Weiterhin keine Klarheit zu den Mindestsätzen der HOAI – BGH legt Fragen dem EuGH vor, BGH mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19

Lange wurde die mündliche Verhandlung des BGH erwartet; jetzt endet sie weiterhin mit Unklarheit.

Der EuGH am 4. Juli 2019 – C-377/17 – hatte entschieden, dass die verbindliche Geltung der Mindestsätze gemäß § 7 Abs. 1 HOAI wegen des Verstoßes gegen die Dienstleistungsrichtlinie der EU hinfällig ist.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung hatte sich hierzu ein Streit über die Auswirkungen dieses Urteils entwickelt. Die eine Position wurde vom OLG Celle vom 17. Juli 2019 – 14 U 188/18 – beschrieben, welches eine sogenannte Aufstockungsklage eines Architekten abgewiesen hatte. In der Begründung wurde hierzu ausgeführt, dass infolge der Entscheidung des EuGH die entsprechenden Vorschriften der HOAI wegen des Verstoßes gegen das Europarecht nicht mehr angewendet werden dürften.

Die gegenteilige Gegenposition dazu bezog u. a. das OLG Hamm mit seiner Entscheidung vom 23. Juli 20219 – 21 U 14/18. Nach Auffassung der Richter in Hamm entwickelt die Entscheidung des EuGH keine unmittelbare Rechtswirkung. Vielmehr wäre es Sache des deutschen Gesetzgebers, zunächst die entsprechenden Regelungen der HOAI europarechtskonform anzupassen.

Über diesen Streit soll der BGH anhand der beiden zugelassenen Revisionen zu den oben genannten OLG-Entscheidungen ein Urteil fällen.

In der mündlichen Verhandlung am 14. Mai 2020 wurde hierzu keine Klärung herbeigeführt. Der BGH ließ durchblicken, dass er eher zur Auffassung der OLG Hamm tendiert, dass bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber weiterhin die bestehenden Vorschriften der HOAI anzuwenden sind. Er konnte sich aber nicht festlegen und hat in seinem am 14. Mai 2020 verkündeten Beschluss die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens festgelegt. Zur Klärung hat er dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zu den Folgen dessen Entscheidung vom 4. Juli 2019 – C-377/17 – vorgelegt.

Zu klären sind die Auswirkungen der angenommenen Unionsrechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI für laufende Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen.

Die erste Frage bezieht sich darauf, ob aus dem Unionsrecht folgt, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie in Gerichtsverfahren zwischen Privaten unmittelbar wirkt und deshalb die Regelungen in § 7 HOAI nicht mehr anzuwenden sind.

Für den Fall, dass diese Frage verneint wird, soll der EuGH entscheiden, ob in der Regelung verbindlicher Mindestsätze in der HOAI ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Artikel 49 AEUV oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrecht besteht.

Sofern diese Frage bejaht wird, soll der EuGH entscheiden, ob aus einem solchen Verstoß im laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen die nationalen Regelungen über die Mindestsätze gemäß § 7 HOAI nicht mehr anzuwenden sind.

Die Details finden Sie im veröffentlichten Beschluss des BGH vom 14. Mai 2020.

Es verbleibt mithin bei der bestehenden Unklarheit bis zu einer dann hoffentlich klärenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.

Zum Verhältnis von Urheberrecht und Pressefreiheit

Der BGH entscheidet gegen Nutzung des Urheberrechts als Mittel gegen unliebsame Veröffentlichungen

In zwei mit Spannung erwarteten Urteilen zum Verhältnis von Urheberrecht und Pressefreiheit hat der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am Donnerstag, den 30. April im Sinne der Pressefreiheit entschieden: In beiden Fällen verneinte er eine Verletzung des Urheberrechts, da die jeweiligen Veröffentlichungen durch die das Urheberrecht begrenzende Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG gerechtfertigt seien.

Die zu den Fällen „Afghanistan-Papiere“ und „Reformistischer Aufbruch“ ergangenen Entscheidungen überzeugen im Grundsatz: Indem der BGH einerseits den hohen Stellenwert der Meinungs- und Pressefreiheit betont und andererseits differenziert herausarbeitet, welche Interessen das Urheberrecht schützt oder eben nicht schützt, weist er einen Weg, mit dem auch künftig Konfliktfälle im Verhältnis von Urheberrecht und Pressefreiheit zufriedenstellend gelöst werden können. Der vielfach geäußerten Kritik am Missbrauch des Urheberrechts als „Zensururheberrecht“ (siehe z.B. Eva Inés Obergfell und Ronny Hauck in der FAZ vom 12.12.2019) trägt er dabei durchaus Rechnung.

Worum ging es?

Gestritten wurde beide Male um das Verhältnis von Urheberrecht und Pressefreiheit. Die Verfahren betrafen die Frage, unter welchen Bedingungen die Nutzung fremden urheberrechtlich geschützten Werkschaffens zu Zwecken der Information und Meinungsäußerung zulässig ist – mit anderen Worten: Ob das Urheberrecht erfolgreich gegen vom Urheber oder Rechteinhaber nicht gewünschte Presseveröffentlichungen in Stellung gebracht werden können sollte.

Der Fall „Afghanistan-Papiere“

Die Bezeichnung „Afghanistan-Papiere“ bezieht sich auf im Auftrag des Verteidigungsministeriums nur für den Dienstgebrauch erstellte wöchentliche Lageberichte über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, die an die Presse durchgestochen und 2012 auf einem Onlineportal der WAZ-Gruppe unter dem genannten Titel veröffentlicht worden waren. Hiergegen setzte sich die Bundesrepublik Deutschland zur Wehr und begehrte – unter Berufung auf ihr Urheberrecht an den Berichten – die Untersagung der Veröffentlichung.

Der Fall „Reformistischer Aufbruch“

Hier ging es um einen 1988 als Buchbeitrag in einem Sammelband erschienenen Text des Grünen-Politikers und langjährigen Bundestagsabgeordneten Volker Beck. In diesem wandte sich Beck gegen die radikale Forderung einer vollständigen Abschaffung des Sexualstrafrechts, trat aber für eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern ein. In den Folgejahren distanzierte sich Beck von den Aussagen des Buchbeitrags machte aber auch geltend, sein Manuskript sei durch den Herausgeber des Sammelbandes im Sinn verfälscht worden. Nachdem das das Originalmanuskript im Jahr 2013, kurz vor der Bundestagswahl, bei der Volker Beck als Abgeordneter kandidierte, gefunden wurde, übermittelte er es mehreren Zeitungsredaktionen als Beleg dafür, dass es für den Buchbeitrag seinerzeit ohne seine Zustimmung verändert worden sei. Einer Veröffentlichung der Texte stimmte er nicht zu; doch stellte er die Texte mit einem eindeutigen Distanzierungsvermerk auf seine Internetseite. Spiegel Online veröffentlichte daraufhin einen Artikel, in dem die Ansicht vertreten wurde, Beck habe die Öffentlichkeit hinsichtlich der behaupteten Sinnverfälschung jahrelang getäuscht. Zum Beleg dieser Auffassung waren in dem Artikel sowohl der Buchbeitrag als auch der Originaltext über Links abrufbar, allerdings nicht von der Internetseite Volker Becks und damit ohne den an den Dokumenten ausdrücklich angebrachten Distanzierungsvermerk. Hiergegen wandte sich Volker Beck und begehrte Unterlassung – unter Berufung auf sein Urheberrecht an den Texten.

Prozessverläufe

In beiden Fällen waren die Kläger in erster und zweiter Instanz erfolgreich: die Veröffentlichungen wurden wegen Urheberrechtsverletzung untersagt. Auf die Revisionen der jeweiligen Beklagten setzte der BGH beide Verfahren im Sommer 2017 aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verschiedene, teilweise in beiden Fällen gleichlautende Fragen zur Auslegung der einschlägigen EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft zur Vorabentscheidung vor (I ZR 228/15 – Reformistischer Aufbruch I, dazu Pressemitteilung Nr. 124/2017 vom 27. Juli 2017 und I ZR 139/15 – Afghanistan Papiere I , dazu Pressemitteilung Nr. 87/17 vom 1. Juni 2017 ). Der EuGH antwortete mit Urteil vom 29. Juli 2019 (C-469/17 – Funke Medien NRW GmbH/Bundesrepublik Deutschland) und C-516/17- Spiegel Online GmbH gegen Volker Beck). Unter Berücksichtigung dieser EUGH-Rechtsprechung entschied der BGH nun über die Revisionsverfahren.

Hinweis des EuGH: Pressefreiheit hat großes Gewicht

Der EuGH hatte in seinen Urteilen durchaus zu erkennen gegeben, dass der Pressefreiheit gegenüber dem Urheberrecht unter Umständen ein größeres Gewicht beizumessen sei, als in den Vorlageentscheidungen des BGH angeklungen war. Dieser Tendenz ist der BGH nun gefolgt, indem er in beiden Fällen eine Verletzung des Urheberrechts verneinte, da die jeweiligen Veröffentlichungen durch die das Urheberrecht begrenzende Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG gerechtfertigt seien. Im Interesse der öffentlichen Meinungsbildungs- und Kommunikationsprozesse lässt diese Norm die Nutzung fremder Werke im Rahmen aktueller Berichterstattung zu, soweit der Informationszweck dies rechtfertigt.

Das Urheberrecht dient nicht dem Geheimnisschutz

Im Fall Afghanistan-Papiere hatte der BGH die Anwendung der Berichterstattungsschranke (§ 50 UrhG) in seinem Vorlagebeschluss noch mit dem Argument verneint, das bloße Einstellen auf der Online-Plattform stelle keine Berichterstattung im Sinne dieser Vorschrift dar, da in ihr keine journalistische Auseinandersetzung mit dem Inhalt der militärischen Lageberichte der stattgefunden habe. Dieses Verständnis des Begriffs „Berichterstattung“ erkannte der BGH nun als zu eng und vielleicht auch wenig zeitgemäß. Er stellte fest, die Berichte seien nicht lediglich auf der Website veröffentlicht, sondern auch mit einem Einleitungstext, weiterführenden Links und einer Einladung zur interaktiven Partizipation versehen und in systematisierter Form präsentiert worden. Damit läge eine Berichterstattung im Sinne von § 50 UrhG vor.

Die zweite Hürde bestand im Merkmal der „Aktualität“. Die Berichterstattung muss ein „Tagesereignis“ zum Gegenstand haben, damit die Schranke des § 50 UrhG greift. Auch das bejahte der BGH nun, indem er den Kontext der Veröffentlichung hervorhob und das Erfordernis recht weit, eher im Sinne von „Zeitgeschehen“ interpretierte: Die Veröffentlichung betreffe die Frage, ob die öffentliche Darstellung des auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Texte noch stattfindenden und damit aktuellen Einsatzes der deutschen Soldaten in Afghanistan als Friedensmission zutreffe oder ob in diesem Einsatz eine Beteiligung an einem Krieg zu sehen sei.

Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der sich gegenüberstehenden grundrechtlich geschützten Interessen stellte der BGH schließlich mit bemerkenswerter Deutlichkeit fest: Das Urheber(persönlichkeits)recht schützte nicht das Interesse an der Geheimhaltung von Umständen, deren Offenlegung Nachteile für die staatlichen Interessen der Klägerin haben könnte. Diese Interessen seien vielmehr durch andere Normen geschützt. Demgegenüber komme mit Blick auf die politische Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz und das damit berührte besonders erhebliche allgemeine Interesse an der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle von staatlichen Entscheidungen dem durch die Meinungs- und Pressefreiheit geschützten Interesse an einer Veröffentlichung der in Rede stehenden militärischen Lageberichte ein größeres Gewicht zu.

Kritische Auseinandersetzung mit politischen Äußerungen als wichtige Aufgabe der Presse

Auch im Fall „Reformistischer Aufbruch“ sah der BGH die Voraussetzungen einer Rechtfertigung der Veröffentlichung als „Berichterstattung über Tagesereignisse“ gem. § 50 UrhG nun als gegeben an und stellte fest, die durch die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit geschützten Interessen an der Veröffentlichung des Textes von Volker Beck überwögen im Streitfall dessen urheberrechtlich geschütztes Interesse, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form sein Text veröffentlicht werde. Spiegel Online habe mit der Veröffentlichung in der konkreten Form die wichtige Aufgabe wahrgenommen, sich mit den öffentlichen Behauptungen des Klägers kritisch auseinanderzusetzen und es der Öffentlichkeit durch die Bereitstellung des Manuskripts und des Buchbeitrags zu ermöglichen, sich ein eigenes Bild von der angeblichen inhaltlichen Verfälschung des Aufsatzes und damit von der vermeintlichen Unaufrichtigkeit des Klägers zu machen. Dem Interesse Becks, den Text nicht ohne einen distanzierenden, seine geänderte geistig-persönliche Beziehung zu seinem Werk verdeutlichenden Hinweis zu veröffentlichen, sei in dem Artikel dadurch hinreichend Genüge geleistet worden, dass die geänderte Meinung Volker Becks durchaus nicht verschwiegen, sondern ebenfalls zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht worden sei.

Mit Nachhilfe durch den EuGH: BGH zum Verhältnis von Urheberrecht und Pressefreiheit

Für das Verhältnis von Urheberrecht und Pressefreiheit lässt sich Fazit aus beiden Fällen somit feststellen: Mit ein wenig Nachhilfe durch den EuGH hat der BGH hier zu einer der Bedeutung der Meinungs- und Pressefreheit angemessen weiten Auslegung der urheberrechtlichen Schrankenbestimmung des § 50 UrhG gefunden. Künftig dürfte das Urheberrecht in Konfliktfällen mit der Pressefreiheit daher ein deutlich öfter zurücktreten müssen als bisher.