Staat und VerwaltungVON Dr. Christine Danziger, LL.M.
Stadtportale und das Gebot der „Staatsferne der Presse“

Neues BGH-Urteil zu den rechtlichen Grenzen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit

Mit Urteil vom 14. Juli 2022 (I ZR 97/21) hat der Bundesgerichtshof über die Frage entschieden, ob eine Kommune im Internet ein Stadtportal betreiben darf. Geklagt hatte ein Presseverlag, der u.a. ein Nachrichtenportal anbietet und sich durch das Stadtportal mit seinen zum Teil redaktionell aufbereiteten Inhalten und Werbeanzeigen in seiner Pressefreiheit beeinträchtigt sah. Die öffentliche Hand dürfe nicht in Konkurrenz zur freien Presse treten. Der Presseverlag machte gegen das Portal daher einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend. Dabei stützte er sich auf das Gebot der Staatsferne der Presse als Marktverhaltensregelung.

Rechtlicher Hintergrund

Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist zulässig, sofern sie sich im zugewiesenen Aufgabenbereich hält und zum Ziel hat, den Bürger sachlich, nüchtern und korrekt zu unterrichten. Dies soll ihm eine eigenverantwortliche Mitwirkung am Gemeinwesen ermöglichen. Der Betrieb von Stadtportalen als Teil der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit findet seine Ermächtigung in der Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen aus Artikel 28 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz. Grenzen gesetzt werden dem staatlichen Informationshandeln andererseits durch das auf dem Grundrecht der Pressefreiheit beruhenden Gebot der Staatsferne der Presse. Staatsferne der Presse bedeutet, dass es keine „Staatspresse“ geben darf. Der Staat darf kein „Presseerzeugnis“ anbieten, d.h. keine Veröffentlichung, die mit privaten Medienangeboten konkurriert und diese womöglich verdrängen könnte.

Für die Frage, wann das der Fall ist, kommt es nach der Rechtsprechung des BGH auf den Gesamtcharakter der staatlichen Veröffentlichung an. Bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind die optische Gestaltung der Publikation (kein pressemäßiges Lay-out), redaktionelle (Darstellungs-) Elemente, die Vertriebsfrequenz und die (Un-)Entgeltlichkeit bzw. Anzeigenschaltung. Entscheidend ist das Potential der staatlichen Publikation, die freie Presse zu substituieren. Dabei kommt es auf das Gesamtwerk an. Einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikeln allein begründen keine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse.

Die Stadtportal-Entscheidung des BGH

Diese anhand von Printpublikationen wie insbesondere Amtsblättern entwickelten Grundsätze hat der BGH in seiner am 14. Juli 2022 ergangenen Entscheidung, zu der bisher allerdings noch nicht das schriftliche Urteil, sondern nur eine Pressemitteilung vorliegt (siehe https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/2022108.html?nn=10690868), nunmehr auf Online-Angebote übertragen: Das Gebot der Staatsferne der Presse schütze auch vor Substitutionseffekten kommunaler Online-Informationsangebote, die dazu führten, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen könne. Entscheidend sei, ob der Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses geeignet ist, die Pressefreiheit zu gefährden. Um dies festzustellen, sei eine wertende Gesamtbetrachtung des staatlichen Publikationsangebots vorzunehmen.

Im konkreten Fall kam der BGH zu dem Ergebnis, dass die Institutsgarantie der freien Presse nicht gefährdet sei. Bei einer Internetpublikation käme es für die Abgrenzung nicht auf das rein quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen an. Entscheidend sei vielmehr, ob die unzulässigen Artikel das Gesamterscheinungsbild der Publikation prägten. Dies verneinte der BGH für das zu beurteilende Stadtportal.

Zwar fand der BGH ebenso wie das Berufungsgericht, dass einzelne Artikel auf dem Stadtportal durchaus das Gebot der Staatsferne verletzten. Für die Beurteilung stellte er darauf ab, ob die Berichterstattung dazu dient, Politik verständlich zu machen und staatliche Tätigkeit transparent zu gestalten oder ob es sich um eine pressemäßige Berichterstattung handelt. Die Gesamtbetrachtung nach den oben genannten Maßstäben ergab jedoch, dass diese Artikel das Gesamterscheinungsbild nicht prägen.

Folgerungen für die Praxis

Zunächst einmal ist mit der Entscheidung geklärt, dass die zu Printprodukten entwickelten Maßstäbe auf Onlineangebote wie Stadtportale übertragbar sind. Stadtportale sind grundsätzlich vom Recht auf kommunale Selbstverwaltung gedeckt. Unzweifelhaft zulässig ist die Veröffentlichung von Informationen, die nur dem Staat vorliegen und für deren Veröffentlichung es eine administrative, politische oder rechtliche Notwendigkeit gibt. Zulässig ist darüber hinaus ein Stadtmarketing, das dem Ziel dient, die Attraktivität der Kommune zu steigern und ihre Stärken darzustellen. Denn im Rahmen der kommunalen Wirtschaftsförderung ist auch Aufgabe der Gemeinde, bessere Bedingungen für ortsansässige Unternehmen zu schaffen und den Tourismus zu fördern. Dabei ist jedoch streng darauf zu achten, dass die Darstellung auf die allgemeine, sachliche und neutrale Information beschränkt bleibt.

Seine Grenze findet das kommunale Stadtmarketing angesichts des Gebots der Staatsferne der Presse in der Veröffentlichung solcher Informationen, deren Mitteilung zu den originären Aufgaben der Lokalpresse gehören. Das betrifft jegliche Form redaktioneller Berichterstattung, insbesondere über gesellschaftliche Ereignisse und das Leben in der Stadt oder Gemeinde. Es betrifft aber auch Berichte über ortsansässige Unternehmen sowie Beiträge, die der Meinungsbildung der Öffentlichkeit dienen. Auch bei der Anzeigenschaltung ist Zurückhaltung geboten. Sie ist nicht grundsätzlich unzulässig, darf aber nur in begrenztem Umfang erfolgen und allein der Kostendeckung dienen.