EuGH schafft Klarheit hinsichtlich der Mindestsätze der HOAI – sie gelten für Alt-Verträge weiter (EuGH, Urteil vom 18. Januar 2022, Rs. C-261/20)

Seit der Entscheidung des EuGH vom 4. Juli 2019 – Rs. C-377/17 – bestand Rechtsunsicherheit hinsichtlich von Altverträge, ob bei diesen die Mindestsätze der HOAI noch Anwendung finden würden. Diese Unsicherheit wurde jetzt beseitigt.

Mit einem Paukenschlag entschied der Europäische Gerichtshof am 18. Januar 2022 über die lange umstrittene und seit Sommer 2019 intensiv diskutierte Frage zugunsten des nationalen Rechts. Gegen das Votum des Generalsanwalts beim EuGH hat der Europäische Gerichtshof bestätigt, dass in Alt-Verträgen die Mindestsätze weiterhin gefordert werden können.

In seiner Entscheidung vom 4. Juli 2019 – Rs. C-377/17 – hatte der Europäische Gerichtshof in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland entschieden, dass der verbindliche Preisrahmen der HOAI gegen die bis zum 28. Dezember 2009 in nationales Recht umzusetzende Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) verstößt.

Durch die festgestellte Verletzung von EU-Recht durch die Regelungen zum Mindestsatz der HOAI wurde in der Instanzenrechtsprechung diskutiert, ob in bestehenden Verträgen die Planer bei abweichenden Honorarvereinbarungen die Mindestsätze der HOAI verlangen können oder ob dies durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Juli 2019 ausgeschlossen wurde.

Diese Frage hat der europäische Gerichtshof auf den Vorlagenbeschluss des BGH vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 – zugunsten des nationalen Rechts klar beantwortet. Demnach richten sich die Richtlinien der Europäischen Union nur an die jeweiligen Mitgliedsstaaten und erlegen nicht den Einzelnen Verpflichtungen auf.

Hiervon wurden in der Vergangenheit durch den Europäischen Gerichtshof vielfältige Ausnahmen vorgenommen, die jedoch in der vorliegenden Entscheidung zur HOAI keine Erwähnung gefunden haben. Insoweit steht fest, dass sich das ursprüngliche Urteil im Vertragsverletzungsverfahren ausschließlich gegen die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat richtet und nicht Einzelnen individuelle Rechte verleiht. Aus diesem Grund sind die Mindestsatzregeln der HOAI weiterhin anwendbar, auch wenn sie gegen das Unionsrecht verstoßen. Auch dürfen sich Gerichte und sonstige Rechtsanwender nicht auf das Unionsrecht zur Auslegung der entsprechenden Vorschriften der HOAI berufen.

Dies gilt auch für die öffentliche Hand, sofern sie Planungsleistungen nach der HOAI beauftragt. Dies stellt kein Über-/ Unterordnungsverhältnis dar, in dem die öffentliche Hand das Unionsrecht zu beachten hat. Vielmehr gilt in diesem privatrechtlichen Verhältnis zum Auftragnehmer das nationale Recht der HOAI.

Dies führt im Ergebnis dazu, dass über diverse anhängige Aufstockungsklagen entschieden werden muss, wobei die Frage der Unionsrechtswidrigkeit der Vorschriften zum Mindestsatz der HOAI keine Berücksichtigung finden dürfen.

Es ist gut, dass der europäische Gerichtshof für diese Klarheit gesorgt hat. Diese ist jedoch nur für Altfälle relevant, in denen die HOAI in der bis zum 31. Januar 2020 geltenden Form vereinbart wurde. In der ab dem 1. Januar 2022 geltenden HOAI wurde das „Korsett“ der Mindest- und Höchstsätze abgelegt. Stattdessen liefern die Basishonorarsätze bzw. die Spanne zwischen oberem Honorarsatz und unteren Honorarsatz die Orientierung für eine angemessene Honorierung von Planungsleistungen.

Weiterhin keine Klarheit zu den Mindestsätzen der HOAI – BGH legt Fragen dem EuGH vor, BGH mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19

Lange wurde die mündliche Verhandlung des BGH erwartet; jetzt endet sie weiterhin mit Unklarheit.

Der EuGH am 4. Juli 2019 – C-377/17 – hatte entschieden, dass die verbindliche Geltung der Mindestsätze gemäß § 7 Abs. 1 HOAI wegen des Verstoßes gegen die Dienstleistungsrichtlinie der EU hinfällig ist.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung hatte sich hierzu ein Streit über die Auswirkungen dieses Urteils entwickelt. Die eine Position wurde vom OLG Celle vom 17. Juli 2019 – 14 U 188/18 – beschrieben, welches eine sogenannte Aufstockungsklage eines Architekten abgewiesen hatte. In der Begründung wurde hierzu ausgeführt, dass infolge der Entscheidung des EuGH die entsprechenden Vorschriften der HOAI wegen des Verstoßes gegen das Europarecht nicht mehr angewendet werden dürften.

Die gegenteilige Gegenposition dazu bezog u. a. das OLG Hamm mit seiner Entscheidung vom 23. Juli 20219 – 21 U 14/18. Nach Auffassung der Richter in Hamm entwickelt die Entscheidung des EuGH keine unmittelbare Rechtswirkung. Vielmehr wäre es Sache des deutschen Gesetzgebers, zunächst die entsprechenden Regelungen der HOAI europarechtskonform anzupassen.

Über diesen Streit soll der BGH anhand der beiden zugelassenen Revisionen zu den oben genannten OLG-Entscheidungen ein Urteil fällen.

In der mündlichen Verhandlung am 14. Mai 2020 wurde hierzu keine Klärung herbeigeführt. Der BGH ließ durchblicken, dass er eher zur Auffassung der OLG Hamm tendiert, dass bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber weiterhin die bestehenden Vorschriften der HOAI anzuwenden sind. Er konnte sich aber nicht festlegen und hat in seinem am 14. Mai 2020 verkündeten Beschluss die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens festgelegt. Zur Klärung hat er dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zu den Folgen dessen Entscheidung vom 4. Juli 2019 – C-377/17 – vorgelegt.

Zu klären sind die Auswirkungen der angenommenen Unionsrechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI für laufende Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen.

Die erste Frage bezieht sich darauf, ob aus dem Unionsrecht folgt, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie in Gerichtsverfahren zwischen Privaten unmittelbar wirkt und deshalb die Regelungen in § 7 HOAI nicht mehr anzuwenden sind.

Für den Fall, dass diese Frage verneint wird, soll der EuGH entscheiden, ob in der Regelung verbindlicher Mindestsätze in der HOAI ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Artikel 49 AEUV oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrecht besteht.

Sofern diese Frage bejaht wird, soll der EuGH entscheiden, ob aus einem solchen Verstoß im laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen die nationalen Regelungen über die Mindestsätze gemäß § 7 HOAI nicht mehr anzuwenden sind.

Die Details finden Sie im veröffentlichten Beschluss des BGH vom 14. Mai 2020.

Es verbleibt mithin bei der bestehenden Unklarheit bis zu einer dann hoffentlich klärenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.