Die Digitalisierung erobert nach und nach auch den Arbeitsmarkt. Neue Arbeitsformen beschäftigen Gerichte und Politik. Ein heiß diskutiertes Thema ist dabei auch das sogenannte Crowdworking.
Crowdworker sind Personen, die über Online-Plattformen Aufträge generieren. Dies kann direkt über einen Vertrag zwischen Kunden und Crowdworker erfolgen, so dass der Plattformbetreiber letztlich nur Vermittler ist und die technische Infrastruktur zur Verfügung stellt, oder indirekt, indem der Crowdworker einen Vertrag mit dem Plattformbetreiber abschließt, in dessen Rahmen er dann den Auftrag durchführt, den der Kunde dem Plattformbetreiber erteilt. Die denkbaren Dienstleistungen sind vielfältig. Sie reichen von einfachsten Tätigkeiten wie dem Fotografieren von Warenauslagen über Botendienste bis zu anspruchsvollen Tätigkeiten wie dem Programmieren von Software. Je einfacher die Arbeit ist, desto eher stellt sich die Frage nach dem Schutz des Crowdworkers. Denn häufig erhalten solche Crowdworker nicht einmal mehr den Mindestlohn, haben keinen Kündigungsschutz und keine Urlaubs- oder Krankengeldansprüche. Wie viele solcher Soloselbstständigen über Online-Plattformen Aufträge generieren und wie schutzbedürftig diese im Einzelfall sind, ist nicht bekannt. Für viele ist es nur ein reiner Zuverdienst neben einer Haupttätigkeit. Viele leben aber auch von solchen Aufträgen.
Derzeit werden Crowdworker in der Regel als Selbstständige eingestuft. Begründet wird dies damit, dass Crowdworker völlig frei entscheiden dürfen, ob und welchen Auftrag sie annehmen. Crowdworker unterliegen keinen Weisungen und sind nicht in die betriebliche Organisation des Auftraggebers eingegliedert. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 2020 dieser pauschalen Betrachtung nun eine Absage erteilt und jedenfalls für den entschiedenen Fall festgestellt, dass es sich bei dem Crowdworker um einen abhängig beschäftigten Arbeitnehmer handelte. Der Crowdworker hatte in einem Zeitraum von elf Monaten 2978 Kleinstaufträge für die Beklagte, eine Crowdworking-Plattform, ausgeführt. Die Beklagte kontrollierte im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Crowdworker konnten über ihren Account auf der Online-Plattform Aufträge annehmen, ohne hierzu verpflichtet zu sein. Jedoch erhielten sie für erledigte Aufträge Erfahrungspunkte, die es ihnen ermöglichten, ein höheres Level zu erreichen und mehrere Aufträge gleichzeitig zu bearbeiten. Die Crowdworker konnten so die Touren selbstständig planen und Aufträge effizienter erledigen, was letztlich auch zu einem höheren Stundenlohn führte.
Nachdem es zu Problemen in der Zusammenarbeit gekommen war, teilte der Plattformbetreiber dem Crowdworker mit, ihm zukünftig keine Aufträge mehr zu vermitteln und seinen Account zu löschen. Der Crowdworker klagte daraufhin auf Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Nachdem die ersten beiden Instanzen die Klage abgewiesen hatten, war die Revision des Klägers beim Bundesarbeitsgericht erfolgreich. Das Bundesarbeitsgericht sieht durchaus die Indizien, die für eine Selbstständigkeit sprechen, kommt aber bei Gesamtwürdigung aller Umstände zu dem Ergebnis, dass die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung überwiegen. Ausschlaggebend war dabei neben der sehr genauen Vorgabe zum Inhalt des Auftrags vor allem die Gestaltung der Plattform und insbesondere das Bewertungssystem, das dem Crowdworker ermöglichte, durch Erreichen bestimmter Level mehr Aufträge gleichzeitig anzunehmen, um einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem sei der Kläger veranlasst worden, in dem Bezirk kontinuierliche Kontrolltätigkeiten zu erledigen. Er sei faktisch über die Beklagte gesteuert worden, sodass er infolgedessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht mehr habe frei gestalten können. Die Besonderheit liegt darin, dass das Bundesarbeitsgericht offenbar die psychische Beeinflussung des Crowdworkers durch ein solches System als maßgebliches Kriterium ausreichen lässt, um eine Weisungsgebundenheit zu begründen. Streng genommen müsste das dazu führen, dass ein Crowdworker, der dieser Versuchung standhält, nicht weisungsabhängig beschäftigt wird. Damit wird die Grenze zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit noch undeutlicher als sie ohnehin schon war.
Dennoch spricht weiterhin viel dafür, dass Crowdworker grundsätzlich als Selbständige zu behandeln sind. Allerdings sollten Auftraggeber von Crowdworkern angesichts der oben dargestellten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sorgfältig überlegen, wie sie ihre Plattform zukünftig gestalten und ob sie überhaupt Anreizsysteme zur Auftragsübernahme anbieten wollen.
Unabhängig davon könnte sich die Rechtslage zukünftig ohnehin zugunsten der Crowdworker ändern. Denn in der Politik werden die Stimmen lauter, die Soloselbstständige besser schützen wollen. So hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im November 2020 ein Eckpunktepapier „Faire Arbeit in der Plattform-Ökonomie“ veröffentlicht. Gefordert wird eine Beweiserleichterung bei der Klärung des Beschäftigungsstatus, eine Einbeziehung in das System der gesetzlichen Rentenversicherung, Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschutz und Urlaub sowie verbindliche Mindestkündigungsfristen. Mit einem konkreten Gesetzentwurf ist in dieser Legislaturperiode wohl aber nicht mehr zu rechnen.