Am 1. Februar 2024 ist im Land Brandenburg das „Gesetz zur Zahlung einer Sonderabgabe für Photovoltaik-Freiflächenanlagen an Gemeinden“ (Photovoltaik-Freiflächenanlagen-Abgabengesetz – BbgPVAbgG) in Kraft getreten. Danach ist der brandenburgischen Gemeinde, auf deren Gemeindegebiet die PV-FFA nach dem 31. Dezember 2024 in Betrieb genommen wird, eine Sonderabgabe in Höhe von 2.000,- Euro pro Megawatt und Jahr für die Dauer des Betriebs zu zahlen. Bei einer ca. 100 ha großen Anlage kommen – je nach Leistung – für die Gemeinde damit schnell ca. 200.000,- Euro pro Jahr zusammen. Dieser sog. „Solar-Euro“ ist unabhängig von der freiwilligen finanziellen Beteiligung der Gemeinden nach § 6 EEG (0,2 Cent pro Kilowattstunde) zu zahlen und soll ebenso wie dieser zur Akzeptanzsteigerung in den betroffenen Kommunen beitragen. Der Ortsteil, auf deren Gemarkung die PV-FFA errichtet wird, soll durch angemessene Erhöhung des Ortsteilsbudgets gemäß § 3 Abs. 3 BbgPVAbgG berücksichtigt werden. Eine Verpflichtung, die Solarabgabe ausschließlich dem von der Errichtung betroffenen Ortsteil zukommen zu lassen, ist im Gesetzgebungsverfahren aufgrund der Haushaltshoheit der Gemeinden gescheitert. Allerdings sind die zweckgebundenen Maßnahmen, die mit der Sonderabgabe finanziert werden, bevorzugt in räumlicher Nähe der Anlagen umzusetzen. Zu solchen Maßnahmen, die in § 4 beispielhaft aufgeführt sind, gehören neben der Aufwertung des Ortsbildes und der Finanzierung kommunaler Bauleitplanungen im Bereich der erneuerbaren Energien auch die Förderung kommunaler Veranstaltungen, sozialer Aktivitäten oder Einrichtungen, die der Kultur, Bildung oder Freizeit dienen. Auf Schlüsselzuweisungen der Kommunen hat die Einnahme keinen Einfluss (vgl. § 3 Abs. 4 BbgPVAbgG).
Autor: loh_admin
Klage auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit: Schlüssiger Vortrag zur Höhe der Vergütung ausreichend
Die Parteien des vom BGH (Urteil vom 17. August 2023 – VII ZR 228/22) entschiedenen Rechtsstreits schlossen im September 2020 einen Vertrag über die Errichtung eines Gemeindezentrums. Die Auftragssumme belief sich auf 4.740.000 EUR netto. Nach Beginn der Bauarbeiten errichtete die Klägerin für die Beklagte auf dem Nachbargrundstück im Dezember 2020 eine Bodenplatte aus Stahlbeton für eine Kindertagesstätte, die nicht Gegenstand des Bauvertrags aus dem September 2020 gewesen ist. Die Beklagte leistete für die bauvertraglich vereinbarten Arbeiten Abschläge in Höhe von 1.333.424 EUR.
Im März 2021 forderte die Klägerin zunächst eine Bauhandwerkersicherheit nach § 650f BGB über einen Betrag in Höhe von 4.671.000 EUR brutto. Diesen Betrag erhöhte sie nach weiteren Fristsetzungen auf 5.021.000 EUR brutto und stellte aufgrund der Nicht-Leistung der Sicherheit ihre Arbeiten ein. Im April 2021 erhob sie schließlich Klage auf Stellung einer Teil-Sicherheit über 2,0 Mio. EUR. Nach wechselseitigen Kündigungen machte die Klägerin außerdem die sog. große Kündigungsvergütung nach § 650f Abs. 5 BGB geltend.
Das Kammergericht ging in seinem Berufungsurteil davon aus, dass – da die Höhe der zu besichernden Werklohnforderung zwischen den Parteien strittig war – die Höhe der Sicherheit nach § 287 Abs. 2 ZPO durch das Gericht zu schätzen sei. Diese Schätzung sei selbst dann vorzunehmen, wenn eine Partei – hier die Beklagte – im Termin zur mündlichen Verhandlung einen sachverständigen Zeugen präsent habe, der zur Höhe der zu besichernden Vergütung vernommen werden könne.
Der VII. Senat entschied dagegen, dass ein Abzug bei der Höhe der Sicherheit unter Anwendung von § 287 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht kommt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht es vielmehr im Falle einer Kündigung des Vertrags nach § 650f Abs. 5 S. 1 BGB aus, dass der Vortrag des Unternehmers zur Höhe der Vergütung schlüssig ist, um hiernach die Höhe der geforderten Sicherung zu bemessen (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2014 – VII ZR 349/12). Die Möglichkeit, einen – streitigen – Abzug von der schlüssig dargelegten Vergütungsforderung ausnahmsweise nach Maßgabe von § 286 ZPO festzustellen, ohne dass damit der Rechtsstreit verzögert wird, bleibt davon zwar unberührt. Für die Anwendung von § 287 Abs. 2 ZPO bleibt danach aber kein Raum. Daher habe das Kammergericht zu Unrecht einen nach § 287 Abs. 2 ZPO durch Schätzung ermittelten Betrag in Höhe von 437.025,62 EUR abgezogen.
Entgegen der Ansicht des Kammergerichts ist für die Höhe der Sicherheit auch nicht auf die Erfolgsaussicht der Durchsetzung der eigentlichen Vergütung abzustellen, da es sich bei dem Klageverfahren aus § 650f BGB nicht um ein Arrest- oder einstweiliges Verfügungsverfahren handelt.
Rechtsfehlerfrei entschied das Kammergericht hingegen, dass die von der Beklagten erklärte Aufrechnung über einen Betrag in Höhe von 300.000 EUR keinerlei Auswirkungen auf die Höhe der Sicherheit hat. Die Beklagte war der Ansicht, dass die Klägerin die Bodenplatte auf dem Grundstück zu Unrecht errichtet hatte und sie diesen Betrag aufwenden müsse, um die Bodenplatte wieder zu entfernen. Auch bereits vor Verlangen der Sicherheit erklärte Aufrechnungen blieben gemäß § 650f Abs. 1 S. 4 BGB bei der Berechnung der Höhe der Sicherheit unbeachtlich.
Der BGH unterstreicht mit diesem Urteil noch einmal, dass der vorleistungspflichtige Auftragnehmer schnell an eine Sicherheit für seine offenen Werklohnforderungen gelangen soll und dass die Höhe weitgehend losgelöst vom letztendlich „richtigen“ Werklohnanspruch zu berechnen ist.
Unser Team unterstützt Sie gerne bei der Abwehr und der Durchsetzung von Sicherungsverlangen.
Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand und ist unwirksam.
Die Parteien des vom BGH entschiedenen Rechtsstreits schlossen im Jahr 2004 einen Vertrag über Straßen- und Tiefbauarbeiten. Die Auftragssumme belief sich auf 3.031.527,96 EUR netto. Im Verlaufe des Bauvorhabens stritten sie über die Qualität des verbauten Betons an einem Straßenabschnitt. Da der Auftragnehmer dem Mangelbeseitigungsverlangen des Auftraggebers nicht nachkam, kündigte dieser den Bauvertrag gemäß §§ 4 Nr. 7 S. 3, 8 Nr. 3 S. 1 Var. 1 VOB/B. Der Mangelbeseitigungsaufwand hätte sich bei laufendem Baubetrieb auf einen Betrag in Höhe von ca. 6.000 EUR netto belaufen.
Die Vorinstanzen vertraten hinsichtlich der Frage, ob es sich um eine Kündigung aus wichtigem Grund gehandelt hat oder um eine freie Kündigung, gegenteilige Auffassungen. Das galt insbesondere für die zu prüfende Vorfrage, ob hier die VOB/B überhaupt einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegt.
Der Bundesgerichtshof vertrat dazu vor rund 40 Jahren noch die Auffassung, dass die Klauseln der VOB/B, die als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind, keiner Inhaltskontrolle unterliegen, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hat. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2004 dahingehend modifiziert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist grundsätzlich die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vereinbart werden. Ob eventuell benachteiligende Regelungen möglicherweise durch andere Regelungen „ausgeglichen“ werden, ist unerheblich.
Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag beinhaltete nach den Feststellungen des Gerichts derartige Abweichungen. Damit war die VOB/B nicht mehr als Ganzes vereinbart und der Weg zu einer Inhaltskontrolle war eröffnet.
Bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2023 war umstritten, ob die Regelungen in §§ 4 Nr. 7 S. 3, 8 Nr. 3 S. 1 Var. 1 VOB/B einer Inhaltskontrolle standhalten oder ob sie den Auftragnehmer unangemessen benachteiligen und damit unwirksam sind.
Der VII. Senat entschied die Frage dahingehend, dass § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung zu den Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund nicht zu vereinbaren sind. Die Klauseln benachteiligen den Auftragnehmer unangemessen und sind deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Der Bundesgerichtshof begründete diese Entscheidung damit, dass nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei jedweder mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung eine Kündigung einschränkungslos ausgesprochen werden könne. Diese Möglichkeit bestehe losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukomme. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) differenziere nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen könnten.
Damit widerspreche diese Kündigungsmöglichkeit dem gesetzlichen Leitbild der §§ 648a, 314 BGB, deren Voraussetzung stets die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung ist. Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase könne im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nach dem gesetzlichen Leitbild nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potenziell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben. Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen.
Die durch den BGH mit dieser Entscheidung geschaffene Klarheit ist grundsätzlich zu begrüßen. Dem Auftraggeber verbleibt wegen während der Erfüllungsphase auftretender Mängel (nur) noch das Kündigungsrecht gemäß § 648a BGB. Der BGH deutet in seiner Entscheidung bereits an, dass danach solche Mängel die Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber unzumutbar machen, die noch während der Bauausführung zu beheben sind. Dies können etwa Mängel an Bauteilen sein, die durch nachfolgende Gewerke verdeckt werden oder auf welche nachfolgende Gewerke aufbauen. Hier besteht für den Auftraggeber schon während der Bauausführung ein Interesse, dass diese Mängel unverzüglich beseitigt werden. Zu denken ist auch an die Kündigungsmöglichkeit nach §§ 5 Abs. 4 Var. 2, 8 Abs. 3 S. 1 Var. 2 VOB/B, soweit der Auftragnehmer mit der (abnahmereifen) Vollendung seiner Leistung in Vollzug geraten ist.
Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund muss aus Sicht des Auftraggebers seit dem 19. Januar 2023 noch sorgfältiger vorbereitet und begründet werden. Wir unterstützen Sie dabei gern.
Das Wind-an-Land-Gesetzespaket tritt in Kraft – eine Revolution bei den rechtlichen Rahmenbedingungen zum Ausbau von Windenergieanlagen
Zum 1. Februar 2023 treten die meisten Neuregelungen des „Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land“ (sog. Wind-an-Land-Gesetz) in Kraft. Tatsächlich handelt es sich nicht nur um ein Gesetz, sondern um ein ganzes Gesetzespaket, das bereits im Bundesgesetzblatt vom 28. Juli 2022 (BGBL. I S. 1353 ff.) bekannt gemacht worden war.
Zu den gesetzlichen Neuregelungen gehören unter anderem das Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG), das u.a. bestimmt, was „Windenergiegebiete“ sind, welche Flächenziele die einzelnen Bundesländer jeweils erreichen müssen und welche Flächen künftig anrechenbar sind. Zu den Neuregelungen gehören auch Änderungen im Baugesetzbuch, im Raumordnungsgesetz und im Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG). § 249 Abs. 1 BauGB n.F. regelt z.B., dass § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (Ausschlusswirkung) auf Windenergieanlagen grundsätzlich nicht mehr anwendbar ist. Übergangsregelungen für bestehende Regionalpläne spielen insoweit jedenfalls in Brandenburg keine Rolle, da keine der fünf Regionalen Planungsgemeinschaften in Brandenburg rechtzeitig Ausweisungen nach altem Recht vornehmen konnte. Folge im Land Brandenburg ist, dass es bis zum Inkrafttreten der neuen Regionalpläne keine großflächige Steuerung für die Errichtung von Windenergieanlagen gibt. Das Land hatte das Windkraft-Moratorium zur Sicherung der in Aufstellung befindlichen Regionalpläne mit Blick auf den Wegfall der Ausschlusswirkung schon im November 2022 aufgehoben und dabei auch deutlich gemacht, dass es zur Sicherung der neuen Pläne keine landesplanerischen Untersagungen geben wird (ABl. Bbg. v. 16.11.2022, S. 899). Das Brandenburgische Windenergieanlagenabstandsgesetz (1.000 m zur Wohnbebauung) bleibt aber zunächst bestehen. Es kippt nur dann, wenn die Flächenbeitragswerte nicht fristgerecht erreicht werden sollten.
Mit dem Wind-an-Land-Gesetzespaket wird die bisherige Rechtslage nicht nur ein bisschen reformiert. Die Neuregelungen, die nunmehr in Kraft treten, sind vielmehr eine gesetzgeberische Revolution. Für die Regionalplanung soll es künftig einfacher werden: keine gesamträumlichen Planungskonzepte mehr, keine „harten“ und „weichen“ Tabuzonen und für die Rechtswirksamkeit soll es künftig unbeachtlich sein, ob und welche Flächen im Planungsraum neben den dann ausgewiesenen Windenergiegebieten noch für die Ausweisung geeignet wären (vgl. § 249 Abs. 6 BauGB n.F.). Auch für Projektentwickler und Windenergieanlagenbetreiber soll es künftig leichter werden. Insbesondere § 45b BNatSchG n.F. zum Artenschutz mit den bundeseinheitlich vorgegebenen Abständen und Prüfbereichen für schützenswerte Brutvogelarten soll zur Beschleunigung in den Genehmigungsverfahren beitragen. Dazu kommen die Neuregelungen zum Repowering, wonach der Ersatz von Altanlagen durch neue künftig auch außerhalb der Windenergiegebiete zulässig sein wird. Den Gemeinden steht es frei, zusätzliche Flächen für Windenergieanlagen in ihren Bauleitplänen auszuweisen. Einschränkende Festsetzungen, etwa Höhenbeschränkungen in Bauleitplänen, führen hingegen dazu, dass diese Flächen auf die zu erzielenden Flächenbeitragswerte nicht angerechnet werden dürfen (vgl. § 4 Abs. 1 WindBG). Nun wird es darum gehen, die zahlreichen Neuregelungen mit Leben zu erfüllen. Dabei unterstützen wir Sie gern.
Prozessführungsbefugnis der WEG – Vergemeinschaftung weiterhin möglich BGH, Urteil v. 11.11.2022 – V ZR 213/21
Durch neues BGH-Urteil endlich Klarheit – die Vergemeinschaftung zur Geltendmachung von Mängelrechten in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum ist auch nach der WEG-Reform seit 1. Dezember 2020 und insbesondere nach Wegfall des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG aF möglich
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat laut seiner Pressemitteilung entschieden, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (WEG) weiterhin die Durchsetzung von auf die Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gerichteten Rechte der Erwerber an sich ziehen kann.
Vor der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes war in § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG aF geregelt, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft Mängelrechte aus den Kauf- oder Werkverträgen der Erwerber durch Beschluss an sich ziehen und durchsetzen kann. Diese Rechtsnorm zur „Vergemeinschaftung durch Beschluss“ ist mit der Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes seit 1. Dezember 2020 ersatzlos weggefallen.
Nunmehr regelt § 9a Abs. 2 WEG nur noch, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer ausüben kann, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern. Die WEG kann die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahrnehmen (sogenannte „geborene Ausübungsbefugnis“).
Dies hat zur allgemeinen Rechtsunsicherheit geführt, denn in der Gesetzesbegründung des WEMoG hieß es, dass die Rechtsprechung zum Bauträgerrecht beibehalten bleiben soll – und damit auch die Möglichkeit der Vergemeinschaftung von primären Mängelrechten, vgl. u.a. LG München I, Urteil v.12.08.2021 – 36 S 2639/20. Dies führte zu der überwiegenden Annahme, dass Vergemeinschaftungsbeschlüsse wohl weiter wirksam sein müssen, sodass diese weiterhin gefasst wurden und auch auf der Grundlage solcher Beschlüsse geklagt wurde.
Der BGH hat nun endgültig Klarheit geschaffen. Die Vergemeinschaftung ist weiterhin möglich; Vergemeinschaftschaftungsbeschlüsse sind weiterhin wirksam. Die Begründung des Gerichts ist noch nicht veröffentlicht.
Der BGH hat weiter klargestellt, dass § 9a Abs. 2 WEG nF jedenfalls nicht die primären Mängelrechte der Wohnungseigentümer erfasst, da sich diese Ansprüche nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum, sondern aus den individuellen Erwerbsverträgen ergeben. Die Verfolgung der individuellen Mängelrechte aus dem Gemeinschaftseigentum der Erwerber erfordern keine einheitliche Rechtsverfolgung. Der Wohnungseigentümer, der selbständig die Mängelbeseitigung hinsichtlich von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gegen den Veräußerer verfolgt, handelt grundsätzlich auch im wohlverstandenen Interesse aller anderen Wohnungseigentümer. Er darf seine vertraglichen Rechte selbst wahrnehmen, so ließ es der BGH in seiner Pressemitteilung verlauten:
„Eine Vergemeinschaftung der auf das Gemeinschaftseigentum bezogenen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüche der Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss wird durch § 9a Abs. 2 WEG andererseits nicht ausgeschlossen. Die Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergibt sich in der Sache unverändert aufgrund der Verwaltungsbefugnis für das gemeinschaftliche Eigentum sowie der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen Erhaltung. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, der zufolge die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Bauträgerrecht, nach der eine Vergemeinschaftung von werkvertraglichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen möglich war, fortgelten soll. Entsprechendes muss für die Vergemeinschaftung von kaufrechtlichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen gelten. Nur diese Sichtweise trägt der nach der Reform unveränderten Interessenlage der Wohnungseigentümer hinreichend Rechnung. Dass die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums nunmehr der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer obliegt, hat nichts daran geändert, dass es Sache der Wohnungseigentümer ist, in der Eigentümerversammlung darüber zu befinden, auf welche Weise Mängel am Gemeinschaftseigentum zu beseitigen sind. Ordnungsmäßiger Verwaltung wird es auch weiterhin in aller Regel entsprechen, einen gemeinschaftlichen Willen darüber zu bilden, wie die ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu bewirken ist und ggf. welche vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden sollen.“
Damit ist die heftig umstrittene Frage der Aktivlegitimation nach der WEG-Reform in den laufenden Verfahren zu Gunsten der WEG entschieden. Zu den zahlreichen Neuregelungen im Bereich des Wohnungseigentumsrechts beraten wir Bauträger und Planungsgesellschaften gern.
Die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2022 finden Sie hier.
Team Immobilienrecht
Verbot von Windenergieanlagen im Wald verfassungswidrig BVerfG, Beschluss v. 27.9.2022 – 1 BvR 2661/21
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass § 10 Abs. 1 S. 2 ThürWaldG, wonach die Errichtung von Windenergieanlagen im Wald unzulässig ist, mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig ist.
Ein solches Verbot der Änderung der Nutzungsart von Wald sei weder mit Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie) noch mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 i.V.m. Art. 72 Abs. 1 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung vereinbar. Der Bund habe seine Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Bodennutzung durch gesetzliche Regelungen im Baugesetzbuch – im Bereich der Windenergienutzung insbesondere durch §§ 35 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3, 249 Abs. 3 Satz 3 BauGB sowie künftig durch die Neuregelungen des Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land – abschließend genutzt, so dass für landesrechtliche Regelungen kein Raum sei. Eine über die Länderöffnungsklausel und Abstandsregelung des § 249 Abs. 3 BauGB hinausgehende Öffnung, aus der der Landesgesetzgeber eine Kompetenz für den generellen Ausschluss von Windenergieanlagen auf Waldflächen herleiten könnte, enthalte das Baugesetzbuch nicht.
Auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG könne sich der Landesgesetzgeber nicht berufen, weil das Verbot zur Errichtung von Windenergieanlagen nach dem ThürWaldG nicht an der Eigenart oder Lage konkreter Teile der Natur und Landschaft ansetze, die besonders schutz- oder entwicklungsbedürftig seien, sondern ausnahmslos alle Waldgebiete vor Bebauung durch Windenergieanlagen schützen wollte. Im Freistaat Thüringen bestehe ein nennenswerter Teil des Waldes aus sog. Kalamitätsflächen, bei denen eine forstwirtschaftliche Nutzung wegen Waldschäden, etwa aufgrund von Sturmfolgen oder Schädlingen nicht oder nur eingeschränkt möglich sei. Nur etwa 20 % der Bäume im Thüringer Wald gelten nach dem aktuellen Waldzustandsbericht des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft als gesund. Insgesamt macht Wald nach Angaben der Fachagentur Windenergie an Land 34 % der Fläche des Freistaates Thüringen aus.
Eigentümerinnen und Eigentümer von Waldgrundstücken hatten die Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie hatten geltend gemacht, dass der Waldbestand auf ihren Grundstücken teilweise insbesondere durch Schädlingsbefall erheblich geschädigt sei und daher gerodet werden musste. Diese Flächen wollen sie für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen nutzen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erging zwar zu einer Norm im ThürWaldG, dürfte aber auch Auswirkungen auf andere Bundesländer haben. Unter anderem enthalten die Landeswaldgesetze von Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ähnliche Regelungen. Aufgrund der umfangreichen bundesrechtlichen Neuregelungen und des Systemwechsels im Bereich der Planung von Standorten für die Windenergienutzung müssen alle Landesgesetzgeber und Regionalen Planungsgemeinschaften bzw. –verbände ihre bisherigen Regelungen ehedem auf den Prüfstand stellen.
Zu den zahlreichen Neuregelungen im Bereich der Windenergie beraten wir Planungsträger und Vorhabenträger gern.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts finden Sie hier.
Stadtportale und das Gebot der „Staatsferne der Presse“
Neues BGH-Urteil zu den rechtlichen Grenzen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit
Mit Urteil vom 14. Juli 2022 (I ZR 97/21) hat der Bundesgerichtshof über die Frage entschieden, ob eine Kommune im Internet ein Stadtportal betreiben darf. Geklagt hatte ein Presseverlag, der u.a. ein Nachrichtenportal anbietet und sich durch das Stadtportal mit seinen zum Teil redaktionell aufbereiteten Inhalten und Werbeanzeigen in seiner Pressefreiheit beeinträchtigt sah. Die öffentliche Hand dürfe nicht in Konkurrenz zur freien Presse treten. Der Presseverlag machte gegen das Portal daher einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend. Dabei stützte er sich auf das Gebot der Staatsferne der Presse als Marktverhaltensregelung.
Rechtlicher Hintergrund
Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist zulässig, sofern sie sich im zugewiesenen Aufgabenbereich hält und zum Ziel hat, den Bürger sachlich, nüchtern und korrekt zu unterrichten. Dies soll ihm eine eigenverantwortliche Mitwirkung am Gemeinwesen ermöglichen. Der Betrieb von Stadtportalen als Teil der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit findet seine Ermächtigung in der Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen aus Artikel 28 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz. Grenzen gesetzt werden dem staatlichen Informationshandeln andererseits durch das auf dem Grundrecht der Pressefreiheit beruhenden Gebot der Staatsferne der Presse. Staatsferne der Presse bedeutet, dass es keine „Staatspresse“ geben darf. Der Staat darf kein „Presseerzeugnis“ anbieten, d.h. keine Veröffentlichung, die mit privaten Medienangeboten konkurriert und diese womöglich verdrängen könnte.
Für die Frage, wann das der Fall ist, kommt es nach der Rechtsprechung des BGH auf den Gesamtcharakter der staatlichen Veröffentlichung an. Bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind die optische Gestaltung der Publikation (kein pressemäßiges Lay-out), redaktionelle (Darstellungs-) Elemente, die Vertriebsfrequenz und die (Un-)Entgeltlichkeit bzw. Anzeigenschaltung. Entscheidend ist das Potential der staatlichen Publikation, die freie Presse zu substituieren. Dabei kommt es auf das Gesamtwerk an. Einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikeln allein begründen keine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse.
Die Stadtportal-Entscheidung des BGH
Diese anhand von Printpublikationen wie insbesondere Amtsblättern entwickelten Grundsätze hat der BGH in seiner am 14. Juli 2022 ergangenen Entscheidung, zu der bisher allerdings noch nicht das schriftliche Urteil, sondern nur eine Pressemitteilung vorliegt (siehe https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/2022108.html?nn=10690868), nunmehr auf Online-Angebote übertragen: Das Gebot der Staatsferne der Presse schütze auch vor Substitutionseffekten kommunaler Online-Informationsangebote, die dazu führten, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen könne. Entscheidend sei, ob der Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses geeignet ist, die Pressefreiheit zu gefährden. Um dies festzustellen, sei eine wertende Gesamtbetrachtung des staatlichen Publikationsangebots vorzunehmen.
Im konkreten Fall kam der BGH zu dem Ergebnis, dass die Institutsgarantie der freien Presse nicht gefährdet sei. Bei einer Internetpublikation käme es für die Abgrenzung nicht auf das rein quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen an. Entscheidend sei vielmehr, ob die unzulässigen Artikel das Gesamterscheinungsbild der Publikation prägten. Dies verneinte der BGH für das zu beurteilende Stadtportal.
Zwar fand der BGH ebenso wie das Berufungsgericht, dass einzelne Artikel auf dem Stadtportal durchaus das Gebot der Staatsferne verletzten. Für die Beurteilung stellte er darauf ab, ob die Berichterstattung dazu dient, Politik verständlich zu machen und staatliche Tätigkeit transparent zu gestalten oder ob es sich um eine pressemäßige Berichterstattung handelt. Die Gesamtbetrachtung nach den oben genannten Maßstäben ergab jedoch, dass diese Artikel das Gesamterscheinungsbild nicht prägen.
Folgerungen für die Praxis
Zunächst einmal ist mit der Entscheidung geklärt, dass die zu Printprodukten entwickelten Maßstäbe auf Onlineangebote wie Stadtportale übertragbar sind. Stadtportale sind grundsätzlich vom Recht auf kommunale Selbstverwaltung gedeckt. Unzweifelhaft zulässig ist die Veröffentlichung von Informationen, die nur dem Staat vorliegen und für deren Veröffentlichung es eine administrative, politische oder rechtliche Notwendigkeit gibt. Zulässig ist darüber hinaus ein Stadtmarketing, das dem Ziel dient, die Attraktivität der Kommune zu steigern und ihre Stärken darzustellen. Denn im Rahmen der kommunalen Wirtschaftsförderung ist auch Aufgabe der Gemeinde, bessere Bedingungen für ortsansässige Unternehmen zu schaffen und den Tourismus zu fördern. Dabei ist jedoch streng darauf zu achten, dass die Darstellung auf die allgemeine, sachliche und neutrale Information beschränkt bleibt.
Seine Grenze findet das kommunale Stadtmarketing angesichts des Gebots der Staatsferne der Presse in der Veröffentlichung solcher Informationen, deren Mitteilung zu den originären Aufgaben der Lokalpresse gehören. Das betrifft jegliche Form redaktioneller Berichterstattung, insbesondere über gesellschaftliche Ereignisse und das Leben in der Stadt oder Gemeinde. Es betrifft aber auch Berichte über ortsansässige Unternehmen sowie Beiträge, die der Meinungsbildung der Öffentlichkeit dienen. Auch bei der Anzeigenschaltung ist Zurückhaltung geboten. Sie ist nicht grundsätzlich unzulässig, darf aber nur in begrenztem Umfang erfolgen und allein der Kostendeckung dienen.
Strenge Anforderungen an den Erlass eines Haftungsbescheides nach § 191 Abs. 1 Abgabenordnung
Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, kann nach § 191 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) durch einen Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Unter diese Vorschrift fallen nach § 69 AO vor allem die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 b des Kommunalabgabengesetzes gilt dies in Brandenburg, wie in den anderen Bundesländern, auch für kommunale Steuern, Gebühren und Beiträge. Die Vorschrift eröffnet der zuständigen Behörde bei Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen Ermessen, ob sie den Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will (Entschließungsermessen) und welcher von mehreren Haftungsschuldnern dies sein soll (Auswahlermessen). Das OVG Münster hat in einem Beschluss vom 20. August 2021 – 14 B 1192/21 – jetzt strenge Anforderungen an die Ausübung dieses Ermessens gestellt.
Die Ermessensentscheidung ist danach nur dann fehlerfrei, wenn die Behörde den für die Ausübung des Ermessens erheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt hat. Bezogen auf die Ausübung des Auswahlermessens bedeutet dies, dass die Behörde u.a. ermitteln muss, ob weitere Personen als Haftungsschuldner im Sinne des § 191 Abs. 1 Satz 1 AO vorhanden sind oder nicht. Geht die Behörde davon aus, nur die von ihr in Anspruch genommene Person sei Haftungsschuldner, obwohl auch andere Personen als Haftungsschuldner in Betracht kommen, fehlt es, so das Gericht, an einer tragfähigen Grundlage für die sachgerechte Ausübung des Auswahlermessens und die Ermessensentscheidung ist schon deshalb fehlerhaft.
Mit dem beanstandeten Bescheid hatte die Behörde die Geschäftsführerin einer Gesellschaft (UG) für die Gewerbesteuerschuld der Gesellschaft in Anspruch genommen. Im Laufe des Verfahrens stellte sich heraus, dass auch der Ehemann der Geschäftsführerin, der zeitweise die Geschäftsführung innehatte, als Haftungsschuldner in Betracht kam. Dies hatte die Behörde nicht geprüft und deswegen in dem angefochtenen Bescheid auch nicht berücksichtigt. Das führte zur Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides.
Wie streng die Anforderungen an die Ermessensausübung sind zeigt sich darin, dass es nach Auffassung des Gerichts unbeachtlich war, dass die in Anspruch genommene Geschäftsführerin weder im Verwaltungs- noch im Widerspruchsfahren darauf hingewiesen hatte, dass zeitweise nicht sie, sondern ihr Ehemann Geschäftsführer war. Die Behörde hätte dies von sich aus ermitteln müssen. Ein Blick ins Handelsregister gehöre zu den Selbstverständlichkeiten vor jeder Inanspruchnahme des Geschäftsführers oder der Geschäftsführerin einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Der Haftung für eine fremde Schuld geht regelmäßig die Inanspruchnahme desjenigen voraus, der die Steuer, die Gebühr oder den Beitrag unmittelbar schuldet. Dies kann ebenfalls eine Mehrheit von natürlichen oder juristischen Personen sein, die gemäß § 44 AO als Gesamtschuldner haften. Auch hier trifft die Behörde eine Ermessensentscheidung, wen sie in Anspruch nehmen will. Zwar sind die Anforderungen, die die Verwaltungsgerichte in ihrer Rechtsprechung bisher an diese Ermessensausübung gestellt haben, eher gering. So wird regelmäßig, jedenfalls außerhalb des Steuerrechts, weder eine Begründung der Ermessensauswahl gefordert noch beanstandet, wenn lediglich ein Gesamtschuldner herangezogen wird. Es sei denn, dass für eine andere Auswahl ein hinreichender schutzwürdiger Anlass bestand (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1993 – 8 C 57/91 –, juris).
Gleichwohl sollte die Entscheidung des OVG Münster auch bei der Inanspruchnahme aus einer öffentlich-rechtlichen Gesamtschuld berücksichtigt werden. Vor der Heranziehung eines Leistungsverpflichteten sollte daher sorgfältig geprüft werden, ob (1.) weitere Verpflichtete – als Gesamtschuldner – in Betracht kommen und (2.) welche dies sind. Schließlich (3.), ob besondere Umstände für oder gegen die Heranziehung eines der Gesamtschuldner sprechen. Eine auf dieser Basis getroffen Auswahlentscheidung dürfte dann rechtssicher sein.
EuGH schafft Klarheit hinsichtlich der Mindestsätze der HOAI – sie gelten für Alt-Verträge weiter (EuGH, Urteil vom 18. Januar 2022, Rs. C-261/20)
Seit der Entscheidung des EuGH vom 4. Juli 2019 – Rs. C-377/17 – bestand Rechtsunsicherheit hinsichtlich von Altverträge, ob bei diesen die Mindestsätze der HOAI noch Anwendung finden würden. Diese Unsicherheit wurde jetzt beseitigt.
Mit einem Paukenschlag entschied der Europäische Gerichtshof am 18. Januar 2022 über die lange umstrittene und seit Sommer 2019 intensiv diskutierte Frage zugunsten des nationalen Rechts. Gegen das Votum des Generalsanwalts beim EuGH hat der Europäische Gerichtshof bestätigt, dass in Alt-Verträgen die Mindestsätze weiterhin gefordert werden können.
In seiner Entscheidung vom 4. Juli 2019 – Rs. C-377/17 – hatte der Europäische Gerichtshof in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland entschieden, dass der verbindliche Preisrahmen der HOAI gegen die bis zum 28. Dezember 2009 in nationales Recht umzusetzende Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) verstößt.
Durch die festgestellte Verletzung von EU-Recht durch die Regelungen zum Mindestsatz der HOAI wurde in der Instanzenrechtsprechung diskutiert, ob in bestehenden Verträgen die Planer bei abweichenden Honorarvereinbarungen die Mindestsätze der HOAI verlangen können oder ob dies durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Juli 2019 ausgeschlossen wurde.
Diese Frage hat der europäische Gerichtshof auf den Vorlagenbeschluss des BGH vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 – zugunsten des nationalen Rechts klar beantwortet. Demnach richten sich die Richtlinien der Europäischen Union nur an die jeweiligen Mitgliedsstaaten und erlegen nicht den Einzelnen Verpflichtungen auf.
Hiervon wurden in der Vergangenheit durch den Europäischen Gerichtshof vielfältige Ausnahmen vorgenommen, die jedoch in der vorliegenden Entscheidung zur HOAI keine Erwähnung gefunden haben. Insoweit steht fest, dass sich das ursprüngliche Urteil im Vertragsverletzungsverfahren ausschließlich gegen die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat richtet und nicht Einzelnen individuelle Rechte verleiht. Aus diesem Grund sind die Mindestsatzregeln der HOAI weiterhin anwendbar, auch wenn sie gegen das Unionsrecht verstoßen. Auch dürfen sich Gerichte und sonstige Rechtsanwender nicht auf das Unionsrecht zur Auslegung der entsprechenden Vorschriften der HOAI berufen.
Dies gilt auch für die öffentliche Hand, sofern sie Planungsleistungen nach der HOAI beauftragt. Dies stellt kein Über-/ Unterordnungsverhältnis dar, in dem die öffentliche Hand das Unionsrecht zu beachten hat. Vielmehr gilt in diesem privatrechtlichen Verhältnis zum Auftragnehmer das nationale Recht der HOAI.
Dies führt im Ergebnis dazu, dass über diverse anhängige Aufstockungsklagen entschieden werden muss, wobei die Frage der Unionsrechtswidrigkeit der Vorschriften zum Mindestsatz der HOAI keine Berücksichtigung finden dürfen.
Es ist gut, dass der europäische Gerichtshof für diese Klarheit gesorgt hat. Diese ist jedoch nur für Altfälle relevant, in denen die HOAI in der bis zum 31. Januar 2020 geltenden Form vereinbart wurde. In der ab dem 1. Januar 2022 geltenden HOAI wurde das „Korsett“ der Mindest- und Höchstsätze abgelegt. Stattdessen liefern die Basishonorarsätze bzw. die Spanne zwischen oberem Honorarsatz und unteren Honorarsatz die Orientierung für eine angemessene Honorierung von Planungsleistungen.
Rückforderung von Corona-Hilfen – Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz
Der Bund und die Länder haben in den letzten zwei Jahren eine Vielzahl von Hilfsprogrammen aufgelegt, um durch die Pandemie veursachte wirtschaftliche Notlagen von Privatpersonen oder wirtschaftlichen Unternehmen abzumildern: Überbrückungs-, Neustart- und Härtefallhilfen, Soforthilfeprogramme, Coronahilfen für Start-ups, November – Dezemberhilfen. Die Aufzählung ist nicht abschließend.
Nach Auszahlung der Hilfsgelder häufen sich mittlerweile die Verfahren, die die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Mittelgewährung zum Gegenstand haben. Kommt die Behörde, die die Hilfsgelder bewilligt hat, zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Auszahlung nicht gegeben waren, werden die Beträge durch Verwaltungsakt zurückgefordert. Entsprechende Rückforderungsverfahren beschäftigen zunehmend die Verwaltungsgerichte (vgl. etwa VG Gießen, Urt. vom 21. April 2021 – 4 K 3825/20 und vom 5. November 2021 – 4 K 615/21, VG Würzburg, Urt. vom 18. Oktober 2021 – 8 K 21.716, VG München, Urt. vom 16. Dezember 2021 – 31 K 21.3624, VG Düsseldorf, Urt. vom 14. Dezember 2021 – 20 K 4706/20). Die Bedeutung dieser Verfahren wird im Jahr 2022 deutlich zunehmen.
Für die Betroffenen ist die Prüfung, ob die Rückforderungen berechtigt ist oder ob der Bescheid angefochten werden soll, nicht selten von existenzieller Bedeutung. Dabei geht es nicht nur darum, ob die Rückforderung rechtmäßig ist. Denn die Beantwortung dieser Frage bildet eine wichtige Weichenstellung für Folgefragen: Besteht eine Strafbarkeit wegen Subventionsbetruges? Droht bei Unternehmen der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungsverfahren? Sind gewerberechtliche Konsequenzen (Unzuverlässigkeit?) zu befürchten. Wer diese komplizierten Rechtsfragen nicht selbst zuverlässig beantworten kann, ist gut beraten, sich anwaltlichen Beistand in der Auseinandersetzung über den Rückforderungsbescheid zu sichern.
Die Sozietät verfügt über langjährige Erfahrung in fördermittelrechtlichen Verfahren und berät gerne in außergerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen über die Rückforderung öffentlicher Mittel.