Ein Drink im Homeoffice kann gefährlich sein

Die Arbeitswelt 4.0 verändert unser aller Leben. Während Desk-Sharing und Co-Working-Spaces noch in den Kinderschuhen stecken, hält das Homeoffice immer stärker Einzug in den Arbeitsalltag. Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, größere Flexibilität und ein hohes Maß an Selbstbestimmung sind unbestreitbare Vorteile der Arbeit im Homeoffice. Die Nachfrage ist groß und hat nunmehr die ersten Politiker veranlasst, über eine Gesetzesinitiative für einen Anspruch auf Homeoffice nachzudenken. Den wenigsten Arbeitnehmern dürfte aber bewusst sein, dass die Arbeit im Homeoffice nach der derzeitigen Rechtslage zu einem deutlich geringeren Schutz in der gesetzlichen Unfallversicherung führt.

Verletzt sich ein Arbeitnehmer in den betrieblichen Räumen des Arbeitgebers oder auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, handelt es sich regelmäßig um einen Arbeitsunfall, dessen Folgen von der gesetzlichen Unfallversicherung gedeckt sind. Im Homeoffice gilt das nicht zwingend. So hat das Bundessozialgericht schon am 5. Juli 2016 (Az. B 2 U 5/15 R) entschieden, dass eine Arbeitnehmerin, die ihren Homeoffice-Arbeitsplatz in der oberen Etage des eigenen Wohnhauses verlassen hatte, um sich aus der einen Stock tiefer gelegenen Küche etwas zu trinken zu holen, auf dem Weg dorthin auf der Treppe ausrutschte und sich erhebliche Verletzungen zuzog, keinen Unfallversicherungsschutz hatte. Es handele sich nicht um einen Arbeitsunfall. Das Hinabsteigen der Treppe habe nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit gestanden. Die Arbeitnehmerin habe im Unfallzeitpunkt weder ihre Beschäftigung ausgeübt noch habe sie im Zusammenhang mit dieser einen Betriebsweg zurückgelegt. Vielmehr habe sie sich auf einem nichtversicherten Weg zum Ort der Nahrungsaufnahme befunden.

Unproblematisch zustimmen kann man dem Bundesozialgericht sicher darin, dass die Unterbrechung der Arbeit für eine Trinkpause keine Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt und sich der Unfall deshalb nicht in Ausübung der versicherten Beschäftigung ereignete.

Für viele überraschend war die Entscheidung deshalb, weil das Bundessozialgericht auch einen Wegeunfall ablehnte. Zu den Betriebswegen zählt jeder Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Dazu zählen nicht nur die Hin- und Rückfahrt zum und vom Betrieb nach Hause, sondern auch Wege im und außerhalb des Betriebs während einer Pause, um sich etwas zu essen oder trinken zu holen, die Toilette auszusuchen o.ä.. Das Bundessozialgericht zieht dabei aber eine deutliche Grenze zwischen dem häuslichen Bereich und dem versicherten Betriebsweg. Der Betriebsweg beginne grundsätzlich erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes. Diese Grenze sei im Interesse der Rechtssicherheit bewusst starr gezogen, weil sie an objektive Merkmale anknüpfe, die im Allgemeinen leicht feststellbar seien. Im Homeoffice könne ein Betriebsweg innerhalb des eigenen häuslichen Bereichs daher nur dann versichert sein, wenn der Beschäftigte diesen im unmittelbaren betrieblichen und nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse zurückgelegt habe. Hätte die Arbeitnehmerin also nicht den Arbeitsplatz verlassen, um etwas zu trinken, sondern um beispielsweise ein Arbeitsmittel aus dem unteren Stockwerk zu holen, wäre sie versichert gewesen, da sie dann in Ausübung ihrer Tätigkeit für den Arbeitgeber gehandelt hätte.

So verständlich das Interesse der Arbeitnehmer daran ist, während des ganzen Arbeitstages Versicherungsschutz zu genießen – und zwar auch im Homeoffice und während einer Trinkpause, so nachvollziehbar sind aber auch die Bedenken des Bundessozialgerichts zur Abgrenzung zwischen einem rein häuslichen, nicht gesetzlich versicherten Unfall und einem Arbeitsunfall. Denn das Homeoffice zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass der Arbeitnehmer den Arbeitstag jederzeit unterbrechen kann und darf, um sich privaten Tätigkeiten wie z.B. der Kinderbetreuung, dem Einkauf oder dem Haushalt zu widmen. Wäre jede dieser Tätigkeiten versichert, solange sich der Unfall nur zwischen der ersten Arbeitsaufnahme am Morgen und der letzten beruflichen Tätigkeit am Abend ereignete, so wäre das sicher zu weitgehend.

Aber was könnten taugliche Abgrenzungskriterien sein? Etwa die Dauer der Unterbrechung? Wohl eher nicht. Denn die Idee des Homeoffice wäre konterkariert, wenn der Arbeitnehmer immer mit der Stoppuhr überwachen müsste, wie lange er die Arbeit unterbricht. Und wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn sich der Unfall gleich zu Beginn der Unterbrechung ereignete, die Unterbrechung aber für mehrere Stunden geplant war. Auch die Art der Tätigkeit, für die der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit unterbricht, erscheint kein praktikables Abgrenzungskriterium. Denn wer soll entscheiden, welche Aktivitäten privilegiert sind – d.h. den Versicherungsschutz nicht unterbrechen – und welche nicht?

Solange weder Rechtsprechung noch Gesetzgeber sinnvollere Abgrenzungsmöglichkeiten finden, bleibt es dabei, dass im Homeoffice letztlich nur die berufliche Tätigkeit selbst bzw. alle Wege im Homeoffice, die im Rahmen der beruflichen Tätigkeit zurückgelegt werden, versichert sind und jede Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit für eine private Handlung auch den Versicherungsschutz unterbricht. Dass dabei dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist, liegt auf der Hand. Denn diese Abgrenzung führt dazu, dass der unredliche, informierte Arbeitnehmer immer behaupten kann, aus beruflichen Gründen den Arbeitspatz verlassen zu haben. Damit es dazu gar nicht erst kommt, ist allen Arbeitnehmern im Homeoffice zu empfehlen, vorsorglich eine private Unfallversicherung abzuschließen. Arbeitgeber sollten in der Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer zum Homeoffice auf das Risiko hinweisen, sind dazu aber wohl nicht verpflichtet.

Nachtragsvereinbarungen: Wie sind Baustellengemeinkosten zu berücksichtigen

Das Thüringische Oberlandesgericht hat in seinem Urteil vom 22. Juni 2017 – 1 U 673/15 – Vorgaben für Nachtragsvergütungen von Bauleistungen aufgestellt, die Auftraggebern erhebliche Schwierigkeiten bereiten könnten. Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Beschluss vom 29. August 2018 – VII ZR 162/17 – diese Entscheidung durch Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bestätigt. Ob diese Entscheidung verallgemeinert werden kann, darf allerdings bezweifelt werden. Die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgte allein wegen fehlenden Revisionsgründen.

1.
Hintergrund der Entscheidung war ein VOB-Vertrag über Umbau- und Instandsetzungsarbeiten. Durch diverse Nachträge für Leistungsänderungen erhöhte sich die Vergütung. Die vereinbarte Ausführungsfrist änderte sich trotz der Nachträge nicht. Über die Nachträge wurden Nachtragsvereinbarungen geschlossen. Diese enthielten je eine aus dem „Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßenund Brückenbau“ des Bundesministeriums für Verkehr übernommene Regelung:

„Bei der Verhandlung der Preise dieses Nachtrags wurde ein Ausgleich der Baustellengemeinkosten und etwaiger auftragsbezogener Sonderkosten nicht berücksichtigt. Ein späterer Ausgleich bleibt vorbehalten.“

Im Rahmen der Schlussrechnungsprüfung kürzte der Auftraggeber auf der Grundlage der Vorbehaltsklausel in den Nachtragsvereinbarungen die Rechnungsforderung um den Betrag, der auf die Baustellengemeinkosten (BGK) der Nachtragsleistungen entfiel. Der Auftraggeber ging davon aus, dass bei Einhaltung der Bauzeit insgesamt auch keine höheren BGK als die für die ursprünglich kalkulierte Ausführungszeit angefallen sind.

Das OLG bestätigte diese Kürzung nicht und sprach dem Auftragnehmer die volle Nachtragsvergütung inklusive der BGK-Zuschläge zu. Die dazu vom OLG aufgestellten Leitsätze überzeugen jedoch nicht.

2.
Im 1. Leitsatz stellt das OLG fest, dass die Höhe der in einer Nachtragsvereinbarung vereinbarten Vergütung für die Ausführung einer geänderten oder zusätzlichen Leistung verbindlich ist und nicht an die Vergütung für den Hauptauftrag geknüpft sei.

a)
Dies ist bereits nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 5/ 6 VOB/B zweifelhaft. Nach der klaren Regelung ist der neue Preis „unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten“ bzw. „nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung und den besonderen Kosten“ zu bestimmen ist. Dies entspricht der kalkulatorischen Preisfortschreibung, die seit vielen Jahren ständige Rechtsprechung bei VOB-Verträgen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. März 2013 – VII ZR 142/12).

Das Kammergericht hat diese ständige Rechtsprechung in seinem Urteil vom 10. Juli 2018 – 21 U 30/17 – infrage gestellt. Die Revision gegen diese Entscheidung ist beim BGH zum Aktenzeichen VII ZR 164/18 anhängig. Es wird abzuwarten bleiben, ob der BGH diesbezüglich an seiner ständigen Spruchpraxis festhält. Das Vergütungssystem der VOB/B ist seit vielen Jahren von dieser Art der Preisermittlung geprägt, die gesamte Bauwirtschaft hat sich darauf eingestellt und es ist nicht erkennbar, weshalb davon abgewichen werden soll.

Der Bundesgesetzgeber hat sich in dem zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Bauvertragsrecht ausdrücklich von diesem Vergütungssystem für Leistungsänderungen verabschiedet und ein alternatives Vergütungsmodell nach den tatsächlich erforderlichen Kosten eingeführt. Für die VOB-Verträge gilt dies jedoch zunächst nicht, sodass das System der Preisfortschreibung nach wie vor Gültigkeit hat.

b)
Die Auffassung des OLG widerspricht auch der Entscheidung des BGH vom 24. April 2005 – X ZR 166/04. In dieser Entscheidung hat der BGH zutreffend festgestellt, dass der Auftraggeber dieselbe Leistung in der Regel nicht ein zweites Mal aufgrund einer Nachtragsvereinbarung bezahlen muss, die bereits nach dem Ursprungsvertrag geschuldet ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Juni 2003 – X ZR 86/01). Nachtragsvereinbarungen können nur dann einen Vergütungsanspruch begründen, wenn der Auftraggeber mit ihnen die Vergütungsforderung des Auftragnehmers selbstständig anerkennt oder die Parteien einen Vergleich über die streitige Forderung treffen. Dies ist in den vorliegenden Nachtragsvereinbarungen gerade nicht erfolgt, da mit dem darin enthaltenen Vorbehalt die Option zur Klärung hinsichtlich der Baustellengemeinkosten gerade offengehalten werden sollte.

Der BGH hatte mit seiner Entscheidung vom 24. April 2005 – X ZR 166/04 der entgegenstehenden Ansicht des Kammergerichts (Urteil vom 14. November 2004 – 10 U 300/03), dass eine Nachtragsvereinbarung verbindlich eine Vergütungsforderung regelt, auch wenn die Leistung zum Ursprungsvertrag gehörte, eine Absage erteilt.

Vor diesem Hintergrund überrascht die Entscheidung des Thüringischen Oberlandesgerichts, die sich zu der BGH-Rechtsprechung in Widerspruch setzt.

c)
Vor dem Hintergrund der Entscheidung des BGH vom 26. April 2005 – X ZR 166/04 – muss der Auftraggeber eine doppelte Vergütung trotz Nachtragsvereinbarung nicht zahlen, sofern die Leistung bereits mit dem Hauptauftrag abgegolten ist. Für die Baustellengemeinkosten kann dies angenommen werden, da diese für die ursprüngliche Leistungserbringung und damit für die ursprüngliche Leistungszeit mit den Vertragspreisen des Hauptvertrages abgegolten sind. Baustellengemeinkosten sind solche Kosten, die nicht unmittelbar einer Teilleistung zugeordnet werden können, sondern die für mehrere Positionen, für einzelne Gewerke und für die Gesamtbaustelle entstehen (Kapellmann/Schiffers/Markus, Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag, Bd. 1, 7. Auflage 2017, Rn. 10). Dazu gehören regelmäßig zeitabhängige Kosten wie Baustelleneinrichtung, Bauleiter etc. Bei Einhaltung der Bauzeit erhöhen sich diese Kosten zunächst einmal nicht. Die Frage danach, wer den Nachweis der Änderung der BGK durch die Nachtragsleistungen zu erbringen hat, beantwortete das OLG durch den 2. Leitsatz.

3.
Im 2. Leitsatz beschrieb das Thüringische Oberlandesgericht, dass infolge des vereinbarten Vorbehalts eines Gemeinkostenausgleichs der Auftraggeber die Beweislast dafür trägt, dass durch die Nachtragsleistungen bei Einhaltung der vereinbarten Bauzeit keine zusätzlichen Gemeinkosten gegenüber dem Hauptvertrag verursacht worden.

Auch wenn das Thüringische Oberlandesgericht im 3. Leitsatz zutreffend beschreibt, dass die Bauzeit nur ein Faktor für die Bemessung der BGK ist, so wäre es gleichwohl sachgerecht, dass der Auftragnehmer den gegenüber dem Hauptvertragspreis behaupteten erhöhten Aufwand für die BGK für die Nachtragsleistungen darlegt und beweist.

Dies ließe sich in der vorliegenden Konstellation der abgeschlossenen Nachtragsvereinbarungen ggf. über die sekundäre Darlegungslast des Auftragnehmers begründen. Diese liegt immer dann vor, wenn die nähere Darlegung der primär darlegungsbelasteten Parteien nicht möglich oder zumutbar ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 10. Februar 2015 – VI ZR 143/13). Dem Auftragnehmer ist es ein Leichtes, seine Kalkulation für die BGK darzustellen und ggf. entstandene Mehrkosten nachzuweisen.

Da dies jedoch nicht sichergestellt ist, empfehlen sich rechtssichere Regelungen im Vertrag oder in den Nachtragsvereinbarungen.

Vor dem Hintergrund der vorliegenden Entscheidungen empfiehlt sich für Bauherren auch, die Nachtragsvereinbarung lediglich zu den Einzelkosten der Teilleistungen und einem Nachweiserfordernis hinsichtlich zusätzlich entstehender Gemeinkosten abzuschließen.

Ob eine solche Vereinbarung noch dem Regelungsinhalt der §§ 2 Abs. 5/ 6 VOB/B entspricht und damit keinen Eingriff in die VOB darstellt, wird gegebenenfalls durch die Rechtsprechung zu prüfen sein. Da in den Vergütungsregelungen der VOB/B stets die Berücksichtigung der Mehr- und Minderkosten enthalten ist, kann dies durchaus auch auf die Mehr- oder Minderkosten der Gemeinkosten bezogen werden.

4.
Der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) will die VOB/B trotz des in Kraft getretenen Bauvertragsrechts zunächst nicht ändern (Pressemitteilung Nummer 019/18 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 24. Januar 2018).

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hat durch seinen Erlass BI7-81063.7/0 vom 18. Mai 2017 klargestellt, dass auch nach der Einführung des Bauvertragsrechts im BGB die öffentlichen Auftraggeber zur Anwendung der VOB/B verpflichtet bleiben. Dies folgt aus der verpflichtenden Ausschreibung von Bauleistungen nach VOB/A, die in § 8 Abs. 3 VOB/A (EG) zwingend die Vereinbarung der VOB/B vorschreibt.

Insofern wird die Diskussion zu derartigen Themen aus Nachtragsforderungen in VOBVerträgen wird den Juristen noch lange erhalten bleiben.

Urteilsbegründung zum Regionalplan „Havelland-Fläming 2020“ liegt vor

Mit Urteil vom 5. Juli 2018 hatte das OVG Berlin-Brandenburg den Regionalplan „Havelland- Fläming 2020“, der insbesondere Festlegungen zur Windenergienutzung enthielt, für unwirksam erklärt (Az.: OVG 2 A 2.16 und andere). Nun liegt auch die 56 Seiten starke Begründung vor; siehe Link auf die Urteilsdatenbank unten.

Darin enthalten sind nicht nur Aussagen zu formellen Fehlern (u.a. Ausfertigungsfehler und Fehler bei der Bekanntmachung und Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung), sondern auch umfassende Ausführungen zu materiellen Fehlern. Unter anderem hat sich der 2. Senat als – soweit ersichtlich – bundesweit erstes Obergericht mit der Festlegung von Repowering- Flächen auf der Ebene der Regionalplanung auseinandergesetzt. Die Bestimmung der Potenzialflächen zur Verlagerung von Altanlagen sei im Regionalplan Havelland-Fläming abwägungsfehlerhaft gewesen, da diese nicht abschließend abgewogen worden seien. Den Gemeinden wurden für die nachgeordneten Planungsebenen keine Vorgaben für das Repowering gemacht, so dass ein „Aushebeln“ durch besonders hohe Voraussetzungen für die Verlagerung von Altanlagen nicht ausgeschlossen werden könne. In dem Zusammenhang hat sich der 2. Senat erstmals dahingehend festgelegt, dass Eignungsgebiete nicht nur außergebietlichen sondern auch innergebietlichen Zielcharakter haben, mit der Folge, dass raumbedeutsame Belange bereits auf der Ebene der Regionalplanung bei der Gebietsfestlegung abschließend abgewogen sein müssen und nur nicht raumbedeutsame Belange einem Vorhaben weiterhin entgegengehalten werden könnten.

Beanstandet hat das Gericht darüber hinaus, dass die Regionale Planungsgemeinschaft Havelland-Fläming bei den Siedlungsabständen nicht zwischen „harten“ und „weichen“ Tabuzonen unterschieden hat, sondern den 1.000 m-Schutzabstand zur Wohnbebauung einheitlich als weiche Tabuzone in Ansatz gebracht hat. Was die Einordnung in „harte“ und „weiche“ Tabuzonen anbelangt, neigt der Senat weiter dazu, die Schutzbereiche der Tierökologischen Abstandskriterien (TAK) als „harte Tabuzone“ anzusehen, weil die Entscheidung über die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme oder Befreiung nicht der regionalplanerischen Abwägungsentscheidung des Plangebers abhänge. Darüber hinaus sei die Frage, ob das Tötungs- oder Störungsverbot verletzt sei, eine reine Tatsachenund keine Abwägungsfrage. Dass die Planungsgemeinschaft den Freiraumverbund nach dem LEP B-B als „harte Tabuzone“ berücksichtigt habe, sei ebenfalls nicht zu beanstanden, auch wenn der Senat dies „mit Blick auf das ungeklärte Schicksal des LEP B-B“ nicht verbindlich zu entscheiden brauchte. Gegen den LEP B-B sind noch Normenkontrollverfahren beim 10. Senat anhängig.

Unbeanstandet gelassen hat der 2. Senat ferner die Mindestflächengröße von 100 ha, eine Flächenobergrenze von 2000 ha und einen Flächenumfang von 20 km, das Kriterium der Kompaktheit und den 5 km-Abstand zwischen den Außengrenzen von Windeignungsgebieten. Soweit die Planungsgemeinschaft diese im gesamten Plangebiet einheitlich angewendet hat, sie gleichwohl erst bei der Einzel- und ortsbezogenen Abwägung und nicht schon auf der Ebene der „weichen Tabuzonen“ in Ansatz gebracht hat, handele es sich nach Ansicht des Senats um eine folgenlose „falsa demonstratio“. Auch das dürfte für

Planungsträger bundesweit von Interesse sein.

Allen Planungsträgern, die sich mit der Steuerung von Windenergieanlagen auf Regionalplanebene oder auf gemeindlicher Ebene beschäftigen, ist die Lektüre der Entscheidungsgründe unbedingt zu empfehlen. Die Begründung beschränkt sich nicht auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Regionalplans aufgrund zahlreicher Fehler, sondern enthält viele Hinweise und Anregungen, wie ein Regionalplan zur Steuerung der Windenergienutzung gelingen kann. Damit trägt das Urteil auch zu mehr Rechtssicherheit bei.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision wurde nicht zugelassen. Es ist aber zu erwarten, dass die Regionale Planungsgemeinschaft Havelland-Fläming dagegen Nichtzulassungsbeschwerde einlegen wird. Um den „Wildwuchs“ von Windenergieanlagen in der Region zu verhindern, ist der Landesgesetzgeber bereits tätig geworden und hat in § 2c des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regionalplanung und zur Braunkohlen- und Sanierungsplanung bestimmt, dass Windenergieanlagen in der Region ab öffentlicher Bekanntmachung eines neuen Aufstellungsbeschlusses für zwei Jahre vorläufig unzulässig sein sollen (vgl. den Gesetzentwurf, LT.-Drucks. 6/9504).

Die Urteilsbegründung zum Regionalplan “Havelland-Fläming 2020” (OVG 2 A 12.16) finden Sie hier.

Arbeitszeugnisse – sind sie das Papier noch wert?

Das Gesetz gibt dem Arbeitnehmer mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Zeugnisanspruch (§ 109 GewO). Auch im laufenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer aus begründetem Anlass ein Zwischenzeugnis verlangen. In beiden Fällen unterscheidet man zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Zeugnis. Das einfache Zeugnis bescheinigt nur, dass der Mitarbeiter für den Arbeitgeber in einem bestimmten Zeitraum mit näher beschriebenen Aufgaben tätig war. Das qualifizierte Arbeitszeugnis enthält auch eine Beurteilung zu Führung und Leistung des Arbeitnehmers und entspricht dem, was heute allgemein von einem Arbeitszeugnis erwartet wird.

Wie ein qualifiziertes Zeugnis auszusehen hat, ist gesetzlich nicht näher geregelt. Zensuren wie in der Schule werden jedenfalls nicht vergeben. Vielmehr handelt es sich um eine verbale Beurteilung, wie man sie aus der ersten oder zweiten Klasse kennt. Da hängt es dann weitgehend von den individuellen Formulierungskünsten der Personalabteilung ab, wie ein Zeugnis letztlich aussieht. Viele Firmen richten sich dabei nach festen Mustern, so dass sie alle mehr oder weniger gleich klingen.

Fest steht, dass ein Zeugnis dem weiteren beruflichen Werdegang des Arbeitnehmers nicht schaden darf. Zu viel Wirklichkeit gehört also nicht unbedingt in ein Zeugnis. Und so hält sich schon seit Jahren das Gerücht, es gebe Geheimcodes, mit denen man besonders schlimme Verfehlungen und/oder Charaktereigenschaften eines Arbeitnehmers in blumigen Worten umschreiben könne und jeder Arbeitgeber verstehe diese Sprache.

Aber ist das auch so?

Richtig ist, dass es eine von der Rechtsprechung geprägte Zeugnissprache gibt, die jedoch in erster Linie die Beurteilung von Führung und Leistung erfasst. So wird eine befriedigende Leistung mit „zu unserer vollen Zufriedenheit“ oder „stets zu unserer Zufriedenheit“ ausgedrückt. Eine gute Leistung entspricht z. B. der Formulierung „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“. Eine weitere Steigerung erscheint sprachlich schwierig.

Spätestens bei der sehr guten Leistung kommt man daher um das grammatikalisch eindeutig falsche „vollste“ nicht mehr herum. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das aber hinzunehmen, da sich diese Formulierung in der Zeugnisanwendung bewährt habe (BAG Urteil v. 23.09.1992 – 5 AZR 573/91). Ähnliche Standardformulierungen gibt es für die Verhaltensbeurteilung.

Danach wird es undurchsichtig. Als Faustformel gilt je mehr „stets“, „immer“, „jederzeit“ etc. ein Zeugnis enthält, desto besser auch die Beurteilung.

Und was ist nun mit den Geheimcodes?

In einschlägigen Internetportalen findet man regelrechte Lexika, die einem angeblich verraten, bei welchen Formulierungen Arbeitnehmer misstrauisch werden sollten. Diese sollte man aber mit Vorsicht genießen. So findet man beispielsweise im Internet für die Formulierung „Er zeigte reges Interesse an seiner Arbeit“ die Interpretation, der Mitarbeiter habe Interesse, aber keinen Erfolg gehabt. Das ist insbesondere dann abwegig, wenn dem Mitarbeiter an anderer Stelle sogar ausdrücklich bescheinigt wird, dass er erfolgreich gewesen sei. Dem Landesarbeitsgericht Hamm war es zu verdanken, dass jahrelang die Verwendung der Formulierung „wir haben den Mitarbeiter als (…) kennengelernt“ streng verpönt war. Der Gebrauch des Wortes „kennengelernt“ drücke stets das Nichtvorhandensein der im Kontext aufgeführten Fähigkeit oder Eigenschaft aus (LAG Hamm Urteil vom 28.03.2000 – 4 Sa 648/99). Dem konnte sich das Bundesarbeitsgericht 10 Jahre später nicht anschließen. Eine derartige Bedeutung sei dem Wort „kennengelernt“ nicht beizumessen. Daran ändere auch die vereinzelte Meinung eines Landesarbeitsgerichts nichts (BAG Urteil vom 15.11.2011 – 9 AZR 386/10). Manche Arbeitnehmer leiden regelrecht unter Verfolgungswahn. So musste sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Ende letzten Jahres damit auseinandersetzen, ob das Zusammentackern einzelner Zeugnisseiten ein Geheimcode sei. Dies hat es glücklicherweise verneint (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.11.2017, Az. 5 Sa 314/17).

Bei Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitgeber in blumiger Sprache etwas Negatives vermitteln möchte, helfen weniger aus dem Zusammenhang gerissene Formulierungen, sondern in der Regel eine sorgfältige Prüfung dahingehend, ob das Zeugnis den Eindruck vermittelt, der Arbeitnehmer sei im Versuch stecken geblieben – weil zum Beispiel nichts zu den Ergebnissen gesagt wird – oder Eigenschaften attestiert werden, die für Arbeitnehmer und/oder die jeweilige Position eher unpassend sind. Dabei ist immer das gesamte Zeugnis und nicht nur einzelne Formulierungen zu beachten.

Aber wird einem Arbeitnehmer heute nicht immer eine gute Leistung attestiert?

Tatsächlich musste sich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und ihm folgend auch das Bundesarbeitsgericht mit der Frage beschäftigen, was heute ein durchschnittliches Zeugnis ist. Diese Frage ist für die Beweislastverteilung in einem Zeugnisrechtsstreit von großer Bedeutung. Für eine überdurchschnittliche Beurteilung ist nämlich der Arbeitnehmer darlegungs- und beweisbelastet, eine unterdurchschnittliche Beurteilung muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen. Beides ist erfahrungsgemäß kaum möglich. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in seiner Entscheidung vom 21. März 2013 – 18 Sa 2133/12 – anhand von Statistiken nachgewiesen, dass gegenwärtig im Durchschnitt eher gute Zeugnisse erteilt werden, und wollte die Beweislastverteilung entsprechend anpassen, so dass schon eine befriedigende vom Arbeitgeber dargelegt und bewiesen werden müsste. In der Folge hätte jeder Arbeitnehmer im Zweifel ein gutes Zeugnis verlangen können, da kaum ein Arbeitgeber Lust auf einen Zeugnisrechtsstreit hat. Dies hätte dann dazu geführt, dass alle Arbeitnehmer, denen man etwas Gutes tun möchte oder die sich aus der Masse hervorheben, ein sehr gutes Zeugnis bekommen hätten. Das hätte den Durchschnitt dann noch weiter nach oben verschoben, so dass man über kurz oder lang nur noch sehr gute Zeugnisse gefunden hätte. Dieses Problem hat das Bundesarbeitsgericht erkannt und das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 18. November 2014 – 9 AZR 584/13 – aufgehoben. Danach ist eine durchschnittliche Leistung weiterhin ein „befriedigend“.

Ein weiterer Streitpunkt ist die jeweilige Schlussformel eines Zeugnisses. So findet sich in aller Regel ein Schlusssatz, mit dem der Arbeitgeber sein Bedauern über das Ausscheiden ausdrückt, dem Arbeitnehmer dankt und für den weiteren Berufs- und Lebensweg alles Gute und viel Erfolg wünscht. Fehlt ein solcher Satz, ist das jedenfalls auffällig. Dennoch hält das Bundesarbeitsgericht an seiner Rechtsprechung fest, dass es keinen Anspruch auf Dank, Bedauern und gute Wünsche gebe (BAG, Urteil vom 11.12.2012 – 9 AZR 227/11).

Was sagt das alles nun über den Aussagegehalt von Zeugnissen?

Ein nur befriedigendes und ohne Dankes- und Wunschformel formuliertes Zeugnis deutet in aller Regel darauf hin, dass man nicht im Einvernehmen auseinandergegangen ist und/oder der Mitarbeiter nicht gerade zu den Stützen des Unternehmens gezählt hat. Aber es bleibt ein „und/oder“. Und niemand weiß, was zu einem etwaigen Zerwürfnis geführt hat, geschweige denn, wer das zu verantworten hatte. Auch dieser Mitarbeiter kann ein Gewinn für einen neuen Arbeitgeber sein. Ein sehr gutes oder gutes Zeugnis kann ernst gemeint sein, kann aber auch reine Gefälligkeit anlässlich der Trennung von einem besonders schwierigen Mitarbeiter gewesen sein. Gerade im Zusammenhang mit gerichtlichen Vergleichen oder Aufhebungsverträgen ist das allgemein üblich.

Man sollte den Zeugnisbeurteilungen daher keine allzu große Bedeutung mehr beimessen. Wichtiger wäre es für neue Arbeitgeber zu wissen, was ein Mitarbeiter tatsächlich gemacht hat. Hierfür reicht ein einfaches Zeugnis aus. Dabei kann auch angegeben werden, ob der Mitarbeiter diese Aufgaben selbstständig, im Team oder unter Anleitung gemacht hat. Bei Führungskräften kann dargestellt werden, für wie viele Mitarbeiter der Arbeitnehmer zuständig war und ob und ggf. welche Budgetverantwortung er hatte. Derartige Aussagen können völlig objektiv getroffen werden, führen zu weniger Arbeitsaufwand in der Personalabteilung und sind angesichts der dargestellten Entwicklungen nicht weniger aussagefähig wie die derzeit üblichen qualifizierten Zeugnisse. Da einfache Zeugnisse in aller Regel kürzer sind, wird auch weniger Papier verschwendet.

Im Werkvertragsrecht kein Schadenersatz mehr im Umfang fiktiver Reparaturkosten

Im Frühjahr hat der Bundesgerichtshof mit einer bedeutenden Entscheidung vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17 – seine langjährige Rechtsprechung aufgegeben, nach der bislang Schadensersatz statt der Leistung auf der Grundlage fiktiver Mängelbeseitigungskosten geltend gemacht werden konnte.

1.
In der Vergangenheit war es in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei Mängeln am Werk statt der Mängelbeseitigung Schadenersatz gefordert werden konnte, der auf der Grundlage der notwendigen Kosten für die Mängelbeseitigung ermittelt wurde. Bei der Verwendung des Schadenersatzbetrages war der Geschädigte frei, da nach deutschem Schadensersatzrecht ein Ausgleich der Vermögenseinbuße in Geld geschuldet war. Eine Zweckbindung dieses Geldbetrages bestand nicht.

Dieses Vorgehen entsprach im Werkvertragsrecht der ständigen Rechtsprechung. Häufig wurden durch Bauherren Mängel am Bauwerk hingenommen und der sog. kleine Schadenersatz (§§ 634 Nr. 4, 280, 281 BGB) verlangt. Die Höhe der Forderung konnte auf der Grundlage der für die Beseitigung des Mangels notwendigen Kosten berechnet werden (sog. fiktive Mangelbeseitigungskosten). Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB wurde lediglich die Mehrwertsteuer nicht erstattet, sofern die Arbeiten nicht ausgeführt wurden.

Diese Form der Schadensberechnung war auch im Kaufrecht anerkannt (BGH, Urteil vom 15. Juni 2012 – V ZR 198/11). Gebräuchlich war diese Form auch im Sachschadensrecht. Bei Bagatellschäden wie Kratzern und Dellen am Kfz wurden diese öfter belassen, die Regulierung der Versicherer in Höhe der Schadensbeseitigungskosten (ohne Mehrwertsteuer) jedoch nicht zur Schadensbeseitigung eingesetzt.

2.
Diese Form des Schadensausgleichs war in der Praxis einfach anzuwenden, leicht umzusetzen und mit geringem Aufwand zu kontrollieren. Die Methodik war deshalb z.B. im Werk- und Bauvertragsrecht leicht umzusetzen. Die Ermittlung von Mangelbeseitigungskosten am Bauwerk ist den Handwerkern ihres Gewerks möglich
und durch Sachverständige leicht überprüfbar. Insbesondere bei geringfügigen Mängeln, die jedoch einen erheblichen Aufwand der Mangelbeseitigung erfordern (bspw. kleine Fassadenarbeiten mit aufwändiger Gerüststellung) konnte dies gegebenenfalls zu erheblichen Kosten führen, obgleich der Mangel selbst unbedeutend war. Ohne eine Beseitigung des Mangels konnte dadurch eine Überkompensation eintreten, die der im deutschen Schadensersatzrecht zugrunde liegenden Totalreparation widerspricht.

Anders als in anderen Rechtssystemen, in denen für deutsche Verhältnisse teilweise utopische Schadensersatzforderungen beglichen werden, beinhaltet das deutsche Schadensersatzrecht nur den Gedanken, einen eingetretenen Schaden komplett auszugleichen. Die grundlegende Methode dafür ist die Erstellung einer Vermögensbilanz, die das gesamte Vermögen des Geschädigten infolge der schädigenden Handlung dem Vermögen ohne die schädigende Handlung gegenüberstellt.

Im Bereich des Baurechts wird damit die Vermögenslage des Bestellers eines Bauwerks, welches Mängel enthält, mit der hypothetischen Vermögenslage verglichen, wenn es die Mängel nicht gäbe. Dazu werden Wertermittlungsgutachten zum Grundstückswert einzuholen sein, die aufwendiger als Reparaturkostenangebote erstellt werden müssen.

Insbesondere in dem derzeit boomenden Immobilienmarkt wird sich bei einzelnen Mängeln an einer Immobilie kaum ein Minderwert am Marktpreis feststellen lassen. Gerade im Bereich Berlin steigen die Immobilienpreise kontinuierlich. Vom Zeitpunkt des Abschlusses eines Bauvertrags bis zur Fertigstellung hat sich der Wert der Immobilie häufig bereits deutlich erhöht. Sofern im Zeitpunkt der Abnahme Mängel festgestellt werden, wird sich daraus gegebenenfalls kaum ein Wertverlust am Immobilienpreis ableiten lassen. Die gleichzeitig angestiegenen Baukosten führen hingegen zu entsprechend hohen fiktiven Mangelbeseitigungskosten. Auch wenn der Besteller die Mängel tatsächlich beseitigen lässt, wird dies den Wert der Immobilie gegebenenfalls nicht oder kaum erhöhen. Aus diesem Grund ist es sachgerecht, nicht auf die fiktiven Mangelbeseitigungskosten abzustellen, um eine Überkompensation zu vermeiden.

3.
Der BGH hat ausdrücklich klargestellt, dass sämtliche Mängelrechte erhalten bleiben. Insbesondere ist das Recht auf Mangelbeseitigung in keiner Weise eingeschränkt. Die gesamte Diskussion wird folglich nicht eröffnet, sofern der Besteller die vorhandenen Mängel beseitigen lässt. Da der Bauvertrag grundsätzlich auf die Errichtung eines mangelfreien Bauwerks gerichtet ist, wird dies dem Besteller auch am meisten gerecht.

Der Besteller kann nach der Entscheidung des BGH auch noch Vorschluss für die Selbstvornahme gemäß §§ 634 Nr. 2, 637 BGB geltend machen, wenn er vorher Schadensersatz statt der Leistung gefordert hatte. Grundsätzlich ist gemäß § 281 Abs. 4 BGB durch die Schadensersatzforderung das Nacherfüllungsverlangen ausgeschlossen, nicht jedoch der Vorschussanspruch für die Selbstvornahme.

Der BGH hat eine einfache Möglichkeit der Schadensberechnung aufgezeigt, die keine Gesamtvermögensbilanz erfordert. Vielmehr kann der Mangelschaden ermittelt werden, indem der Minderwert des Werks wegen des nicht beseitigten Mangels nach Minderungsgesichtspunkten (§§ 634 Nr. 3, 638 BGB) geschätzt wird (§ 287 ZPO). Dabei wird man sich jedoch nicht mehr auf die Entscheidung des BGH vom 17.12.1996 – X ZR 76/94 – berufen können, wonach die Minderung in Anlehnung an den Geldbetrag zu schätzen ist, der aufgewendet werden muss, um die Mängel zu beheben.

4.
In seiner jüngsten Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass die fiktive Schadensberechnung auch beim Schadensersatzanspruch gegen den Architekten unzulässig ist. Sofern sich der Architektenfehler durch fehlerhafte Planung oder fehlerhafte Überwachung im Bauwerk bereits manifestiert hat, besteht ein Schaden des Bestellers in dem mangelhaften Bauwerk. Vom Architekten kann der Besteller keine Mangelbeseitigung am Bauwerk verlangen, da der Architekt keine Bauleistungen schuldet.

Jedoch kann der Besteller vom Architekten nach der neuen Rechtsprechung des BGH auch nur Schadenersatz in Höhe der Mangelbeseitigungskosten fordern, wenn die Mängel beseitigt werden. Ansonsten verbleibt es bei der tatsächlichen Vermögensminderung, die durch Aufstellung einer Gesamtvermögensbilanz zu ermitteln ist. Im Ergebnis der Rechtsprechung steht dem Besteller gegenüber dem Architekten sogar ein Vorschussanspruch für die Mangelbeseitigungskosten zu, der innerhalb eines Jahres abzurechnen ist.

5.
Derzeit ist noch nicht geklärt, ob sich die geänderte Rechtsprechung auch auf andere Rechtsbereiche, wie das Kauf- oder das sonstige Schadensrecht erstrecken lässt. Der VII. Senat des BGH hat ausdrücklich nur die Geltung für das Werkvertragsrecht beschrieben. Es wird abzuwarten bleiben, wie die für das Kaufrecht oder das Schadensrecht zuständigen Senate reagieren. Insbesondere in den Fällen der fiktiven Abrechnung von Reparaturkosten bei Kfz-Unfällen halte ich eine Anwendung der neuen Entscheidung für wünschenswert.

Building Information Modeling (BIM) – Revolution oder Modeerscheinung?

In der Immobilien- und Baubranche momentan in aller Munde: „Building Information Modeling“ – kurz BIM. Doch was ist BIM konkret? Welche Vorteile hat BIM? Wie gestaltet sich die rechtliche Umsetzung? Und vor allem: Wird „Building Information Modeling“ die gesamte Baubranche revolutionieren, oder handelt es sich am Ende nur um eine bloße Modeerscheinung?

Building Information Modeling

Der Begriff des Building Information Modeling (deutsch: Bauwerksdatenmodellierung) beschreibt eine Methode der softwarebasierten Planung, Bauausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden oder anderen Bauwerken. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) definiert die Planungsmethode BIM wie folgt: „Building Information Modeling bezeichnet eine kooperative Arbeitsmethodik, mit der auf der Grundlage digitaler Modelle eines Bauwerks die für seinen Lebenszyklus relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und in einer transparenten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgetauscht oder für die weitere Bearbeitung übergeben werden.“ Kurz gesagt, es entsteht ein 3D-Modell, in dem sämtliche planerischen, konstruktiven und kalkulatorischen Beiträge und Daten zusammengeführt werden.

Selbstverständlich wird auch heute schon mithilfe von 3D-Modellen geplant. Doch die verschiedenen Objekt- und Fachplanungen erfolgen grundsätzlich nebeneinander. Die einzelnen Planungen werden dann händisch zusammengeführt. Die Planung auf der Grundlage des BIM erfolgt hingegen direkt an einem Gesamt-3-D-Modell. Alternativ können auch die einzelnen Planungen in das Gesamtmodell zusammengeführt werden. Dies ermöglicht eine unmittelbare Kollisionsprüfung. Etwaige Planungsfehler können so noch während der Planungsphase behoben werden, da sie nicht erst auf der Baustelle entdeckt werden, wenn vieles schon zu spät ist. Dies führt mithin zu einer erheblichen Steigerung der Planungsqualität.

Darüber hinaus ermöglicht die BIM-Methode eine enorme Datentiefe. So werden bereits im Stadium der Planung wichtige Daten wie Materialpreise, Materialeigenschaften oder die Lebensdauer einzelner Bauteile gespeichert. Dies vereinfacht einerseits die Kalkulation bei Planungsänderungen. Zum anderen entsteht so auch ein vernetztes Datensystem, dass bei regelmäßiger Aktualisierung bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung die Grundlage der Gebäudesteuerung und darüber hinaus des Facility Managements bilden kann.

Rahmenbedingungen

Die BIM-Arbeitsmethode soll nach den Plänen der Großen Koalition für alle Planungsund Baudisziplinen weiterentwickelt werden. Der Koalitionsvertrag sieht insofern vor, dass BIM bei Baumaßnahmen des Bundes – insbesondere bei Verkehrsinfrastrukturprojekten – verstärkt zum Einsatz kommen soll. Die Vereinbarungen sind zwar so unkonkret, dass in dieser Legislaturperiode, über vereinzelte Pilotprojekte hinaus, eine weitergehende Implementierung des BIM nicht zu erwarten ist. Dennoch scheint zumindest der Weg – die Förderung des BIM durch entsprechende Vergaben des öffentlichen Sektors – vorgezeichnet.

Wesentlich weiter geht die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2017. Demnach soll BIM dort ab dem Jahr 2020 für Vergaben verbindlich sein.

Der Berliner Senat hingegen plant keine Einführung einer Pflicht, BIM bei Vergaben für Bauvorhaben des Landes zu verlangen (Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen vom 13. Februar 2018 auf die Anfrage des Abgeordneten Andreas Otto [GRÜNE] zur Einführung von BIM in Berlin (http://pardok.parlamentberlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-13334.pdf)).

Anwendung in der Praxis

Im angelsächsischen, asiatischen und auch osteuropäischen Raum ist die Anwendung des BIM mittlerweile Standard und vielerorts sogar eine absolute Selbstverständlichkeit. Dort ist der Einsatz von BIM im Rahmen von öffentlichen Bauvorhaben teilweise gesetzlich vorgeschrieben. Hierzulande kommt das BIM bis dato kaum zur Anwendung. Die Immobilienwirtschaft scheint hauptsächlich den entstehenden Mehraufwand und die nicht unerheblichen Investitionskosten einer Umstellung der vorhandenen Ressourcen und Prozesse auf BIM zu fürchten. Insbesondere kleineren und mittelständischen Unternehmen fehlt oftmals das digitale Know-how. Darüber hinaus sind die Auftragsbücher der im Bausektor tätigen Unternehmen aktuell sehr gut gefüllt. Folglich fehlt hier wohl oftmals die Zeit, aber vor allem auch der Druck, in die digitale Weiterentwicklung zu investieren.

Rechtliche Umsetzung

Die Anwendung des BIM wird als ein „Kulturwandel“ verstanden, da die Methode zu einer kooperativen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit aller am Planungs- und Bauprozess Beteiligten führen kann; man arbeitet schließlich gemeinsam an einem Modell. Vor Beginn der Planung mit BIM müssen daher die insofern entstehenden neuen Rollen und Verantwortlichkeiten, vor allem aber die zusätzlichen BIM-spezifischen Leistungspflichten klar definiert sein.

Die besonderen Herausforderungen der Vertragsgestaltung beim Einsatz der BIMPlanungsmethode bestehen in eben dieser Vielzahl der Beteiligten. Eine Möglichkeit der Vertragsgestaltung ist der im angelsächsischen Raum präferierte Ansatz, einen einheitlichen Mehrparteienvertrag zu schließen, der die BIM-spezifischen Rechte und Pflichten aller am Projekt Beteiligten regelt. Diese Art des Vertragsschlusses wird jedoch bei einem Großteil der Bauprojekte nicht möglich sein, da im Zeitpunkt des Planungsvertragsschlusses die bauausführenden Unternehmen oftmals noch nicht gefunden und beauftragt sind. Deshalb sind dann die einzelnen klassischen Bau- und Architektenverträge um BIM-spezifische Regelungen zu ergänzen, beispielsweise durch besondere BIM-Vertragsbedingungen (BIM-BVB). Inhaltlich sind hier insbesondere die konkreten Leistungspflichten (u. a. Modellbeschaffenheit, Detaillierungsgrad, Form der Datenübertragung, BIM-Koordinierung, Prüf- und Hinweispflichten) sowie haftungs- und urheberrechtliche Einzelheiten zu regeln. Dabei ist es elementar, dass die BIMspezifischen Regelungen einheitlich in sämtliche Verträge aufgenommen werden um so Widersprüche und Vertragslücken zu vermeiden. Ferner sind im Rahmen der Vertragsgestaltung Regelungen hinsichtlich der Vergütung der planerischen Leistungen zu treffen. Hier muss insbesondere festgelegt werden, welche BIM-Leistungen auf der Grundlage der HOAI und welche Leistungen als „besondere Leistungen“ zu vergüten sind.

Es gibt folglich keinen „Muster-BIM-Vertrag“. Aufgrund der Besonderheiten eines jeden Bauvorhabens und aufgrund des ebenfalls je nach Einzelfall divergierenden Umfangs und Einsatzes der BIM-Methode, bedarf jedes BIM-Projekt einer individuell angepassten, bedarfsgerechten Vertragsgestaltung, um so dem partnerschaftlichen Grundsatz des BIM gerecht zu werden.

Schleichende Revolution

Die Digitalisierung schreitet in all unseren Lebensbereichen voran, unaufhaltsam. Auch im Bauwesen – wenn auch langsam. Unsere Städte werden smarter – wir leben künftig in „Smart Cities“ (de/blog/article/2018/06/01/baugb-novelle-fuer-smart-cities/). Die durch BIM in einem Gebäude oder einer Infrastruktureinrichtung gespeicherten Daten sind dann entscheidende und wertbildende Faktoren. Die Nachfrage nach der BIMPlanungsmethode wird auch deshalb merklich steigen. Die Bauwirklichkeit wird sich durch das virtuelle Baumanagement verändern.

Die Vorteile des BIM überwiegen; eine höhere Planungsqualität, eine größere Kostensicherheit sowie verkürzte oder zumindest tatsächlich eingehaltene Bauzeiten. So erfolgte beispielsweise der Bau des vorzeitig fertiggestellten Gotthard-Basistunnels in der Schweiz teilweise BIM-unterstützt. Der Bau des Flughafens BER dagegen nicht. Doch immerhin, sogar in Berlin geht der Trend hin zum BIM – die Planung und Durchführung der Baumaßnahmen zur Nachnutzung des Terminalgebäudes des Flughafens Tegel erfolgt bereits mittels BIM. Jetzt muss Tegel nur noch geschlossen werden.

OVG Berlin-Brandenburg erklärt den Regionalplan „Havelland-Fläming 2020“ für unwirksam

Der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hat mit Urteilen vom 5. Juli 2018 den Regionalplan „Havelland-Fläming 2020“ (bekannt gemacht im Amtsblatt für Brandenburg vom 30.10.2015) insgesamt für unwirksam erklärt (Az. OVG 2 A 2.16, 2 A 11.16, 2 A 12.16, 2 A 13.16, 2 A 14.16, 2 A 15.16, 2 A 16.16 und 2 A 17.16).

Festgestellt wurden zahlreiche formelle Fehler, insbesondere Fehler bei der Ausfertigung und Bekanntmachung des Regionalplans, aber auch schon Fehler bei der Bekanntmachung zur Träger- und Öffentlichkeitsbeteiligung. Nach Ansicht des Senats reiche die Bekanntmachung darüber, dass „der Regionalplan“ ausliege, nicht aus, wenn weder der räumliche noch der sachliche Umgriff des Regionalplans näher bestimmt werden. Zur Gewährleistung der Anstoßfunktion sei jedenfalls eine grobe Skizzierung dessen, was Inhalt des Regionalplans ist, erforderlich. Die Einsichtsmöglichkeit in den Entwurf zum Regionalplan an nur zwei Wochentagen für je 6 Stunden, ohne die Möglichkeit der Einsichtnahme am Nachmittag – wie es im Landkreis Potsdam-Mittelmark der Fall war -, sei unzureichend.

Darüber hinaus leide der Regionalplan aber auch an erheblichen materiellen Fehlern und erweise sich als abwägungsfehlerhaft. Dem Regionalplan fehle es an einem schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzept. Denn mit dem vorgelegten Konzept könne der Plangeber sein Ziel nicht erreichen. Dies gelte insbesondere für die acht Potentialflächen, die der Verlagerung von außerhalb der Windeignungsgebiete befindlichen Windenergieanlagen dienen sollten. Soweit der Plangeber die Festlegung der Potentialflächen als Ausnahmeregelung von der Ausschlusswirkung (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB) konzipiert habe, sei dies nicht abschließend abgewogen worden. Insbesondere sei den Kommunen völlig freigestellt worden, ob sie von der Möglichkeit der gemeindlichen Planung zur Anlagenverlagerung (§ 249 Abs. 2

BauGB) überhaupt Gebrauch machen wollten. Konkrete Vorgaben für die Repowering-Festlegungen fehlten. Damit könnten Gemeinden die beabsichtigte Verlagerung auch vollständig „aushebeln“, so die Vorsitzende bei der Urteilsverkündung.

Beanstandet wurde ferner die mangelnde Unterscheidung zwischen „harten“ und „weichen“ Tabuzonen bei den Siedlungsabständen. Die Regionalplanung hatte den aus Gründen des vorbeugenden Immissionsschutzes in Ansatz gebrachten 1.000 m zu Siedlungsbereichen insgesamt als „weiche“ Tabuzone eingestellt. Dies sei nach Ansicht des 2. Senats fehlerhaft, da jedenfalls ein Teil davon als „harte“ Tabuzone in Ansatz zu bringen gewesen wäre.

Eine kleine Überraschung gab es in dem Verkündungstermin dann auch noch: entgegen der noch in der 6-stündigen mündlichen Verhandlung am 26. Juli 2018 geäußerten Auffassung lässt der 2. Senat nunmehr unbeanstandet, dass die Regionalplanung die Gebiete des Freiraumverbundes des Landesentwicklungsplans Berlin-Brandenburg (LEP B-B) als „harte“ Tabuzone in Ansatz gebracht hat. Dies ist insofern überraschend, als die Festlegungen des LEP B-B zum Freiraumverbund Ausnahmen vorsehen und zudem noch mehrere Normenkontrollverfahren gegen den LEP B-B beim 10. Senat anhängig sind.

Von Interesse dürfte ferner sein, dass der 2. Senat weiterhin zu der Annahme neigt, dass auch die Schutzbereiche der Tierökologischen Abstandskriterien in Brandenburg (TAK) zu den „harten Tabuzonen“ zählen dürften. Darauf kam es in den zu entscheidenden Fällen aber nicht mehr an, da sich der Regionalplan insbesondere schon in Hinblick auf den Umgang mit den Interessen von Anlagenbetreibern, die außerhalb der Windeignungsgebiete über Bestandsanlagen verfügten, als abwägungsfehlerhaft erwies. Infolge der Fehler beim Planungskonzept und der Ausweisung der Potentialflächen seien die Interessen der Anlagenbetreiber fehlerhafterweise dann auch nicht in die ortsbezogene Einzelfallabwägung eingestellt worden. Die Fehler bei der Abwägung schlugen im Ergebnis entsprechend auch auf die erforderliche Substantialität durch.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Zur Pressemitteilung des OVG
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BauGB-Novelle für Smart Cities?

Mit Sensoren ausgestattete Mülltonnen, die den Entsorgungsunternehmen melden, wenn sie voll sind und vom Entsorgungsunternehmen abgeholt werden müssen, intelligente Verkehrssysteme, Sensoren an Ampeln und Laternenmasten, die nicht nur freie Parkplätze, sondern auch den physikalischen Zustand der Straße erfassen, energieeffiziente Gebäude, die die Temperatur und Luftqualität selbst regeln, Apps, die Nutzern und den Verantwortlichen anzeigen, wo welche Aufzüge zu Bahnsteigen kaputt sind, interaktive Bürgerbeteiligung und Open Government auf kommunaler Ebene. Die Städte werden smarter. Alles weitgehend auf der Grundlage der bestehenden rechtlichen Bestimmungen.

Wenn wir aber wollen, dass Smart Cities „lebenswert und liebenswert, vielfältig und offen, partizipativ und inklusiv, klimaneutral und ressourceneffizient, wettbewerbsfähig und florierend, aufgeschlossen und innovativ, responsiv und sensitiv, sicher und raumgebend“, sind, wie es in der vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und zahlreichen Experten ausgearbeiteten Smart City Charta (http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/Sonderveroeffentlichungen/2017/smart-city-charta-de engdl.pdf;jsessionid=A5611212CA317B6AC2CBE59BE31A5C4A.live21304?__blob=publicationFile&v=3) heißt, dann brauchen wir neue rechtliche Rahmenbedingungen.

Datenschutzrechtliche Bestimmungen und Änderungen in der StVO oder der StVZO zum autonomen Fahren werden nicht ausreichen. Es geht um Stadtentwicklung und auch um Landesplanung. Umso bemerkenswerter ist, dass der Entwurf zum Landesentwicklungsplan für die Hauptstadtregion (LEP HR), der die Grundlage für die bauliche Entwicklung in Berlin und Brandenburg in den nächsten Jahren bilden soll, kaum ein Wort dazu verliert. In G 2.5 des LEP HR-Entwurfs heißt es lediglich: „In allen Teilen der Hauptstadtregion soll flächendeckend die Nutzung einer modernen und leistungsfähigen Informations- und Kommunikationsinfrastruktur ermöglicht werden.“ Nicht mehr als ein raumordnerischer Grundsatz, der auch weggewogen werden kann. An die dringend erforderliche Digitalisierung der ländlichen Regionen wird gar nicht erst gedacht.

Erstaunlich still verhält sich auch die Fachwelt, wenn es um die Umsetzung der Leitlinien der Smart City Charta im Städtebaurecht geht. Wir können uns aber nicht zurücklehnen, nur weil die Änderungen der letzten BauGB-Novelle 2017 noch nicht ganz verdaut sind. Klar ist, dass es mit einer Ergänzung des Katalogs der bei der Planaufstellung zu berücksichtigenden öffentlichen Belange in § 1 Abs. 6 BauGB nicht getan sein wird. Ob die digitale Infrastruktur ebenso wesentlicher Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge sein soll wie Kindertagesstätten, Schulen und Krankenhäusern muss ebenso diskutiert werden, wie die Frage, ob vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft ein Grundstück erst dann als „erschlossen“ gilt und bebaut werden kann, wenn das Grundstück neben dem Anschluss an das öffentliche Straßen- und an das Ver- und Entsorgungsnetz (Strom, Gas Wärme, Trinkwasser, Kanalisation etc.) auch über einen Breitbandkabelanschluss und über WLAN verfügt.

Die Diskussion, welche baurechtlichen Regelungen sich ändern müssen, um die Leitlinien der Smart City Charta mit Leben zu erfüllen, muss jetzt geführt werden. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen wir in den großen und kleineren smarten Städten in Zukunft leben wollen.