Im Werkvertragsrecht kein Schadenersatz mehr im Umfang fiktiver Reparaturkosten

Im Frühjahr hat der Bundesgerichtshof mit einer bedeutenden Entscheidung vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 – seine langjährige Rechtsprechung aufgegeben, nach der bislang Schadensersatz statt der Leistung auf der Grundlage fiktiver Mängelbeseitigungskosten geltend gemacht werden konnte.

1.
In der Vergangenheit war es in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei Mängeln am Werk statt der Mängelbeseitigung Schadenersatz gefordert werden konnte, der auf der Grundlage der notwendigen Kosten für die Mängelbeseitigung ermittelt wurde. Bei der Verwendung des Schadenersatzbetrages war der Geschädigte frei, da nach deutschem Schadensersatzrecht ein Ausgleich der Vermögenseinbuße in Geld geschuldet war. Eine Zweckbindung dieses Geldbetrages bestand nicht.

Dieses Vorgehen entsprach im Werkvertragsrecht der ständigen Rechtsprechung. Häufig wurden durch Bauherren Mängel am Bauwerk hingenommen und der sog. kleine Schadenersatz (§§ 634 Nr. 4, 280, 281 BGB) verlangt. Die Höhe der Forderung konnte auf der Grundlage der für die Beseitigung des Mangels notwendigen Kosten berechnet werden (sog. fiktive Mangelbeseitigungskosten). Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB wurde lediglich die Mehrwertsteuer nicht erstattet, sofern die Arbeiten nicht ausgeführt wurden.

Diese Form der Schadensberechnung war auch im Kaufrecht anerkannt (BGH, Urteil vom 15. Juni 2012 – V ZR 198/11). Gebräuchlich war diese Form auch im Sachschadensrecht. Bei Bagatellschäden wie Kratzern und Dellen am Kfz wurden diese öfter belassen, die Regulierung der Versicherer in Höhe der Schadensbeseitigungskosten (ohne Mehrwertsteuer) jedoch nicht zur Schadensbeseitigung eingesetzt.

2.
Diese Form des Schadensausgleichs war in der Praxis einfach anzuwenden, leicht umzusetzen und mit geringem Aufwand zu kontrollieren. Die Methodik war deshalb z.B. im Werk- und Bauvertragsrecht leicht umzusetzen. Die Ermittlung von Mangelbeseitigungskosten am Bauwerk ist den Handwerkern ihres Gewerks möglich
und durch Sachverständige leicht überprüfbar. Insbesondere bei geringfügigen Mängeln, die jedoch einen erheblichen Aufwand der Mangelbeseitigung erfordern (bspw. kleine Fassadenarbeiten mit aufwändiger Gerüststellung) konnte dies gegebenenfalls zu erheblichen Kosten führen, obgleich der Mangel selbst unbedeutend war. Ohne eine Beseitigung des Mangels konnte dadurch eine Überkompensation eintreten, die der im deutschen Schadensersatzrecht zugrunde liegenden Totalreparation widerspricht.

Anders als in anderen Rechtssystemen, in denen für deutsche Verhältnisse teilweise utopische Schadensersatzforderungen beglichen werden, beinhaltet das deutsche Schadensersatzrecht nur den Gedanken, einen eingetretenen Schaden komplett auszugleichen. Die grundlegende Methode dafür ist die Erstellung einer Vermögensbilanz, die das gesamte Vermögen des Geschädigten infolge der schädigenden Handlung dem Vermögen ohne die schädigende Handlung gegenüberstellt.

Im Bereich des Baurechts wird damit die Vermögenslage des Bestellers eines Bauwerks, welches Mängel enthält, mit der hypothetischen Vermögenslage verglichen, wenn es die Mängel nicht gäbe. Dazu werden Wertermittlungsgutachten zum Grundstückswert einzuholen sein, die aufwendiger als Reparaturkostenangebote erstellt werden müssen.

Insbesondere in dem derzeit boomenden Immobilienmarkt wird sich bei einzelnen Mängeln an einer Immobilie kaum ein Minderwert am Marktpreis feststellen lassen. Gerade im Bereich Berlin steigen die Immobilienpreise kontinuierlich. Vom Zeitpunkt des Abschlusses eines Bauvertrags bis zur Fertigstellung hat sich der Wert der Immobilie häufig bereits deutlich erhöht. Sofern im Zeitpunkt der Abnahme Mängel festgestellt werden, wird sich daraus gegebenenfalls kaum ein Wertverlust am Immobilienpreis ableiten lassen. Die gleichzeitig angestiegenen Baukosten führen hingegen zu entsprechend hohen fiktiven Mangelbeseitigungskosten. Auch wenn der Besteller die Mängel tatsächlich beseitigen lässt, wird dies den Wert der Immobilie gegebenenfalls nicht oder kaum erhöhen. Aus diesem Grund ist es sachgerecht, nicht auf die fiktiven Mangelbeseitigungskosten abzustellen, um eine Überkompensation zu vermeiden.

3.
Der BGH hat ausdrücklich klargestellt, dass sämtliche Mängelrechte erhalten bleiben. Insbesondere ist das Recht auf Mangelbeseitigung in keiner Weise eingeschränkt. Die gesamte Diskussion wird folglich nicht eröffnet, sofern der Besteller die vorhandenen Mängel beseitigen lässt. Da der Bauvertrag grundsätzlich auf die Errichtung eines mangelfreien Bauwerks gerichtet ist, wird dies dem Besteller auch am meisten gerecht.

Der Besteller kann nach der Entscheidung des BGH auch noch Vorschluss für die Selbstvornahme gemäß §§ 634 Nr. 2, 637 BGB geltend machen, wenn er vorher Schadensersatz statt der Leistung gefordert hatte. Grundsätzlich ist gemäß § 281 Abs. 4 BGB durch die Schadensersatzforderung das Nacherfüllungsverlangen ausgeschlossen, nicht jedoch der Vorschussanspruch für die Selbstvornahme.

Der BGH hat eine einfache Möglichkeit der Schadensberechnung aufgezeigt, die keine Gesamtvermögensbilanz erfordert. Vielmehr kann der Mangelschaden ermittelt werden, indem der Minderwert des Werks wegen des nicht beseitigten Mangels nach Minderungsgesichtspunkten (§§ 634 Nr. 3, 638 BGB) geschätzt wird (§ 287 ZPO). Dabei wird man sich jedoch nicht mehr auf die Entscheidung des BGH vom 17.12.1996 – X ZR 76/94 – berufen können, wonach die Minderung in Anlehnung an den Geldbetrag zu schätzen ist, der aufgewendet werden muss, um die Mängel zu beheben.

4.
In seiner jüngsten Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass die fiktive Schadensberechnung auch beim Schadensersatzanspruch gegen den Architekten unzulässig ist. Sofern sich der Architektenfehler durch fehlerhafte Planung oder fehlerhafte Überwachung im Bauwerk bereits manifestiert hat, besteht ein Schaden des Bestellers in dem mangelhaften Bauwerk. Vom Architekten kann der Besteller keine Mangelbeseitigung am Bauwerk verlangen, da der Architekt keine Bauleistungen schuldet.

Jedoch kann der Besteller vom Architekten nach der neuen Rechtsprechung des BGH auch nur Schadenersatz in Höhe der Mangelbeseitigungskosten fordern, wenn die Mängel beseitigt werden. Ansonsten verbleibt es bei der tatsächlichen Vermögensminderung, die durch Aufstellung einer Gesamtvermögensbilanz zu ermitteln ist. Im Ergebnis der Rechtsprechung steht dem Besteller gegenüber dem Architekten sogar ein Vorschussanspruch für die Mangelbeseitigungskosten zu, der innerhalb eines Jahres abzurechnen ist.

5.
Derzeit ist noch nicht geklärt, ob sich die geänderte Rechtsprechung auch auf andere Rechtsbereiche, wie das Kauf- oder das sonstige Schadensrecht erstrecken lässt. Der VII. Senat des BGH hat ausdrücklich nur die Geltung für das Werkvertragsrecht beschrieben. Es wird abzuwarten bleiben, wie die für das Kaufrecht oder das Schadensrecht zuständigen Senate reagieren. Insbesondere in den Fällen der fiktiven Abrechnung von Reparaturkosten bei Kfz-Unfällen halte ich eine Anwendung der neuen Entscheidung für wünschenswert.