem Arbeitgeber zu melden und dessen arbeitsschutzrechtlichen Weisungen nachzukommen. Welche Maßnahmen im Bezug auf die Corona-Pandemie notwendig sind, kann zu diesem Zeitpunkt nicht mit Sicherheit gesagt werden. Sinnvoll und auch angezeigt ist jedoch die Erarbeitung betrieblicher Notfallpläne. Folgende Maßnahmen sind zu empfehlen:

  • Aufklärung der Arbeitnehmer über die Entstehung und die Symptome der Infektion;
  • Einführung verschärfter Hygienemaßnahmen in Unternehmen, beispielsweise: Hände häufig und gründlich waschen, Bereitstellen und Nutzen von Desinfektionsmitteln, Unterlassen des Händegebens zur Begrüßung, regelmäßiges Lüften geschlossener Räume;
  • Vertretungsregelungen und Priorisierung von Geschäftsabläufen für den Fall, dass Mitarbeiter punktuell ausfallen bzw. unter Quarantäne gestellt werden;
  • Prüfung, ob Homeoffice vereinbart und eingerichtet werden kann;
  • Arbeitnehmer danach befragen, ob sie in den letzten 14 Tagen mit infizierten und/oder mit Personen, die unter Infektionsverdacht stehen bzw. in gefährdeten Gebieten waren, in Kontakt standen;
  • Notfallpläne für den Fall behördlich angeordneter Betriebsschließungen (Information von Arbeitnehmern und Geschäftspartnern, Not- und Erhaltungsarbeiten, Gewährleistung des Zahlungsverkehrs, etc.)

2. Welche Möglichkeiten hat ein Arbeitgeber, dem infolge der Pandemie Umsatzeinbußen drohen?

Besonders kleine und mittelständische Unternehmen fürchten die wirtschaftlichen Auswirkungen einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus. Kommt es zu erheblichen Umsatzeinbußen wegen ausbleibender Kunden, zu Personalausfällen oder Lieferengpässen, hat ein Arbeitgeber die folgenden Möglichkeiten, um die wirtschaftlichen Folgen für seinen Betrieb zu mildern:

  • Der Arbeitgeber könnte den Betrieb vorübergehend schließen. Jedoch trägt er das Wirtschaftsrisiko sowie das Betriebsrisiko aus § 615 Satz 3 BGB, er bleibt den arbeitsfähigen und arbeitsbereiten Beschäftigten weiterhin zur Entgeltzahlung verpflichtet. Vom Wirtschaftsrisiko spricht man, wenn die Fortsetzung des Betriebs wegen Auftrags- oder Absatzmangels wirtschaftlich sinnlos wird. Unter dem Betriebsrisiko ist das Risiko des Arbeitgebers zu verstehen, seinen Betrieb nicht mit den zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln betreiben zu können. Die Gründe dafür können im Betrieb selbst begründet liegen, aber auch von außen auf Betriebsmittel wirkende Umstände fallen darunter – beispielsweise die Einstellung des Betriebes im Anschluss an eine behördliche Anordnung (vgl. LAG Düsseldorf vom 05.06.2003, 11 Sa 1464/02, BeckRS 2003 30458254). Ob, wie in Italien, Finanzspritzen für die Wirtschaft bereitgestellt werden, um Unternehmen in dieser Lage zu helfen, ist offen.
  • Besteht hierzu eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag, kann der Arbeitgeber auch berechtigt sein, Kurzarbeit anzuordnen. Ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage darf Kurzarbeit jedoch nicht lediglich im Wege des Direktionsrechts veranlasst werden. Die Arbeitnehmer sind im Falle der Kurzarbeit nicht schutzlos gestellt, denn sie können bei einem Arbeitsausfall mit Entgelteinbußen einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben. Ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld vorliegen, prüft die zuständige Agentur für Arbeit im Einzelfall. Die Bundesagentur für Arbeit hat bereits angekündigt, dass die Gewährung von Kurzarbeitergeld aufgrund von betrieblichen Schwierigkeiten infolge der weltweiten Ausbreitung von Corona grundsätzlich möglich ist. Es kann für eine Dauer von bis zu zwölf Monaten bewilligt werden und wird in derselben Höhe wie Arbeitslosengeld bezahlt.
  • Zwangsurlaub darf der Arbeitgeber dagegen nicht ohne weiteres anordnen. Zwar kann der Arbeitgeber bis zu 3/5 des Jahresurlaubs für Betriebsferien reservieren (BAG vom 28.07.1981, 1 ABR 79/79, NJW 1982, 959). Allerdings dürfte die Urlaubsplanung für das laufende Jahr bereits überwiegend erfolgt sein. Zudem unterliegt die Anordnung von Betriebsferien gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrates. Schließlich hat er dabei die Interessen der Arbeitnehmer ausreichend zu berücksichtigen. Ein Corona-Zwangsurlaub dürfte kaum in deren Interesse liegen und eher die Vermutung zulassen, dass der Arbeitgeber sein Betriebsrisiko auf die Beschäftigten abwälzen will.
  • Freizeitausgleich für Überstunden darf der Arbeitgeber dagegen anordnen, soweit hierzu keine abweichende Vereinbarung mit dem Betriebs- bzw. Personalrat besteht.

3. Haben Arbeitnehmer, die durch behördliche Anordnung unter Quarantäne stehen, einen Anspruch auf Lohnfortzahlung?

Hinsichtlich der Entgeltfortzahlung ist danach zu unterscheiden, ob ein Arbeitnehmer tatsächlich erkrankt ist oder ob er nur vorsorglich zur Verhütung von weiteren Erkrankungen unter Quarantäne gestellt wurde.

  • Arbeitnehmer, die infolge einer Infektion mit dem Coronavirus arbeitsunfähig erkrankt und somit an ihrer Arbeitsleistung verhindert sind, haben gemäß § 3 EFZG wie auch bei sonstigen Erkrankungen einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den Zeitraum von sechs Wochen. Nach diesem Zeitraum haben gesetzlich Krankenversicherte grundsätzlich Anspruch auf Krankengeld.
  • Arbeitnehmer, für die aus präventiven Gründen von einer Behörde ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen wurde oder die sogar unter Quarantäne gestellt worden sind, erhalten eine Entschädigung nach § 56 IfSG. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls vom Arbeitgeber ausgezahlt, die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet. Nach Ablauf von sechs Wochen zahlt der Staat die Entschädigung in Höhe des Krankengeldes weiter.

Hinweis: Auch Selbstständige bekommen eine Entschädigungszahlung; sie beträgt ein Zwölftel des Arbeitseinkommens des letzten Jahres vor der Quarantäne. Laut § 56 Abs. 4 IfSG erhalten Selbständige, die einen Betrieb oder Praxis haben, zudem Ersatz der in dieser Zeit weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang von der zuständigen Behörde.

4. Darf ein Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer nach Hause schicken, wenn er den Verdacht hegt, diese könnten mit Corona infiziert sein?

Corona ist hoch ansteckend, bereits ein einziger infizierter Arbeitnehmer könnte leicht weitere Arbeitnehmer infizieren und infolgedessen einen erheblichen Personalausfall verursachen. Zum Schutz der anderen Mitarbeiter und Kunden kann der Arbeitgeber berechtigt sein, möglicherweise ansteckende Beschäftigte nach Hause zu schicken. Dabei ist aber Vorsicht geboten: Es bedarf für ein solches Vorgehen objektivierbarer Indizien für eine bestehende Infektionsgefahr. Ist der Arbeitnehmer tatsächlich krank, so hat er den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Wird ein Arbeitnehmer nur wegen eines Verdachts nach Hause geschickt, ist aber völlig gesund, so hat er zeitlich unbegrenzt Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß § 615 BGB. Der Arbeitgeber ist demnach schlecht beraten, ein Beschäftigungsverbot aus präventiven Gründen selbst auszusprechen. Für diesen Fall besteht jedenfalls kein Anspruch auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz. Ob der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zum Betriebsarzt schicken darf, um zu klären, ob sie an Corona erkrankt sind, ist strittig. Teilweise wird eine solche Pflicht im Hinblick auf die nebenvertraglichen Rücksichtnahmepflichten des Arbeitnehmers aus § 241 Abs. 2 BGB bejaht. Da eine solche Pflicht zur Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung die Grundrechte der Arbeitnehmer nicht unerheblich berühren würde, wird sie bislang überwiegend abgelehnt.

5. Dürfen Arbeitnehmer aus Angst vor Ansteckung zuhause bleiben? Gibt es einen Anspruch darauf, vorsorglich vorübergehend im Homeoffice zu arbeiten?

Wenn der Kollege Anzeichen einer Infektion trägt oder der Beruf mit Kontakt zu fremden Menschen verbunden ist, stellt sich für einige Arbeitnehmer die Frage, ob sie nicht besser freiwillig zuhause bleiben sollten.

  • Im Arbeitsrecht gilt aber grundsätzlich: Ist ein Arbeitnehmer arbeitsfähig, hat er auch seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Ein allgemeines Recht, aus präventiven Gründen nicht zu arbeiten, gibt es – auch in Zeiten von Corona – nicht. Anderes könnte für besonders gefährdete Arbeitnehmer gelten, sie könnten sich unter Umständen auf das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB berufen. Dieses Recht besteht aber nur dann, wenn dem Arbeitnehmer unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Arbeitgebers nicht zugemutet werden kann. Deshalb sollte die individuelle Gefahrenlage vor dem Fernbleiben sehr genau mit einem Arzt geklärt werden. Wichtig ist außerdem, dass § 275 Abs. 3 BGB neben dem Leistungsverweigerungsrecht keinen Entgeltfortzahlungsanspruch gewährt.
  • Einen gesetzlichen Anspruch, von zu Hause arbeiten zu dürfen, haben Arbeitnehmer nicht. Arbeitgeber dürfen die Arbeit vom Homeoffice aus auch nicht einseitig anordnen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen sich diesbezüglich also einigen; soweit in Betriebs- oder Personalrat existiert, gelten idealerweise entsprechende kollektivrechtliche Vereinbarungen.

6. Darf ein Arbeitnehmer zuhause bleiben, wenn die Betreuung oder Pflege seiner Kinder nicht anders gewährleistet werden kann? Muss ihm der Arbeitgeber währenddessen Gehalt zahlen?

Es kommt darauf an:

  • Schließen Schulen oder Kitas als Vorsichtsmaßnahme, haben Eltern deswegen nicht grundsätzlich ein Recht darauf, unter Fortzahlung des Gehaltes zuhause zu bleiben; sie müssen vielmehr in erster Linie versuchen, für Ersatz in der Kinderbetreuung zu sorgen. Wenn wirklich keine andere Betreuung möglich ist, kann § 616 BGB weiterhelfen. Danach wird ein Arbeitnehmer, der ohne eigenes Verschulden und aus einem persönlichen Grund für einen nicht erheblichen Zeitraum verhindert ist und nicht zur Arbeit kommen kann, seines Gehaltsanspruchs dadurch nicht verlustig. Allerdings ist es wegen § 619 BGB möglich, dass die Pflicht zur Gehaltsfortzahlung in einem solchen Fall arbeitsvertraglich ausgeschlossen ist. Dann bleibt dem Beschäftigten nur, sich Urlaub zu nehmen oder unbezahlt von der Arbeit freistellen zu lassen.
  • Ist das Kind eines Arbeitnehmers allerdings am Coronavirus erkrankt, hat der Arbeitnehmer ein Recht darauf, zu Hause zu bleiben und sein Kind zu pflegen. Je nachdem, was im Vertrag steht, müssen Arbeitgeber ihm dann trotzdem weiter Gehalt zahlen. Ist dies nicht der Fall, springen unter Umständen die Krankenkassen ein. Nach § 45 SGB V haben gesetzlich versicherte Eltern einen Zahlungsanspruch, wenn ihr gesetzlich versichertes Kind unter zwölf Jahre alt ist, nach ärztlichem Attest von ihnen beaufsichtigt, betreut oder gepflegt werden muss und berufstätige Eltern daher nicht ihrer Arbeit nachgehen können und keine andere im Haushalt lebende Person die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege übernehmen kann. Jedes Elternteil kann Kinderkrankengeld für bis zu zehn Arbeitstage pro Kind und Jahr, Alleinerziehende für bis zu 20 Arbeitstage pro Kind und Jahr beanspruchen; insgesamt ist der Anspruch auf 25 Arbeitstage bzw. bei Alleinerziehenden auf 50 Arbeitstage begrenzt. Berechnungsgrundlage für das Kinderkrankengeld ist das während der Freistellung ausgefallene Arbeitsentgelt, es werden grundsätzlich 90 Prozent vom ausgefallenen Nettoarbeitsentgelt oder sogar bis zu 100 Prozent bei vorherigen Einmalzahlungen als Kinderkrankengeld gezahlt.

Nachtrag Stand 30. März 2020:

Neuer Erstattungsanspruch bei Kinderbetreuungskosten

Als Reaktion auf die Corona-Krise wurde eine Gesetzesänderung vorgenommen, nach der Eltern einen Entschädigungsanspruch erhalten, wenn sie wegen der notwendigen Betreuung ihrer Kinder einen Verdienstausfall erleiden. Der mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ neu eingefügte § 56 Abs. 1a IfSG sieht den Erstattungsanspruch unter folgenden Voraussetzungen vor:

  • die Betreuungseinrichtung oder die Schule wurde außerhalb der planmäßigen Schulferien von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten vorübergehend geschlossen;
  • das betreffende Kind hat das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet oder es ist behindert und auf Hilfe angewiesen;
  • es kann keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sichergestellt werden;
  • durch die Eigenbetreuung erleidet der erwerbstätige Sorgeberechtigte, der den Anspruch geltend machen möchte, einen Verdienstausfall.

Nach § 56 Abs. 2 IfSG beträgt die Entschädigung 67 % des Verdienstausfalls, der dem Sorgeberechtigten infolge der Betreuung seines Kindes entstanden ist, höchstens aber 2.016,00 EUR im Monat; sie kann für längstens sechs Wochen gewährt werden.

Die meisten Eltern und darunter insbesondere die Alleinerziehenden, die die Betreuung ihrer Kinder aufgrund der Kita- und Schulschließungen nicht anders als durch die eigene Betreuung sicherstellen konnten, werden durch den Entschädigungsanspruch demnach erheblich entlastet. Nach der überholten Rechtslage hatten sie lediglich gegebenenfalls einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung gegen ihren Arbeitgeber aus § 616 BGB. Dieser Anspruch ist aber mit viel Unsicherheit verbunden: Zum einen kann er vertraglich ausgeschlossen sein und zum anderen sichert er die Fortzahlung des Gehaltes ohnehin nur für eine sehr begrenzte Dauer. Der neue Erstattungsanspruch ist demgegenüber unabhängig von arbeitsvertraglichen Regelungen und die Entschädigung kann für sechs Wochen, damit erheblich länger beansprucht werden. Weiterhin gilt aber: Wenn die Betreuung beispielsweise durch Partner, andere Familienmitglieder oder die den in sog. systemrelevanten Berufen tätigen Eltern weiterhin zur Verfügung stehenden Betreuungsmöglichkeiten organisiert werden kann, besteht kein Anspruch.


Falls Sie Hilfe bei der Prüfung der verwendeten Arbeitsverträge oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen auf nun bestehende Handlungsmöglichkeiten benötigen, sprechen Sie uns gerne an.

Ausgleich eines Arbeitszeitguthabens durch Freistellung bedarf einer eindeutigen Anordnung BAG 20.11.2019 – 5 AZR 578/18

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einer Entscheidung vom 20. November 2019 – 5 AZR 578/18 – mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die in einem gerichtlichen Vergleich vereinbarte unwiderrufliche Freistellung auch nicht ausgeglichene Arbeitszeitguthaben erfasst. Die Parteien hatten in einem Kündigungsschutzprozess am 15. November 2016 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, nach dem das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung am 31. Januar 2017 enden sollte. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses war die Klägerin unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen unwiderruflich freigestellt worden. Eine große Ausgleichsklausel enthielt der Vergleich nicht. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beanspruchte die Klägerin finanzielle Abgeltung für ein Arbeitszeitguthaben von 67,1 Stunde.

Die Klage hatte in allen drei Instanzen Erfolg. Arbeitszeitguthaben, die bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch Freizeit ausgeglichen werden konnten, seien abzugelten. Durch unwiderrufliche Freistellung in einem Vergleich werde das Arbeitszeitguthaben nur dann ausgeglichen, wenn der Arbeitnehmer klar erkennen könne, dass die Freistellung auch zu diesem Zweck erfolge. Daran fehle es, da ausdrücklich nur eine Anrechnung auf Urlaub vereinbart gewesen sei.

Freistellungserklärungen in einer Kündigung, Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen sollten daher immer wie folgt formuliert werden:

„Hiermit stellen wir Sie ab dem ______ unter Anrechnung etwaiger Ansprüche auf Erholungsurlaub und Arbeitszeitguthaben unter Fortzahlung der Vergütung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich von der Arbeitsleistung frei.“

Damit ist sichergestellt, dass sich der Arbeitnehmer nicht später doch noch auf unbekannte Arbeitszeitguthaben berufen kann – jedenfalls dann, wenn die Freistellungsdauer ausreicht, Urlaub und Arbeitszeitguthaben abzudecken.

Brexit und Marken

Welche Konsequenzen hat der Brexit für Unionsmarken sowie Internationale Registrierungen mit Schutz in der EU?

Die beruhigende Nachricht gleich vorweg: Die negativen Folgen des Austritts des Vereinigten Königsreichs aus der Europäischen Union für Schutzrechtsinhaber halten sich dank einer entsprechenden Regelung in Grenzen. Zwarverlieren sämtliche eingetragenen Unionsmarken und Internationale Registrierungen mit Schutz in der EU am Exit Day ihre Gültigkeit. Zeitgleich entsteht aus ihnen jedoch ein gleichwertiges britisches Markenrecht, gewissermaßen ein britischer Klon, der die Bezeichnung comparable trade mark (EU) bzw. comparable trade mark (IR) trägt und hinsichtlich Anmeldetag, ggf. Priorität und Seniorität, Schutzablauf, geschützte Waren und Dienstleistungen der Unionsmarke exakt entspricht.

Somit entsteht zwar kein akuter Handlungsbedarf mit dem Brexit. Dennoch sollte dieser zum Anlass genommen werden, sich mit dem eigenen Markenportfolio zu beschäftigen, um zeitnah zum Exit Day einen Überblick zu gewinnen, welche Rechte sinnvoller Weise dauerhaft in Groß Britannien erhalten bleiben sollen. Bezüglich noch laufender Unionsmarkenanmeldungen oder im Anmeldeverfahren befindlicher Unionsmarkenanteile Internationaler Registrierungen gilt es, bestimmte Fristen für die Nachanmeldung als UK-Marke zu beachten. 

Im Einzelnen:

Der britische Klon Ihrer Unionsmarke oder Internationalen Registrierung mit Schutz in der EU entsteht automatisch ohne Antrag und kostenfrei. Eine Eintragungsurkunde erhält der Markeninhaber nicht, jedoch wird die neue britische Marke im UK trade mark register eingetragen, wo dann auch alle erforderlichen Informationen für den Markeninhaber zugänglich sein werden. Bei Internationalen Registrierungen ist allerdings zu beachten, dass sie nur als nationales Recht entstehen. Um sie wieder in die bestehende Internationale Registrierung zu integrieren, ist ein eigener Antrag erforderlich, der Gebühren auslöst.

Wer keine comparable trade mark (EU) möchte, kann beim britischen Markenamt ein Opt-Out erklären, sofern das zunächst geklonte Recht nach dem Brexit in der UK nicht benutzt wurde oder Gegenstand einer Vereinbarung, Lizenz oder Sicherheit geworden ist.

Die Verlängerung von comparable trade marks (EU) bzw. (IR) richtet sich nach den entsprechenden Vorschriften für normale britische Marken. Das gilt natürlich auch für die entsprechenden Fristen und Gebühren. Im Falle des Schutzdauerablaufs während eines Zeitraums von 6 Monaten nach dem Exit Day schickt das britische Markenamt eine Erinnerung an den Markeninhaber, der dann Gelegenheit hat, die Marke innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Zugang dieser Erinnerung zu verlängern.

Am Exit-Day noch im Anmeldeverfahren befindlichen Unionsmarken werden – auf Antrag des Inhabers – als britische Markenanmeldungen beim UK-Markenamt weitergeführt und durchlaufen das normale Prüfungsverfahren. Dieser Antrag ist innerhalb von 9 Monaten nach dem Austrittstag zu stellen und löst Anmeldegebühren wie für normale UK-Marken aus. Versäumt der Anmelder die gesonderte Beantragung der britischen Marke geht das Recht für das Gebiet Großbritanniens verlustig.

Entsprechend wird für noch im Anmeldeverfahren befindliche Unionsmarkenanteile in-ternationaler Registrierungen eine Frist von 9 Monaten in Gang gesetzt, um einen Antrag auf Anmeldung als comparable trade mark (IR) zu stellen. Diese Frist beginnt allerdings nicht mit dem Exit-Day, sondern entweder mit dem Tag der Internationalen Registrierung bei der WIPO oder dem Tag der Eintragung der nachträglichen Schutzerstreckung, jeweils bezogen auf den Unionsmarkenanteil.

Für weitere Informationen, etwa zu den Konsequenzen für bestehende Lizenzverträge, laufende Gerichtsverfahren, die Benutzungsschonfrist oder die Erschöpfung von Markenrechten oder aber auch der Konsequenzen des britischen EU-Austritts für Ihre Gemeinschaftsgeschmacksmuster stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Gern betreuen wir Sie hinsichtlich Ihrer mit dem Exit Day entstehenden comparable trademarks und auch hinsichtlich erforderlicher Nachanmeldungen und treten für Sie als Ansprechpartner gegenüber dem Britischen IPO auf. 

Urteilsbegründung zur Nichtbesetzung der Direktorenstelle der Bundesstiftung Bauakademie mit Herrn Pronold

Mit Urteil vom 7. Januar 2020 hatte das Arbeitsgericht Berlin der Bundesstiftung Bauakademie untersagt, die von ihr ausgeschriebene Stelle des Direktors (m/w/d) mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Herrn Florian Pronold zu besetzen (Az. 45 Ga 15221/19). Gegen die auch in der Fachwelt und Öffentlichkeit stark umstrittene Besetzung mit Herrn Pronold wenden sich zwei Mitbewerber um die Stelle, drunter Prof. Philipp Oswalt, der von unserem Arbeitsrechtsspezialisten Dr. Ernesto Loh anwaltlich vertreten wird. 

In der nunmehr vorliegenden Urteilsbegründung zur einstweiligen Verfügung führt das Arbeitsgericht aus, dass der Grundsatz der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG), wonach ein öffentliches Amt nach Eignung, Befähigung und Leistung zu besetzen sei, auch für die Bauakademie gelte. Dass es sich bei der Stiftung Bauakademie um eine Stiftung des bürgerlichen Rechts handele, stehe dem nicht entgegen. Denn sofern die öffentliche Hand eine Stiftung mit Vermögen ausstattet und sich vorbehält, diese Stiftung dauerhaft mit Personen ihrer Wahl zu besetzen – hier durch Entsendung von Personen in den Stiftungsrat, die mehrheitlich der öffentlichen Hand zuzurechnen sind, wie dem Bundestag, der Bundesregierung und dem Land Berlin -, bestehe eine beherrschende Einflussnahme der öffentlichen Hand. Darüber hinaus handele es sich bei dem Zweck der Bauakademie (Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie Kunst und Kultur auf den Gebieten des Bauwesens, der Stadtentwicklung, des Wohnens und der Baukultur) um öffentliche Aufgaben und die Stelle sei funktional in die Wahrnehmung dieser öffentlichen Aufgaben eingebunden. Daher sei bei der Besetzung der streitgegenständlichen Direktorenstelle von einem öffentlichen Amt im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG auszugehen. Hat der Arbeitgeber eine Stelle ausgeschrieben und ein Anforderungsprofil erstellt, so ist er bei der nachfolgenden Auswahlentscheidung grundsätzlich an die Einhaltung dieses Anforderungsprofils gebunden.

Schließlich sei hinreichend glaubhaft gemacht, dass der ausgewählte Bewerber nicht zum Vorstandsmitglied habe ernannt werden dürfen, weil das Verfahren der Stellenbesetzung nicht einwandfrei abgelaufen sei. Der Kläger habe plausibel vorgetragen, dass Herr Pronold als Jurist das in der Stellenausschreibung festgelegte Anforderungsprofil etwa bezogen auf „Erfahrungen mit Projekten und Formaten mehr dimensionaler Kommunikation in Bezug auf Museen, Ausstellungen, Messen, Festivals“ nicht erfülle. 

Ob die Bundesstiftung Bauakademie gegen die einstweilige Verfügung Berufung einlegen wird, bleibt abzuwarten. 

VG Schwerin: AfD-Meldeportal „Neutrale Schule“ bleibt verboten

Mit Beschluss vom 2. Dezember 2019 (Az. 1 B 1568/19) hat das Verwaltungsgericht Schwerin entschieden, dass das von der AfD betriebene Internetportal, auf dem Schüler zur Meldung vermeintlicher Verstöße ihrer Lehrer gegen das an Schulen geltende Neutralitätsgebot aufgerufen wurden, verboten bleibt. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern hatte das Portal im September vergangenen Jahres in seiner konkreten Form untersagt. Den Eilantrag der AfD gegen diese Untersagungsverfügung hat das Gericht nun abgelehnt. 

Das Gericht stützt seine Entscheidung auf Art. 9 DS-GVO. Nach dieser Norm ist die Verarbeitung besonders sensibler personenbezogener Daten – u.a. solcher, aus denen die politische Meinung oder aber die religiöse oder weltanschauliche Überzeugung hervorgehen – untersagt. Genau solche Daten erhebe die Betreiberin über das Portal – so das Verwaltungsgericht – indem sie gezielt Schülerinnen und Schüler auffordere, vermeintliche Neutralitätsverstöße durch Äußerungen von Lehrern, die sich gegen die AfD als Partei richteten, an ihrer Schule zu melden und zwar unter Angabe ihres Namens, ihres Wohnorts, des Namens und Ortes der Schule sowie näherer Informationen zu Jahrgang und Fach, in dem der Vorfall passiert sei. Über die genannten Angaben sei die eines Verstoßes bezichtigte Person regelmäßig identifizierbar. Mit der Schilderung des vermeintlichen Neutralitätsverstoßes sei regelmäßig die Wiedergabe der Äußerungen und damit auch der darin zum Ausdruck kommenden politischen oder weltanschaulichen Meinung der betroffenen Person verbunden.

Das Vorliegen einer der in Art. 9 Abs. 2 DS-GVO geregelten Ausnahmen von dem Verbot der Verarbeitung von Daten, aus denen die politische Meinung oder die religiöse oder weltanschauliche Überzeugung hergehen, verneinte das Gericht. Eine Ausnahme aufgrund der Veröffentlichung der personenbezogenen sensiblen Daten durch die betroffene Person selbst liege nicht vor, da Äußerungen im Klassenzimmer keine öffentlichen Äußerungen seien. Auch sei die Verarbeitung der genannten Daten vorliegend keineswegs zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich. Denn die rein präventive Verarbeitung sensibler Daten zur Abwehr möglicherweise in Zukunft geltend gemachter Ansprüche sei davon nicht umfasst, die Ausnahme komme vielmehr nur im Falle einer tatsächlich geführten rechtlichen Auseinandersetzung zur Anwendung. Schließlich sei die streitgegenständliche Datenverarbeitung auch nicht aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich. Denn es sei schlicht nicht erkennbar, warum das Betreiben eines derartigen Informationsportals und damit die Verarbeitung der genannten Daten erforderlich sein sollte, um Verstöße gegen das Neutralitätsgebot an öffentlichen Schulen aufzudecken. Denn Schüler und Eltern könnten sich im Falle von ihrerseits beobachteten Verstößen gegen das Neutralitätsgebot direkt an die Schule oder an die Schulbehörde wenden.

Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung der Untersagungsverfügung des Datenschutzbeauftragten führt das Gericht sodann noch aus: Im vorliegenden Fall komme dem Datenschutz nicht allein wegen der gesetzlichen Wertung des Art. 9 DS-GVO besonderes Gewicht zu, sondern auch deswegen, weil er den sich aus dem Grundgesetz ergebenden staatlichen Erziehungsauftrag insbesondere im Hinblick auf die Meinungsfreiheit betreffe. Lehrer könnten nämlich nur dann die sich aus dem Grundgesetz ergebende Wertentscheidung zugunsten der freien Meinungsäußerung nur dann im Schulunterricht vorleben, wenn sie selbst nicht befürchten müssten, in der Öffentlichkeit wegen ihrer Äußerungen sozusagen an den Pranger gestellt zu werden.

Kein Schadenersatz in Höhe der fiktiven Mangelbeseitigungskosten

BGH, Urteil vom 21. November 2019 – VII ZR 278/17

Im Rahmen eines Grundsatzurteils hatte der BGH im Jahr 2018 seine bisherige Entscheidungspraxis aufgegeben, wonach bei Bauprozessen Auftraggeber bei Mängeln am Bauwerk Schadenersatz in Höhe der fiktiven Mangelbeseitigungskosten geltend machen können, ohne den Mangel selbst zu beseitigen. Im Rahmen einer neuen Entscheidung bestätigt der BGH diese Rechtsprechung hinsichtlich von Schadenersatzansprüchen gegen Architekten.

Grundlage der Entscheidung war ein Fehler der Objektüberwachung im Bezug auf einen mangelhaft errichteten Fußbodenaufbau in einem Gebäude. Im Ergebnis des Verfahrens war festgestellt worden, dass der Bodenaufbau nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprach und deshalb nicht brauchbar war. Der Mangel konnte nur durch Erneuerung des Fußbodenaufbaus ab der Oberkante der Bodenplatte beseitigt werden. Die mit der Objektüberwachung beauftragten Architekten hatten dies nicht festgestellt und damit die mangelhafte Errichtung des Bauwerks in diesem Punkt nicht verhindert. Der Auftraggeber begehrte von den mit der Objektüberwachung beauftragten Architekten Schadenersatz in Höhe der Kosten der (noch) nicht durchgeführten Mangelbeseitigung.

Nachdem das Oberlandesgericht diesen Anspruch zugesprochen hatte, hob der BGH die Berufungsentscheidung auf und verwies die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung über die Höhe des Schadenersatzanspruchs zurück. Die Höhe des Schadenersatzanspruchs hatte das Berufungsgericht anhand der tatsächlich jedoch nicht angefallenen Mangelbeseitigungskosten für die Erneuerung des Bodenaufbaus ermittelt. Diese Betrachtung war jedoch nach der Grundsatzentscheidung des BGH nicht mehr zutreffend (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17). Nach dem 4. Leitsatz dieser Grundsatzentscheidung scheidet auch im Verhältnis zum Architekten hinsichtlich der von diesem zu vertretenden Planungs- oder Überwachungsfehler, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, ein Zahlungsanspruch in Höhe der fiktiven Mangelbeseitigungskosten aus.

Das Berufungsgericht musste dem Auftraggeber Gelegenheit geben, die Höhe des Schadens anderweitig darzulegen und zu beziffern. Entsprechend der neuen Linie des BGH stehen ihm dafür verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.

In erster Linie kann der Auftraggeber seinen Schadenersatzanspruch als abrechnungspflichtigen Vorschuss für die Mangelbeseitigung geltend machen (Leitsatz 6.b) der Grundsatzentscheidung). Der Auftraggeber ist dann zur Durchführung der Mangelbeseitigung verpflichtet. Anderenfalls kann das Architekturbüro den Vorschuss zurückfordern.

Alternativ kann der Auftraggeber den Schadenersatzanspruch auch in Höhe der Wertminderung des Bauwerks infolge des Mangels beziffern (Leitsatz 5.a) der Grundsatzentscheidung). In welcher Höhe sich die festgestellten Mängel verkehrswertmindernd auf das Bauwerk auswirken, ist gegebenenfalls durch Gutachten zu ermitteln. Die dabei entstehenden Schwierigkeiten der Verkehrswertermittlung sind laut BGH hinzunehmen. Die der früheren Rechtsprechung zugrundeliegende einfache Bezifferung des Schadensersatzanspruchs anhand der leicht zu ermittelnden und zu überprüfenden Mangelbeseitigungskosten ist durch die Änderung der Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben worden.

Denkbar ist auch eine Minderung der vereinbarten Honorare. Häufig tritt durch den durch die mangelhafte Architektenleistung verursachten Mangel des Bauwerks eine Störung des Äquivalenzverhältnisses des Bauvertrages ein. Die Bauleistung ist infolge des mangels weniger Wert, als die vereinbarte Vergütung. Der Auftraggeber kann seinen Schaden auch in der Weise bemessen, dass er ausgehend von der mit dem Bauunternehmer vereinbarten Vergütung den mangelbedingten Minderwert des Werks des Bauunternehmers ermittelt (BGH, Urteil vom 8. November 2018 – VII ZR 100/16). Maßstab ist insoweit die vereinbarte Vergütung im Bauvortrag für die mangelhaft errichtete Leistung. Jedoch nicht die Mangelbeseitigungskosten insgesamt.

Diese bislang für den Bereich des Werkvertrages geltende neue Rechtsprechung zu den fiktiven Schadenskosten kommt am 17. Januar 2020 auf den Prüfstand bei dem für Kaufverträge zuständigen V. Zivilsenat des BGH (Az. V ZR 33/19). Hier wird abzuwarten bleiben, ob der V. Zivilsenat an seiner bisherigen Rechtsprechung der Berechnung nach fiktiven Mangelbeseitigungskosten festhält oder sich der Auffassung des VII. Zivilsenats anschließt. Anders als im Werkvertragsrecht gibt es im Kaufvertragsrecht keinen Vorschussanspruch als primäres Mangelrecht. Diesen primären Vorschussanspruch gab es beim Architektenvertrag hinsichtlich eines Schadenersatzanspruchs bislang jedoch auch nicht. Gleichwohl hat der VII. Zivilsenat in seiner neuen Rechtsprechung dieses Vorschussanspruch darauf angewendet. Es wird folglich abzuwarten bleiben, welche Entwicklung das Schadensrecht insoweit insgesamt nimmt. Wir werden darüber berichten.

Neue Partnerin bei LOH Rechtsanwälte im Bereich IP und Medien

LOH Rechtsanwälte hat zum 1.1.2020 mit Frau Dr. Christine Danziger eine neue Partnerin gewonnen. Dr. Christine Danziger, LL.M. ist seit 2008 Rechtsanwältin. Sie berät und vertritt Mandanten im Bereich des Geistigen Eigentums und im Wettbewerbsrecht und ist auf das Urheber- und Medienrecht spezialisiert. Zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten im Urheberrecht gehört insbesondere das Filmrecht. Im Wettbewerbs- und Markenrecht ist sie für verschiedene Unternehmen und Verbände u.a. aus den Branchen Medien, IT, Umwelt tätig. Außerdem betreut sie Mandate im Presse- und Äußerungsrecht.

Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist Frau Dr. Danziger Lehrbeauftragte an der Universität der Künste Berlin.

Vor ihrem Eintritt bei LOH Rechtsanwälte war Dr. Christine Danziger lange Jahre in einer IP-Boutique tätig, bevor sie 2017 ihre eigene Kanzlei für Geistiges Eigentumsrecht und Medienrecht gründete. Christine Danziger studierte Jura und Philosophie in Freiburg und Berlin. Ihr Referendariat absolvierte sie in Berlin und sammelte Erfahrungen in einer auf das Entertainment Law spezialisierten Anwaltskanzlei in den USA.

Für LOH Rechtsanwälte ist die Aufnahme von Frau Dr. Danziger ein wichtiger Baustein in dem Konzept einer mittelständischen Full-Service-Kanzlei.

LOH Rechtsanwälte verabschieden Dr. Alexander Wiencke in den Ruhestand

Dr. Wiencke blickt auf eine fast 40jährige Laufbahn als Rechtsanwalt zurück. Er zählte zu den ersten Fachanwälten für Arbeitsrecht in Berlin und arbeitete seit seiner Gründung im Fachanwaltsausschuss der Rechtsanwaltskammer Berlin mit, zuletzt lange Jahre als dessen Vorsitzender. Seit 1990 ist er zudem als Notar tätig. Zu LOH Rechtsanwälte kam Dr. Wiencke im November 2013. Nicht nur seine langjährigen Mandanten, auch wir konnten auf diese Weise von seiner Expertise und seinem reichen Erfahrungsschatz profitieren. Dafür danken wir ihm sehr. Wir wünschen Dr. Alexander Wiencke einen aktiven Ruhestand, den er bei bester Gesundheit seiner Familie und seinen sportlichen Interessen widmen kann.

Wie viel Verunsicherung bringt die EuGH-Entscheidung hinsichtlich der Mindest- und Höchstsätze der HOAI, EuGH, Urt. v. 04. Juli 2019 – Rs. C-377/17

Zwei Monate liegt die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs zurück, die Klarheit in die Frage der Anwendbarkeit der HOAI in Bezug auf die Mindest- und Höchstsätze beim Honorar der Planer bringen wollte. Die Unsicherheit ist jedoch durch divergierende OLG-Entscheidungen so groß wie selten zuvor.

1.
Das OLG Celle hat kurz nach der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs am 17. Juli 2019 eine so genannte Aufstockungsklage eines Architekten abgewiesen (OLG Celle, Urt. v. 17. Juli 2019 – 14 U 188/18).

Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs führte das OLG Celle aus, dass Architekten in bestehenden Verträgen keinen Anspruch auf die Zahlung der Mindestsätze der HOAI haben, wenn ein niedrigeres Honorar vertraglich vereinbart wurde. Danach sind die nationalen Gerichte an die Auslegung des EU-Rechts durch den europäischen Gerichtshof gebunden.

2.
Durch die Entscheidung des OLG Hamm nur wenige Tage später wird diese Rechtsprechung nun mehr infrage gestellt. Nach dieser Entscheidung gilt das Urteil des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren nicht unmittelbar zwischen Privatpersonen (OLG Hamm, Urt. v. 23. Juli 2019 – 21 U 24/18).

Diese Betrachtung ist nicht neu. Bereits das OLG Naumburg hatte in einer Entscheidung dargestellt, dass sich ein Urteil des europäischen Gerichtshofs in einem Vertragsverletzungsverfahren ausschließlich an den nationalen Gesetzgeber richtet und keine Auswirkung auf bestehende Verträge hat (OLG Naumburg, Urt. v. 13. April 2017 – 1U 48/11). Diese Erwägungen wurde nachfolgend durch das Kammergericht (Kammergericht, Urt. v. 1. Dezember 2017 – 21 U 19/12 und auch vom Landgericht Stuttgart, Beschl. v. 16. November 2018 – 28 O 375/17 bestätigt.

Das OLG Hamm hat diese Rechtsprechung fortgesetzt und ausgeführt:

„Die maßgeblichen Bestimmungen der HOAI, auch zum Mindestpreischarakter, sind […] anwendbar. Daran ändert die Entscheidung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, wonach diese durch Aufrechterhaltung der Bestimmungen zum zwingenden Preisrecht in der HOAI gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 verstoßen habe (EuGH, IBR 2019, 436), nichts. Das Urteil des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren bindet nämlich nur den Mitgliedstaat, der nach eigenem Ermessen die geeigneten Maßnahmen ergreifen muss, um den europarechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Für den einzelnen Unionsbürger geht von dem Urteil keine Rechtswirkung aus. Die Feststellung der Europarechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI im Vertragsverletzungsverfahren ändert nichts daran, dass zum Zeitpunkt des Verstoßes die HOAI zu beachten war, denn es gibt insofern keine Rückwirkung.“ Diese Sichtweise wurde in einer anderen Entscheidung des EuGH ebenfalls vertreten.

3.
Der europäische Gerichtshof hatte ausgeführt, dass eine Richtlinie der Europäischen Union nicht in einem Rechtsstreit zwischen zwei Unionsbürgern herangezogen werden kann, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedsstaates auszuschließen, die gegen diese Richtlinien verstößt (EuGH, Urt. v. 07. August 2018 – C-122/17 m.w.N.).

Dieses Verständnis gilt auch dann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber privatrechtliche Verträge abschließt. Ein nationales Gericht muss die Anwendung einer nationalen Vorschrift, die gegen Unionsrecht verstößt, jedoch dann unterlassen, wenn der Verstoß gegenüber einem Mitgliedstaat oder seinen Verwaltungsträgern geltend gemacht wird, der auch als solcher handelt, d. h in einem Über-/Unterordnungsverhältnis (EuGH, Urt. v. 07. August 2018 – C-122/17; m.w.N.).

„Der Gerichtshof hat […] in ständiger Rechtsprechung auch entschieden, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (vgl. u. a. Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall, 152/84, EU:C:1986:84, Rn. 48, vom 14. Juli 1994, Faccini Dori, C‑91/92, EU:C:1994:292, Rn. 20, und vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 108). Würde die Möglichkeit, sich auf eine Bestimmung einer nicht oder unrichtig umgesetzten Richtlinie zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten ausgedehnt, liefe das nämlich darauf hinaus, der Europäischen Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Einzelnen Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1994, Faccini Dori, C‑91/92, EU:C:1994:292, Rn. 24).

Der Gerichtshof hat ausdrücklich entschieden, dass eine Richtlinie nicht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt werden kann, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedstaats, die gegen die Richtlinie verstößt, auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, OSA, C‑351/12, EU:C:2014:110, Rn. 48).

Das nationale Gericht hat nämlich die Anwendung der nationalen Vorschrift, die gegen eine Richtlinie verstößt, nur auszuschließen, wenn sie gegenüber einem Mitgliedstaat, seinen Verwaltungsträgern einschließlich dezentralisierter Behörden oder Einrichtungen und Stellen geltend gemacht wird, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder die von einem Mitgliedstaat mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut wurden und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez, C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 40 und 41, vom 25. Juni 2015, Indėlių ir investicijų draudimas und Nemaniūnas, C‑671/13, EU:C:2015:418, Rn. 59 und 60, und vom 10. Oktober 2017, Farrell, C‑413/15, EU:C:2017:745, Rn. 32 bis 42).“

Dieses Über-/Unterordnungsverhältnis existiert bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten, sodass in diesem Verhältnis das Europäische Richtlinien auch direkt gegenüber Verwaltungen geltend gemacht werden können, Bei zivilrechtlichen Streitigkeiten um Architektenhonorar gibt es die direkte Geltung der Richtlinien nicht, auch wenn die Architektenverträge von der Öffentlichen Hand abgeschlossen werden.

Das OLG Hamm hat die Rechtslage anders beurteilt als das OLG Celle und musste deshalb die Revision zum BGH gem. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulassen.

4.
Der juristische Diskurs zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat zu einer weiteren Entscheidung geführt, die von einer weiteren Geltung der HOAI jedenfalls zwischen Privaten ausgeht.

„Auch nach dem Urteil des EuGH vom 04.07.2019 (IBR 2019, 436 (https://www.ibronline. de/IBRNavigator/dokumentanzeigebody. php?SessionID=31b2c7a3ff603090303d3019465e06ed& HTTP_DocType=Dokument&Zeitschrift=IBR&Jahrgang=2019&Seite=3265)) ist in einem Zivilrechtsstreit zwischen einem Architekten und seinem Auftraggeber das Mindestpreisgebot nach Art. 10 §§ 1, 2 MRVG, § ,7 Abs. 3 und 5 HOAI 2013 weiter anzuwenden.“ KG, Beschl. v. 19. August 2019 – 21 U 20/19 (nicht rechtskräftig)

Das Kammergericht schließt sich damit der Sichtweise des OLG Hamm an.

Es werden jedoch zunehmend Bedenken gegen diese Bewertung geltend gemacht. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 07. Juli 2009 – C-555/07 (Kücükdeveci) ausgeführt, dass ein nationales Gericht eine nationale Vorschrift unter Ausschöpfung des Auslegungsrahmens europarechtskonform auszulegen hat (Rn. 48). Eine solche Auslegung führte im Fall der Mindestsatzregelung der HOAI nicht weiter, da der Gesetzgeber ausdrücklich den Honorarrahmen zwischen Mindest- und Höchstsätzen regeln wollte. Wenn eine Auslegung insofern wegen der Eindeutigkeit nicht möglich ist, muss die nationale Norm unangewendet bleiben – auch im Rechtsstreit zwischen Privaten (Rn. 52, 54).

Nationale Gerichte sind an das EuGH-Urteil gebunden und müssen alle Maßnahmen ergreifen, um dieses sofort wirksam umzusetzen (EuGH, Urt. v. 14.12.1982 – Rs. 83/82, Rz. 14). Eine weitere Anwendung der unionsrechtswidrigen Norm wäre unzulässig und würde gegen den Anwendungsvorrang des Unionsrechts, die Bindungswirkungen des Art. 260 Abs. 1 AEUV sowie die Unionstreue nach Art. 4 Abs. 3 EUV verstoßen.

Eine Aufspaltung der Geltung des europäischen Rechts zwischen den zur Entscheidung berufenen Verwaltungsgerichten (Geltung des EU-Rechts nur bei hoheitlicher Beteiligung des Staates) und den Zivilgerichten (keine Geltung des EU-Rechts bei zivilrechtlicher Beteiligung des Staates, oder zwischen zwei Privaten) erscheint nicht sachgerecht.

Dies sieht wohl auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Honeywell-Entscheidung so:

„Obwohl der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, dass eine Richtlinie `nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist´ (vgl. EuGH, Urt. v. 14. Juli 1994, Rs. C-91/92, Faccini Dori, Slg. 1994, S. I-3325 Rn. 19 ff.; EuGH, Urt. v. 05. Oktober 2004, verb. Rs. C-397-403/01, Pfeiffer, Slg. 2004, S. I-8835 Rn. 108), hat der Gerichtshof anerkannt, dass richtlinienwidrig erlassene innerstaatliche Normen in einem Rechtsstreit zwischen Privaten unangewendet bleiben müssen (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 30. April 1996, Rs. C-194/94, CIA Security, Slg. 1996, S. I-2201; EuGH, Urt. v. 26. September 2000, Rs. C-443/98, Unilever, Slg. 2000, S. I-7535 Rn. 49 ff.)“. BVerfG, Urt. v. 06. Juli 2010 2 BvR 2661/06, Rn. 77

5.
In einer weiteren Entscheidung hat nunmehr auch das OLG Düsseldorf über diese Problematik zu entscheiden gehabt. Es bestätigt die Auffassung des OLG Celle und führt damit zu einer einheitlichen Anwendung des Europarechts durch alle beteiligten Gerichte.

In seinem dritten Leitsatz führt das OLG Düsseldorf aus: „Aus der Feststellung des Vertragsverstoßes folgt für den verurteilten Mitgliedstaat die Pflicht, den Verstoß zu beenden. Diese Pflicht trifft sämtliche Stellen des verurteilten Staats, somit auch die Gerichte. Hieraus folgt, dass das Preisrahmenrecht der HOAI nicht mehr angewendet werden darf.“ OLG Düsseldorf, Urt. v. 17. September 2019 – 23 U 155/18

Es nimmt damit auch eine Position gegen die Entscheidung des Kammergerichts ein, dass die Gerichte, egal gegenüber welchen Beteiligten, dass Preisrahmenrecht der HOAI nicht mehr anwenden dürfen. Eine Gleichbehandlung zwischen Zivilgerichten und Verwaltungsgerichten scheint sachgerecht.

Welche Betrachtung abschließend als zutreffend gilt, wird wohl der BGH infolge der zugelassenen Revision des OLG Hamm entscheiden müssen.