BGH-Urteil vom 17. Juli 2025 (Az. IX ZR 70/24): Werklohnanspruch auch ohne Abnahme – Neue Maßstäbe für die Fälligkeit der Vergütung im Insolvenzfall

Mit seinem Urteil vom 17. Juli 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine praxisrelevante Entscheidung für das Insolvenzrecht getroffen: Der Werklohnanspruch eines Insolvenzverwalters kann auch ohne Abnahme der Werkleistung durchgesetzt werden – sofern die Leistung teilbar und ihr Wert objektiv bestimmbar ist.

Hintergrund des Verfahrens

Im zugrunde liegenden Fall hatte ein Dachdeckermeister vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Werkleistungen erbracht, die jedoch nicht abgenommen wurden. Der Insolvenzverwalter machte den Werklohn geltend, die Auftraggeberin verweigerte die Zahlung unter Berufung auf Mängel und die fehlende Abnahme.

Kernaussagen des BGH

  • Vertragsaufspaltung bei teilbaren Leistungen:
    Der BGH bestätigt, dass ein beiderseitig nicht vollständig erfüllter Vertrag mit Verfahrenseröffnung in einen erfüllten und einen nicht erfüllten Teil aufgespalten wird (§ 103 InsO). Dies gilt bei teilbaren Leistungen auch ohne Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter.
  • Vergütungsanspruch ohne Abnahme:
    Für die vorinsolvenzlich erbrachte Teilleistung besteht ein Vergütungsanspruch, selbst wenn keine Abnahme erfolgt ist. Entscheidend ist, dass der Wert der Leistung objektiv bestimmbar ist – notfalls durch Sachverständigengutachten.
  • Mängel führen zu Kürzungen, nicht zum Ausschluss:
    Liegen Mängel vor, ist der Anspruch um die Mängelbeseitigungskosten zu kürzen. Ein vollständiger Ausschluss des Anspruchs erfolgt nicht.

Relevanz für die Praxis

Das Urteil stärkt die Position von Insolvenzverwaltern und schafft Klarheit für die Durchsetzung von Werklohnansprüchen. Es erleichtert die Liquiditätsgenerierung zugunsten der Masse und erhöht die Rechtssicherheit bei der Bewertung nicht abgenommener Leistungen.

Für Auftraggeber bedeutet dies, dass auch ohne Abnahme eine Zahlungspflicht entstehen kann – ein Umstand, der bei Vertragsgestaltung und Dokumentation künftig stärker berücksichtigt werden sollte.

Fazit

Der BGH setzt mit dieser Entscheidung ein deutliches Signal: Die Abnahme ist kein zwingendes Erfordernis für die Vergütung teilbarer Werkleistungen im Insolvenzverfahren. Die Entscheidung ist ein Gewinn für die insolvenzrechtliche Praxis und sollte in der Beratung von Insolvenzverwaltern und Gläubigern künftig berücksichtigt werden.

„Beitragsdämpfung“ im Erschließungsbeitragsrecht

Das Verwaltungsgericht Potsdam setzt enge Grenzen für einen Verzicht auf öffentliche Abgaben

Seit längerem sind Bestrebungen in den Brandenburger Kommunen zu beobachten, die Beitragslast für die Anlieger bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen zu reduzieren. Zu einem solchen Modell hat sich jetzt die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Potsdam in einem Urteil vom 17. April 2025 – VG 1 K 404/22 – geäußert. Das Urteil enthält aber nicht nur interessante Aussagen zur „Beitragsdämpfung“ im Erschließungsbeitragsrecht, sondern beschäftigt sich auch mit den haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für einen Verzicht auf öffentliche Einnahmen und weist damit über den entschiedenen Fall deutlich hinaus.

Gegenstand der Entscheidung war eine kommunalaufsichtsrechtliche Entscheidung, zu einer Änderung der Erschließungsbeitragssatzung einer brandenburger Kommune. Unter der Überschrift „Beitragsdämpfung“ sollte der ermittelte Beitragssatz oberhalb eines in der Satzung festgelegten Betrages in 2 Stufen auf 70 % und darüber hinaus auf 30 % reduziert werden. Dies war vom Bürgermeister beanstandet worden. Der Landkreis hatte diese Entscheidung bestätigt.

Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die „Beitragsdämpfung“ ist nach Ansicht des Gerichts aus zwei Gründen rechtswidrig:

1. Das Gericht sieht darin eine unzulässige pauschale Härtefallregelung, die ohne einen Bezug zum Nutzungsvorteil der jeweiligen Erschließungsanlage stehe. Dabei wird zwar ein Ermessensspielraum der Gemeinden anerkannt, den gesetzlich vorgesehene Mindestanteil von 10 v.H., den die Gemeinde an den Erschließungskosten zu tragen hat, zu erhöhen. Dies müsse aber einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet erfolgen, also insbesondere ohne Rücksicht darauf, welche Kosten bei bestimmten Erschließungsanlagen anfallen.

Das Urteil folgt sodann der in der Literatur vertretenen Meinung darin, dass der Gemeindeanteil über den Mindestanteil nach § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet oder für bestimmte Arten von Erschließungsanlagen erhöht werden kann. Kommunen in Brandenburg, die diesen Weg gewählt haben, befinden sich danach also insoweit auf der sicheren Seite.

Damit verknüpft das Gericht aber die Pflicht zur Beitragserhebung und folgert daraus ein Gebot zur Gleichbehandlung der Grundstückseigentümer im Gemeindegebiet. Davon könne zwar nach § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB in atypischen Einzelfällen zur Vermeidung unbilliger Härten abgewichen werden. Eine pauschale Minderung des Beitrags bei Überschreiten bestimmter Grenzen aus Billigkeitsgründen – wie hier – sei aber nicht zulässig.

2. Die „Beitragsdämpfung“ verstoße aber auch gegen haushaltsrechtliche Vorgaben. Diese entnimmt das Gericht dem hier anzuwendenden § 64 BbgKVerf a.F., die in der Neufassung des Gesetzes vom 5. März 2024 in § 63 und § 76 Abs. 1 BbgKVerf zu finden sind.

In § 64 Abs. 1 BbgVerf a.F. sieht das Gericht eine Rangfolge für die Finanzierung, wonach für spezielle öffentlichen Leistungen vorrangig Gebühren und Beiträge erhoben werden sollen, bevor auf Steuern zurückgegriffen werden darf. Zwar erkennt das Gericht die Einschränkung dieser Rangfolge durch den Einschub im Gesetz „soweit vertretbar und geboten“ an. Der darin begründete Gestaltungsspielraum der Gemeinde sei hier aber verletzt, weil die pauschale Erhöhung des Gemeindeanteils aus Billigkeitsgründen die Grenzen des Abgabenrechts verletze und damit nicht vertretbar sei. Die Dämpfung sei auch nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen geboten, da es zulässig gewesen sei, einen höheren Gemeindeanteil einheitlich für das gesamten Gemeindegebiet festzusetzen.

Schließlich sieht das Gericht in der Dämpfung auch einen Verstoß gegen § 64 Abs. 3 BbgKVerf a.F.. Der teilweise Verzicht auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen widerspreche der darin festgeschriebenen Nachrangigkeit der Kreditaufnahme als Finanzierungsmöglichkeit, denn die Kommune hatte im maßgeblichen Zeitraum Investitionskredit in Anspruch genommen. Dies sei nur dann gestattet, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre. Diese Ausnahme greife aber nicht, wenn gleichzeitig auf kommunale Beiträge verzichtet werde. Die Kommune schöpfe ihre Möglichkeiten zur Erzielung finanzieller Mittel nicht aus.

Darin liegt die eigentliche Brisanz der Entscheidung, denn der Gedanke würde auch greifen, wenn eine Gemeinde ihren Anteil in der Satzung generell erhöhen würde, was das Gericht im Grundsatz für zulässig erachtet, obwohl gleichzeitig Investitionskredite aufgenommen werden. Sie wäre nach Auffassung des Gerichts in dieser Haushaltslage also verpflichtet, den gesetzlich zulässigen Anliegeranteil an den Erschließungskosten von 90 v.H. auszuschöpfen.

Diese Verpflichtung wäre aber nicht auf das Beitragsrecht beschränkt. Unzulässig wäre nach dieser Rechtsprechung beispielsweise auch die Festsetzung unterdurchschnittlicher Hebesätze bei der Grund- oder Gewerbesteuer, wenn Investitionskredite in Anspruch genommen werden.

Es wird zu beobachten sein, ob das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg diese strenge Auslegung der haushaltsrechtlichen Vorschriften teilt. Das Verwaltungsgerichts Potsdam hat die Berufung gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Utrecht – Kopenhagen – Berlin?

Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat mit Urteil vom 25. Juni 2025 (VerfGH 43/22) den Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens „Berlin autofrei“ für zulässig erklärt (https://www.berlin.de/gerichte/sonstige-gerichte/verfassungsgerichtshof/pressemitteilungen/2025/pressemitteilung.1573732.php). Zur Prüfung stand der von der Trägerin des Volksbegehrens ausgearbeitete Gesetzentwurf „Berliner Gesetz für gemeinwohlorientierte Straßennutzung“. Die Senatsinnenverwaltung hielt den Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens für materiell unzulässig und legte die Frage der Verfassungsmäßigkeit dem Verfassungsgerichtshof vor. Das Verfahren endete mit einem Erfolg für die Trägerin des Volksbegehrens.

Die Kernidee des Gesetzentwurfs besteht darin, durch Schaffung einer neuen Straßenkategorie – der autoreduzierten Straße – den Bereich des Innenstadtrings von Berlin (Umweltzone) autofrei zu machen. Rechtstechnisch soll dies durch eine Teileinziehung der dort gelegenen öffentlichen Straßen bewerkstelligt werden. Der Verfassungsgerichtshof wertet dies als eine Modifikation des Inhalts des Gemeingebrauchs. Damit sei als Gesetzgebungsmaterie das Straßenrecht betroffen. Dieses unterliege – ein erster Streitpunkt im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof – dem Regelungszugriff des Landes Berlin. Der Gesetzentwurf lasse im übrigen keine Verstöße gegen Grundrechtspositionen Dritter (Eigentumsgarantie, Berufsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit und allgemeine Handlungsfreiheit) erkennen. Dies gelte auch für sonstige aus dem Rechtsstaatsprinzip an den Gesetzentwurf zu stellende Anforderungen (Allgemeinheit des Gesetzes, Wahrung der Gewaltenteilung) sowie die Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union.

Die Entscheidung erging mit 8:1 Stimmen. Im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung sieht das Sondervotum eine Unvereinbarkeit des Gesetzentwurfs mit dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit und hält das Vorhaben mit der staatlichen Verpflichtung für unvereinbar, für ein hinreichendes öffentlich-rechtliches Straßennetz mit öffentlich-rechtlichen Benutzungsansprüchen zu sorgen.

Ob der Entwurf des Gesetzes zur gemeinwohlorientierten Straßennutzung tatsächlich Gesetzeskraft erlangt, ist noch nicht entschieden. Die Besonderheit des Prüfungsverfahrens nach § 55 BerlVerfGHG besteht darin, dass Entwürfe von Rechtsnormen einer Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof vorgelegt werden. Damit ist eine erste Hürde genommen. Weitere Schritte (Volksbegehren und Volksentscheid) stehen noch aus.

Ob Berlin irgendwann Utrecht, Kopenhagen oder Amsterdam in punkto Fahrradfreundlichkeit nacheifert, wird die Zukunft weisen. Das (Fahrrad-)Paradies lässt noch auf sich warten. An der fehlenden Verfassungskonformität würde es nicht scheitern. Das ist schon mal was.

Zum Tod unseres Kollegen Thorsten Bausch

Mit großer Betroffenheit nehmen wir Abschied von unserem langjährigen Kollegen Thorsten Bausch, der nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von nur 53 Jahren am 22. Juni 2025 viel zu früh verstorben ist.

Thorsten Bausch gründete 2012 zusammen mit Armin Dienst unseren Standort in Frankfurt am Main. Er beriet dort vor allem Automobilzulieferer, Medizinproduktehersteller und Energieversorger im Vertragsrecht, allgemeinen Zivilrecht und Prozessrecht sowie im Gesellschaftsrecht.

Als Mitglied einer Katastrophenschutzeinheit engagierte sich Thorsten Bausch ehrenamtlich im Roten Kreuz. 

Er wird der Kanzlei, seinem langjährigen Sozius und engen Freund Armin Dienst, aber auch seinen Mandanten, für die er immer leidenschaftlich und mit viel Engagement gekämpft hat, sehr fehlen.

Unsere Gedanken sind bei seiner Frau und seinen beiden Kindern.

Mit traurigen Grüßen

Loh Rechtsanwälte

Richterin muss Nennung ihres Namens im Buch „Rechte Richter“ hinnehmen – OLG Frankfurt weist Klage gegen Namensnennung zurück

Mit Urteil vom 8. Mai 2025 (16 U 11/23) hat das Oberlandesgericht Frankfurt die Unterlassungsklage einer Richterin abgewiesen, die sich gegen ihre namentliche Nennung in dem Buch „Rechte Richter“ des Journalisten und Kriminologen Joachim Wagner gewandt hatte. In dem Buch wird eine Äußerung der Richterin im Zusammenhang mit einem von ihr geleiteten öffentlichkeitswirksamen Strafverfahren wiedergegeben und ihre Verfahrensführung kritisiert. Dies geschieht unter Nennung ihres vollen Namens. Dadurch sah sich die Richterin in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Zu Unrecht, wie nun in zweiter Instanz bestätigt wurde.

Informationsinteresse der Öffentlichkeit vs. Persönlichkeitsschutz

Die namentliche Nennung der Richterin im Zusammenhang mit ihrer richterlichen Tätigkeit stelle zwar einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, so das OLG. Dieser sei jedoch durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt. In seiner Begründung stellte das Gericht maßgeblich auf den Grundsatz der Öffentlichkeit gerichtlicher Verhandlungen ab, der als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang besitze. Nach modernem Verständnis gewährleistet dieser Grundsatz nicht allein die Präsenzöffentlichkeit im Gerichtssaal. Vielmehr wird sein Sinn und Zweck vor allem darin gesehen, die mediale Berichterstattung über justizielles Handeln zu ermöglichen.

BVerwG: Namentliche Nennung von Richter:innen entspricht Stoßrichtung des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Das entscheidende Argument entnimmt das OLG der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 1.10.2014 – 6 C 35/13): Danach ist das namentliche Bekanntwerden von Personen, die in amtlicher Funktion oder als Organ der Rechtspflege in Gerichtsverhandlungen mitwirken, nicht nur eine faktische Konsequenz des Öffentlichkeitsgrundsatzes, sondern entspricht seiner normativen Stoßrichtung als Ausdruck des demokratischen Transparenzgebots. Mit anderen Worten: Wer öffentliche Gewalt ausübt – also auch Richterinnen und Richter – muss für seine Entscheidungen öffentlich einstehen. Eine „Bedürfnisprüfung“, ob die identifizierende Berichterstattung zwingend notwendig oder von Interesse sei, lehnte das Gericht unter Hinweis auf die Pressefreiheit ab – auch im Kontext dauerhafter Publikationen wie Büchern.

Kritik müssen Richter:innen aushalten

Folgerichtig stellte das OLG klar, dass Richterinnen und Richter im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit durchaus im öffentlichen Interesse stünden. Solange keine unwahren oder entstellten Tatsachen verbreitet würden oder von der Darstellung eine Prangerwirkung für den/die Betroffene:n ausgehe, rechtfertigten daher auch etwaige berufliche oder reputative Auswirkungen kein Verbot der Namensnennung.

Keine Diffamierung, keine Falschdarstellung

In dieser Hinsicht gab die streitgegenständliche Publikation jedoch keinen Anlass zur Beanstandung. So stellte das Gericht fest, dass die Klägerin in dem Buch sachlich korrekt mit einer Äußerung aus der mündlichen Urteilsbegründung zitiert werde, ohne dass sie selbst – etwa als „rechte Richterin“ – politisch eingeordnet werde. Zwar trage das Buch einen provokanten Titel, doch sei es inhaltlich von einer differenzierten Justizkritik ohne persönliche Diffamierung gekennzeichnet. Gerade in der mit der Klage angegriffenen Passage werde kein persönlicher Vorwurf gegen die Richterin erhoben, sondern das aus Sicht des Autors problematische Vorgehen der Strafjustiz in dem relevanten Strafverfahren als Teil struktureller Schwächen thematisiert.

Transparenz und Verantwortlichkeit im demokratischen Rechtsstaat

Das Urteil arbeitet ein entscheidendes verfassungsrechtlich verankertes Prinzip demokratisch-rechtsstaatlicher Machtausübung für den Bereich der Judikative pointiert heraus und wendet es überzeugend an: Im Interesse von Transparenz und Kontrolle gilt: Wer öffentlich Recht spricht, muss hierfür mit seiner Person einstehen und öffentliche Kritik aushalten, solange diese sich an die Fakten hält und nicht diffamierend ausfällt.

Erbausschlagung wegen vermuteter Überschuldung – wann ein Irrtum zur Anfechtung berechtigt

Zwei aktuelle Gerichtsentscheidungen zeigen: Wer eine Erbschaft vorschnell ausschlägt, weil er von einer Überschuldung des Nachlasses ausgeht, kann diese Entscheidung später nur unter engen Voraussetzungen rückgängig machen – und doch noch Erbe werden. Die Sachverhalte machen deutlich, wie entscheidend eine fundierte Einschätzung des Nachlasses ist – und wann sich rechtliche Beratung lohnt.

OLG Frankfurt: Anfechtung bei Fehlvorstellung über Nachlasszusammensetzung möglich

In einem vom OLG Frankfurt (Beschluss vom 24. Juli 2024 – 21 W 146/23) entschiedenen Fall hatte die Tochter das Erbe ihrer Mutter ausgeschlagen, da sie aufgrund familiärer Vorerfahrungen, der prekären Wohnverhältnisse der Erblasserin sowie polizeilicher Hinweise fälschlich davon ausgegangen war, dass ihre Mutter über keinerlei Vermögenswerte verfügte. Erst Monate später wurde ihr durch den Nachlasspfleger mitgeteilt, dass Kontoguthaben in Höhe von über 70.000 € existierten.

Das Gericht erblickte in diesem Fall einen beachtlichen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses im Sinne der §§ 1954, 119 Abs. 2 BGB, konkret über dessen tatsächliche Zusammensetzung (Vorhandensein von Kontoguthaben). Weil die Tochter aber nicht bloß „ins Blaue hinein“ die Ausschlagung erklärt hatte, sondern sich – wenn auch auf fehlerhafte Weise – zuvor über den Nachlass informiert hatte, ließ das Gericht die Anfechtung der Ausschlagung zu. Sie wurde letztlich Alleinerbin.

OLG Zweibrücken: Keine Anfechtung bei fehlender Kausalität des Irrtums

Nicht ganz so glimpflich ging hingegen ein vom OLG Zweibrücken (Beschluss vom 14. August 2024 – 8 W 102/23) entschiedener Fall aus: Hier hatte eine Erbin das Erbe ebenfalls wegen vermuteter Überschuldung ausgeschlagen. Später stellte sich heraus, dass ein kleines Bankguthaben vorhanden war, von dem die Erbin vor der Ausschlagung nichts wusste. Zudem konnte die ebenfalls zum Nachlass gehörende Immobilie, deren Wert die Erbin vor der Ausschlagung falsch eingeschätzt hatte, zu einem Preis veräußert werden, der die zum Nachlass gehörenden Verbindlichkeiten der Erblasserin am Ende deutlich überstieg.

Eine Anfechtung der Ausschlagung ließ das Gericht nicht zu. Es erkannte zwar den Irrtum über das Vorhandensein des Bankguthabens an, bewertete ihn aber als nicht kausal für die Ausschlagung. Denn da die Erbin fälschlich von einem zu geringen Wert der Immobilie ausgegangen war, hätte das zusätzlich vorhandene Bankguthaben aus ihrer damaligen Sicht am Ergebnis – Überschuldung des Nachlasses – nichts geändert. Damit lag kein entscheidungserheblicher Irrtum vor. Die Ausschlagung blieb wirksam.

III. Was bedeutet das für Erben?

Die Entscheidungen machen deutlich: Eine voreilige Erbausschlagung kann weitreichende Folgen haben – besonders, wenn sich später die Werthaltigkeit des Nachlasses herausstellt. Eine nachträgliche Anfechtung der Ausschlagung, um doch noch Erbe zu werden, ist in diesem Fall nur unter engen Voraussetzungen möglich. Entscheidend ist:

  • Lag ein Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses oder nur über dessen Wert vor?
  • War der Irrtum für die Entscheidung, das Erbe auszuschlagen, kausal, d.h. maßgeblich oder zumindest mitursächlich?
  • Wurden naheliegende Informationsquellen genutzt, um sich einen Überblick über den Nachlass zu verschaffen?

Gerade in emotional belastenden Situationen – etwa nach dem Tod naher Angehöriger – sind klare Entscheidungen oft schwer zu treffen. Umso wichtiger ist es, sich vor Ausschlagung einer Erbschaft rechtlich beraten zu lassen, um mögliche Risiken und Handlungsalternativen frühzeitig zu erkennen. Hierbei unterstützen wir Sie gern.

Bekanntmachungen nur noch im Internet – Geht das?

Viele Gemeinden sind derzeit dabei, ihre Hauptsatzungen zu ändern und vor allem die Form der ortsüblichen Bekanntmachungen neu zu regeln oder planen entsprechende Schritte. Neben dem Ziel, die Verwaltung zu modernisieren und stärker zu digitalisieren, geben auch die bestehenden hohen rechtlichen Anforderungen an die Bekanntmachung Anlass, über eine Vereinfachung nachzudenken (vgl. nur die verschiedenen Vorgaben an das Amtsblatt in den Bekanntmachungs- bzw. Durchführungsverordnungen der einzelnen Bundesländer).

Statt ortsübliche Bekanntmachungen von Satzungen oder beispielsweise die Tagesordnungen zu den Gemeindevertretersitzungen künftig weiterhin in Bekanntmachungskästen oder im Amtsblatt zu veröffentlichen, wäre es da nicht viel einfacher und vielleicht auch sicherer, in der Hauptsatzung zu bestimmen, dass ortsübliche Bekanntmachungen künftig nur noch im Internet erfolgen sollen? Einfacher ganz sicher. Aber Vorsicht! Rechtlich dürfen einige Bekanntmachungen, etwa die zur Öffentlichkeitsbeteiligung in Bauleitplanverfahren nach § 3 Abs. 2 BauGB nur „zusätzlich“, nicht aber ausschließlich im Internet bekannt gemacht werden. Mehrere Oberverwaltungsgerichte hatten aufgrund der Formulierung („zusätzlich“ in § 3 Abs. 2 S. 5 HS 1 BauGB bzw. vormals „ergänzend“) entschieden, dass eine Bekanntmachung allein im Internet unzulässig sei.

Zu Recht warnen die für die Kommunalaufsicht zuständigen Ministerien daher in aktuellen Rundschreiben und Erlassen nach Inkrafttreten der BauGB-Digitalisierungsnovelle davor, Bekanntmachungen nach dem BauGB, insbesondere die zur Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB, ausschließlich im Internet zu veröffentlichen und undifferenzierte Bekanntmachungsregelungen in der Hauptsatzung zu treffen (vgl. für Brandenburg den Newsletter 4/2024 der Kommunalaufsicht des Ministeriums des Innern und für Kommunales vom 16.12.2024, S. 8; für Thüringen das Rundschreiben an die kreisfreien Städte und Landratsämter im Freistaat Thüringen vom 20.12.2024 mit einer guten Zusammenfassung der Rechtslage; für Mecklenburg-Vorpommern den Einführungserlass des Landes Mecklenburg-Vorpommern zum Gesetz zur Stärkung der Digitalisierung im Bauleitplanverfahren und zur Änderung weiterer Vorschriften (Bekanntmachung des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung MV vom 8.10.2024, II-512-00000-2023/015-006, dort S. 6).

Wir können uns der Warnung nur anschließen und empfehlen dringend, von einer undifferenzierten Bekanntmachungsregelung in der Hauptsatzung, wonach alle öffentlichen Bekanntmachungen nur noch im Internet erfolgen sollen, abzusehen, auch wenn in den Bekanntmachungsverordnungen der einzelnen Bundesländer das Internet oft als zulässiges Bekanntmachungsmittel neben dem Amtsblatt, Tageszeitungen oder Bekanntmachungskästen aufgeführt wird. Bundesrecht geht vor. Noch werden das Amtsblatt, Tageszeitungen bzw. Bekanntmachungskästen für ortsübliche Bekanntmachungen mithin gebraucht.

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenzuschlägen (BAG, Urt. v. 5. Dezember 2024, Az. 8 AZR 370/20)

Arbeitgeber, die auf alle Arbeitsverhältnisse in ihren Betrieben einen Tarifvertrag anwenden, durften bisher davon ausgehen, dass dieser als „Gesamtwerk“ einen angemessenen Interessenausgleich schafft und für Gleichbehandlung aller Beschäftigten sorgt. Ein Irrtum, wie sich nun herausstellte. Das Bundesarbeitsgericht hat noch kurz vor Jahresende einer Teilzeitbeschäftigen Überstundenzuschläge bereits abder ersten Mehrstunde zugesprochen, obwohl sie nach dem anwendbaren Tarifvertrag erst zu zahlen sind, wenn die im Tarifvertrag vorgesehene regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigen überschritten wird. Nach der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts benachteiligt der Arbeitgeber Teilzeitbeschäftige mittelbar, wenn er ihnen nicht – wie bei Vollzeitbeschäftigen – einen Überstundenzuschlag bereits ab der ersten Mehrstunde gewährt.

Sachverhalt:

Die meisten Tarifverträge unterscheiden zwischen Überstunden und Mehrarbeit. Dabei leisten Teilzeitbeschäftigte Mehrarbeit, wenn sie über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeiten, bis sie die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten erreichen. Ist diese Grenze überschritten, leisten sie durch weitere zusätzliche Arbeitszeit Überstunden im Tarifsinne. Dagegen leisten Vollzeitbeschäftigte bereits mit der ersten zusätzlichen Arbeitsstunde Überstunden. Überstundenzuschläge sehen die meisten Tarifverträge hingegen nur für Überstunden vor. Mehrarbeit wird nicht zusätzlich honoriert. Eine teilzeitbeschäftigte Person muss also die gleiche Anzahl an Stunden arbeiten wie eine vollzeitbeschäftigte Person, um für die darüberhinausgehende Arbeitszeit Überstundenzuschläge zu erhalten, und zwar unabhängig von der individuell im Arbeitsvertrag dieser teilzeitbeschäftigten Person vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit.

Hierdurch fühlte sich eine Teilzeitbeschäftigte eines ambulanten Dialyseanbieters, der den Branchentarifvertrag durch vertragliche Bezugnahmeklausel anwendet, gegenüber Vollzeitbeschäftigten diskriminiert und verklagte ihren Arbeitgeber. Sie verlangte für jede der insgesamt knapp 130 Mehrstunden einen tariflichen Überstundenzuschlag von 30 %, gleich ob durch Auszahlung oder eine Zeitgutschrift in ihrem Arbeitszeitkonto. Zudem begehrte die Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG von drei Bruttomonatsgehältern, da sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt werde. Es seien nämlich überwiegend Frauen in Teilzeit beschäftigt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift zugesprochen, den Anspruch auf Entschädigung hingegen versagt. Der 8. Senat des BAG legte die Rechtsfragen dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zunächst zur Vorabentscheidung vor. Es folgte ein Urteil des EuGH vom 29. Juli 2024 (- C-184/22 und C-185/22 [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation eV]). Dieser stellte fest, dass teilzeitbeschäftigte Pflegekräfte, die Überstunden leisten, die über die in ihren Arbeitsverträgen vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinausgehen und dafür keinen Zuschlag erhalten, gegenüber vollzeitbeschäftigten Pflegekräften, die für die Stunden, die ihre 38,5 Wochenarbeitsstunden überschreiten, einen Überstundenzuschlag erhalten, ungleich behandelt werden.

Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht folgte dem EuGH, so dass die Revision der Klägerin teilweise Erfolg hatte. Das BAG hat der Klage nun vollumfänglich stattgegeben und der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift sowie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen mittelbarer Benachteiligung wegen des Geschlechts in Höhe von 250,00 EUR zugesprochen. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht in vollständig abgefasster Form vor. Der Kern der Entscheidung lässt sich jedoch der Pressemitteilung entnehmen. Das Bundesarbeitsgericht hält die tarifvertragliche Regelung zum Überstundenzuschlag für unwirksam. Sie verstößt gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten nach § 4 Abs. 1 TzBfG, weil sie bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsieht. Einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung konnte der Senat nicht erkennen.

Hinweise für die Praxis:

Künftig lässt sich die unterschiedliche Behandlung von Überstundenzuschlägen nicht mehr damit begründen, dass Vollzeitbeschäftigte durch Überstunden mehr belastet werden als Teilzeitbeschäftigte. Es soll nun vermieden werden, dass Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Motiven zunächst die Teilzeitbeschäftigen zur Leistung von Überstunden veranlassen, weil sie ihnen keine Überstundenzuschläge zahlen müssten, solange sie die regelmäßige Wochenarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten nicht überschreiten.

Die der Klägerin durch das BAG zugesprochene Entschädigung mag der Höhe nach Symbolcharakter haben. Gleichwohl dürfte es gerade Arbeitgebern im öffentlichen Dienst oder solchen, die durch entsprechende vertragliche Bezugnahmeklauseln ein Tarifwerk anwenden, missfallen, mit dem Vorwurf einer Diskriminierung wegen des Geschlechts konfrontiert zu werden. Gravierender sind allerdings die finanziellen Folgen der Entscheidung des BAG. Insoweit sind Arbeitgeber gut beraten, zeitnah Zuschläge für Mehrarbeit und Überstunden gleichermaßen zu gewähren, sobald Arbeitszeit über die individuell vereinbarte Arbeitszeit geleistet wird. Die Beschäftigten können auch für die zurückliegenden Zeiträume die Auszahlung der Überstundenzuschläge bzw. eine Zeitgutschrift verlangen, wenn sie den Anspruch geltend machen. Dabei wären rückwirkend allerdings nur die Ansprüche zu gewähren, die noch nicht aufgrund der vertraglichen oder die tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen sind.

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Partnerschaftsgesellschaft mbB
Dr. Ulrich Becker
Leipziger Platz 7
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Neue Baustellen in Berlin

Im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 21. Dezember 2024 (GVBl. S.614) ist das Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für Bauvorhaben bekannt gemacht worden. Das mit dem hoffnungsvollen Kurztitel „Schneller-Bauen-Gesetz“ versehene Vorhaben bildet das zentrale Projekt des von CDU und SPD gebildeten Senats, Impulse gegen die Krise im Wohnungsbau und damit gegen die Wohnungsnot zu setzen. Es umfasst Änderungen in elf verschiedenen landesgesetzlichen Normen, unter anderen im Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz, im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz, der Bauordnung für Berlin, dem Denkmalschutzgesetz, dem Berliner Naturschutzgesetz und dem Landeswaldgesetz.

Auch das Berliner Straßengesetz hat der Gesetzgeber im Rahmen des Artikelgesetzes geändert und zwar die Regelungen zu straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnissen. Worin liegt der Bezug zur Förderung des Wohnungsbaus?

Bauunternehmen sind für die Durchführung von Bauarbeiten vielfältig auf die Nutzung des öffentlichen Straßenraumes angewiesen. Dies gilt, wenn die Bauarbeiten Anlagen betreffen, die sich im öffentlichen Straßenraum befinden. Oft aber sind Bauarbeiten auf Privatgrundstücken nur unter Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraumes durchführbar. Nicht selten stellte sich für Unternehmen der Bauwirtschaft die Situation im Land Berlin so dar, dass Bauvorhaben nicht mit hinreichender Verlässlichkeit geplant – und in der Folge zum Teil auch nicht realisiert – werden konnten, weil der Zeitrahmen, innerhalb dessen Klarheit geschaffen wird, ab wann und nach welchen Maßgaben der öffentliche Straßenraum für die Baumaßnahme genutzt werden kann, unkalkulierbar war. Dies verursachte erhebliche Folgeprobleme, weil Ausschreibungen von Baumaßnahmen immer wieder daran scheiterten, dass innerhalb der Bindefrist der Angebote keine Rechtssicherheit erlangt werden konnte, ob die erforderliche Sondernutzungserlaubnis erteilt wird.

Nach alter Rechtslage musste über Sondernutzungerlaubnisanträge, sobald vollständige Antragsunterlagen eingereicht waren, innerhalb einer Frist von drei Monaten entschieden werden. Diese Bearbeitungsfrist konnte die zuständige Behörde einmalig um einen Monat verlängern. Lag nach der Frist keine Entscheidung vor, galt die Sondernutzungserlaubnis als widerruflich erteilt (§ 11 Abs. 2 BerlStrG a.F.). Von dieser Erlaubnisfiktion waren allerdings Erlaubnisanträge für die Errichtung von Baustellen im öffentlichen Straßenraum ausgenommen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BerlStrG a.F.).

Das Schneller-Bauen-Gesetz ändert das vorstehend genannte Verfahren insbesondere an zwei Stellen. Zum einen entfällt die Möglichkeit der Verwaltung, die Bearbeitungsfrist um einen Monat zu verlängern. Zum anderen – und vor allem – tritt die Erlaubnisfiktion nunmehr auch bei Sondererlaubnissen ein, die sich auf die Errichtung von Baustellen im öffentlichen Straßenraum beziehen, soweit es sich nicht um eine Baustelle im übergeordneten Straßennetz handelt; die Erlaubnisfiktion kann daher auch im gesamten umfangreichen Berliner Nebennetz eingreifen. Für das übergeordnete Straßennetz gelten die verkürzten Bearbeitungsfristen ebenfalls; bei einer Überschreitung der Drei-Monats-Frist für Baustelleneinrichtungen im übergeordneten Straßennetz tritt allerdings – wie bislang auch – keine Erlaubnisfiktion ein (§ 11 Abs. 2 Satz 12 BerlStrG n.F.). Man hätte vielleicht noch mutiger sein können. Aber es ist immerhin ein Schritt zum Bürokratieabbau und zur Verkürzung von Verfahrenslaufzeiten.

Es ist nicht auszuschließen, dass sich im neuen Jahr Baustellen und damit verbunden Verkehrsbehinderungen in den Nebenstraßen Berlins häufen. Dem mit Geduld zu begegnen, könnte sich lohnen. Denn vielleicht sind sie Vorzeichen einer schrittweisen Entspannung am Wohnungsmarkt.