Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand und ist unwirksam.

Die Parteien des vom BGH entschiedenen Rechtsstreits schlossen im Jahr 2004 einen Vertrag über Straßen- und Tiefbauarbeiten. Die Auftragssumme belief sich auf 3.031.527,96 EUR netto. Im Verlaufe des Bauvorhabens stritten sie über die Qualität des verbauten Betons an einem Straßenabschnitt. Da der Auftragnehmer dem Mangelbeseitigungsverlangen des Auftraggebers nicht nachkam, kündigte dieser den Bauvertrag gemäß §§ 4 Nr. 7 S. 3, 8 Nr. 3 S. 1 Var. 1 VOB/B. Der Mangelbeseitigungsaufwand hätte sich bei laufendem Baubetrieb auf einen Betrag in Höhe von ca. 6.000 EUR netto belaufen.

Die Vorinstanzen vertraten hinsichtlich der Frage, ob es sich um eine Kündigung aus wichtigem Grund gehandelt hat oder um eine freie Kündigung, gegenteilige Auffassungen. Das galt insbesondere für die zu prüfende Vorfrage, ob hier die VOB/B überhaupt einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegt.

Der Bundesgerichtshof vertrat dazu vor rund 40 Jahren noch die Auffassung, dass die Klauseln der VOB/B, die als vorformulierte Vertragsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind, keiner Inhaltskontrolle unterliegen, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hat. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2004 dahingehend modifiziert, dass jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führt, dass diese nicht als Ganzes vereinbart ist, unabhängig davon, welches Gewicht der Eingriff hat. Damit ist grundsätzlich die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vereinbart werden. Ob eventuell benachteiligende Regelungen möglicherweise durch andere Regelungen “ausgeglichen” werden, ist unerheblich.

Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag beinhaltete nach den Feststellungen des Gerichts derartige Abweichungen. Damit war die VOB/B nicht mehr als Ganzes vereinbart und der Weg zu einer Inhaltskontrolle war eröffnet.

Bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2023 war umstritten, ob die Regelungen in §§ 4 Nr. 7 S. 3, 8 Nr. 3 S. 1 Var. 1 VOB/B einer Inhaltskontrolle standhalten oder ob sie den Auftragnehmer unangemessen benachteiligen und damit unwirksam sind.

Der VII. Senat entschied die Frage dahingehend, dass § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung zu den Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund nicht zu vereinbaren sind. Die Klauseln benachteiligen den Auftragnehmer unangemessen und sind deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

Der Bundesgerichtshof begründete diese Entscheidung damit, dass nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei jedweder mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung eine Kündigung einschränkungslos ausgesprochen werden könne. Diese Möglichkeit bestehe losgelöst davon, welches Gewicht der Vertragswidrigkeit oder dem Mangel im Hinblick auf die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zukomme. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) differenziere nicht nach der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels, so dass selbst unwesentliche Mängel, die den Auftraggeber nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigen würden, zur Kündigung aus wichtigem Grund führen könnten.

Damit widerspreche diese Kündigungsmöglichkeit dem gesetzlichen Leitbild der §§ 648a, 314 BGB, deren Voraussetzung stets die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung ist. Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase könne im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nach dem gesetzlichen Leitbild nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Solche können sich im Einzelfall aus Umständen ergeben, die einen Bezug zu der potenziell mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung aufweisen, sofern diese in der Gesamtabwägung so schwer wiegen, dass sie zu einer tiefgehenden Störung der für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauensbeziehung geführt haben. Ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abwarten zu müssen, kann etwa aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels folgen.

Die durch den BGH mit dieser Entscheidung geschaffene Klarheit ist grundsätzlich zu begrüßen. Dem Auftraggeber verbleibt wegen während der Erfüllungsphase auftretender Mängel (nur) noch das Kündigungsrecht gemäß § 648a BGB. Der BGH deutet in seiner Entscheidung bereits an, dass danach solche Mängel die Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber unzumutbar machen, die noch während der Bauausführung zu beheben sind. Dies können etwa Mängel an Bauteilen sein, die durch nachfolgende Gewerke verdeckt werden oder auf welche nachfolgende Gewerke aufbauen. Hier besteht für den Auftraggeber schon während der Bauausführung ein Interesse, dass diese Mängel unverzüglich beseitigt werden. Zu denken ist auch an die Kündigungsmöglichkeit nach §§ 5 Abs. 4 Var. 2, 8 Abs. 3 S. 1 Var. 2 VOB/B, soweit der Auftragnehmer mit der (abnahmereifen) Vollendung seiner Leistung in Vollzug geraten ist.

Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund muss aus Sicht des Auftraggebers seit dem 19. Januar 2023 noch sorgfältiger vorbereitet und begründet werden. Wir unterstützen Sie dabei gern.

Das Wind-an-Land-Gesetzespaket tritt in Kraft – eine Revolution bei den rechtlichen Rahmenbedingungen zum Ausbau von Windenergieanlagen

Zum 1. Februar 2023 treten die meisten Neuregelungen des „Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land“ (sog. Wind-an-Land-Gesetz) in Kraft. Tatsächlich handelt es sich nicht nur um ein Gesetz, sondern um ein ganzes Gesetzespaket, das bereits im Bundesgesetzblatt vom 28. Juli 2022 (BGBL. I S. 1353 ff.) bekannt gemacht worden war.

Zu den gesetzlichen Neuregelungen gehören unter anderem das Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG), das u.a. bestimmt, was „Windenergiegebiete“ sind, welche Flächenziele die einzelnen Bundesländer jeweils erreichen müssen und welche Flächen künftig anrechenbar sind. Zu den Neuregelungen gehören auch Änderungen im Baugesetzbuch, im Raumordnungsgesetz und im Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG). § 249 Abs. 1 BauGB n.F. regelt z.B., dass § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (Ausschlusswirkung) auf Windenergieanlagen grundsätzlich nicht mehr anwendbar ist. Übergangsregelungen für bestehende Regionalpläne spielen insoweit jedenfalls in Brandenburg keine Rolle, da keine der fünf Regionalen Planungsgemeinschaften in Brandenburg rechtzeitig Ausweisungen nach altem Recht vornehmen konnte. Folge im Land Brandenburg ist, dass es bis zum Inkrafttreten der neuen Regionalpläne keine großflächige Steuerung für die Errichtung von Windenergieanlagen gibt. Das Land hatte das Windkraft-Moratorium zur Sicherung der in Aufstellung befindlichen Regionalpläne mit Blick auf den Wegfall der Ausschlusswirkung schon im November 2022 aufgehoben und dabei auch deutlich gemacht, dass es zur Sicherung der neuen Pläne keine landesplanerischen Untersagungen geben wird (ABl. Bbg. v. 16.11.2022, S. 899). Das Brandenburgische Windenergieanlagenabstandsgesetz (1.000 m zur Wohnbebauung) bleibt aber zunächst bestehen. Es kippt nur dann, wenn die Flächenbeitragswerte nicht fristgerecht erreicht werden sollten.

Mit dem Wind-an-Land-Gesetzespaket wird die bisherige Rechtslage nicht nur ein bisschen reformiert. Die Neuregelungen, die nunmehr in Kraft treten, sind vielmehr eine gesetzgeberische Revolution. Für die Regionalplanung soll es künftig einfacher werden: keine gesamträumlichen Planungskonzepte mehr, keine „harten“ und „weichen“ Tabuzonen und für die Rechtswirksamkeit soll es künftig unbeachtlich sein, ob und welche Flächen im Planungsraum neben den dann ausgewiesenen Windenergiegebieten noch für die Ausweisung geeignet wären (vgl. § 249 Abs. 6 BauGB n.F.). Auch für Projektentwickler und Windenergieanlagenbetreiber soll es künftig leichter werden. Insbesondere § 45b BNatSchG n.F. zum Artenschutz mit den bundeseinheitlich vorgegebenen Abständen und Prüfbereichen für schützenswerte Brutvogelarten soll zur Beschleunigung in den Genehmigungsverfahren beitragen. Dazu kommen die Neuregelungen zum Repowering, wonach der Ersatz von Altanlagen durch neue künftig auch außerhalb der Windenergiegebiete zulässig sein wird. Den Gemeinden steht es frei, zusätzliche Flächen für Windenergieanlagen in ihren Bauleitplänen auszuweisen. Einschränkende Festsetzungen, etwa Höhenbeschränkungen in Bauleitplänen, führen hingegen dazu, dass diese Flächen auf die zu erzielenden Flächenbeitragswerte nicht angerechnet werden dürfen (vgl. § 4 Abs. 1 WindBG). Nun wird es darum gehen, die zahlreichen Neuregelungen mit Leben zu erfüllen. Dabei unterstützen wir Sie gern.

Windkraft-Moratorium verlängert – Überblick über die Folgen für die fünf Regionalen Planungsgemeinschaften in Brandenburg

Am 16. Juni 2021 hat der Landtag des Landes Brandenburg das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Regionalplanung und zur Braunkohlen- und Sanierungsplanung (RegBkPlG) verabschiedet. Das Gesetz ist seit dem 25. Juni 2021 in Kraft (GVBl. I/21, [19]).

Neben Änderungen bei der Zusammensetzung der Regionalversammlung (Erhöhung der Anzahl der Mitglieder auf 70, Vertretung aller amtsfreien Gemeinden und Ämter) ist Kern der Neuregelung die Verlängerung des sogenannten Windkraft-Moratoriums (§ 2c Abs. 1 RegBkPlG). Danach ist die Errichtung von Windenergieanlagen in Gebieten, in denen die Regionalpläne zur Steuerung der Windenergie vom Oberverwaltungsgericht gekippt worden sind, zur Sicherung der Aufstellung neuer Regionalpläne unzulässig. Das Moratorium galt bisher für die Dauer von zwei Jahren und kann nunmehr zwei Mal um ein weiteres Jahr verlängert werden.

Die Verlängerung war erforderlich, da keine der Regionalen Planungsgemeinschaften im Land Brandenburg, deren alte Regionalpläne zur Steuerung der Windenergienutzung vom Oberverwaltungsgericht gekippt worden waren (Regionale Planungsgemeinschaft Havelland-Fläming, Prignitz-Oberhavel, Lausitz-Spreewald, Uckermark-Barnim), innerhalb der kurzen Frist und aufgrund der coronabedingten Einschränkungen neue Pläne aufstellen konnte. 

Für die insgesamt fünf Planungsgemeinschaften in Brandenburg und den Ausbau der Windenergie bedeutet die Neuregelung im Einzelnen Folgendes:

Regionale Planungsgemeinschaft Havelland-Fläming (betrifft die Landkreise Potsdam-Mittelmark, Havelland, Teltow-Fläming und die Städte Potsdam und Brandenburg an der Havel): Für die Region Havelland-Fläming gilt seit dem 24. Juli 2019 das Windkraft-Moratorium. Dies wäre am 23. Juli 2021 ausgelaufen, konnte aufgrund der gesetzlichen Neuregelung aber um ein Jahr, also zunächst bis 23. Juli 2022, verlängert werden (ABl. Bbg. Nr. 27 vom 14. Juli 2021, S. 595). Die Regionalversammlung hat in ihrer letzten Sitzung am 17. Juni 2021 den Arbeitsstand zum neuen Regionalplan Havelland-Fläming 3.0 gebilligt. Voraussichtlich im November soll der Regionalplanentwurf vorliegen und dann zur Träger- und Öffentlichkeitsbeteiligung freigegeben werden.

Regionale Planungsgemeinschaft Prignitz-Oberhavel (betrifft die Landkreise Oberhavel, Ostprignitz-Ruppin und Prignitz): Für die Region Prignitz-Oberhavel gilt seit dem 7. August 2019 das Windkraft-Moratorium. Es wäre am 6. August 2021 ausgelaufen, konnte aufgrund der Neuregelung aber bereits um ein Jahr verlängert werden und endet jetzt erst am 6. August 2022 (ABl. Bbg. Nr. 27 vom 14. Juli 2021, S. 595). Der neue Entwurf des Regionalplans Prignitz-Oberhavel – Sachlicher Teilplan „Windenergienutzung“ liegt derzeit zur Öffentlichkeitsbeteiligung aus.  

Regionale Planungsgemeinschaft Lausitz-Spreewald (betrifft die Landkreise Oberspreewald-Lausitz, Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Spree-Neiße und die Stadt Cottbus): Das bisherige Windkraft-Moratorium für die Region Lausitz-Spreewald endet am 7. Oktober 2022. Es ist davon auszugehen, dass die Regionale Planungsgemeinschaft von der Verlängerungsmöglichkeit Gebrauch machen wird.

Regionale Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim (betrifft die Landkreise Uckermark und Barnim): Nachdem das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den alten Regionalplan im März 2021 für unwirksam erklärt hatte, hat auch die RPG Uckermark-Barnim das Verfahren zur Neuaufstellung eines Regionalplans zur Steuerung der Windenergienutzung eingeleitet und die Planungsabsichten und voraussichtlichen Kriterien bekannt gemacht (ABl. Bbg. vom 28.7.2021, S. 629). Damit greift nun auch in dieser Region das Windkraft-Moratorium. Es endet voraussichtlich am 27. Juli 2023.

Regionale Planungsgemeinschaft Oderland-Spree (betrifft die Landkreise Märkisch-Oderland, Oder-Spree und die Stadt Frankfurt (Oder):  Gegen den geltenden Regionalplan Oderland-Spree sind mehrere Normenkontrollverfahren beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg anhängig. Eine Entscheidung wird für das 4. Quartal 2021 erwartet. Es ist davon auszugehen, dass auch in dieser Region im kommenden Jahr das Windkraft-Moratorium eingreifen wird.

Die Verlängerung des Windkraft-Moratoriums wird den Ausbau der Windenergie im Land Brandenburg zweifellos weiter bremsen. Der § 2c RegBkPlG bedeutet aber nicht, dass in Brandenburg in diesem und in den nächsten Jahren gar keine Windenergieanlagen errichtet werden können. Denn das Windkraft-Moratorium greift weder bei Windenergieanlagen, die schon vor Erlass des Windkraft-Moratoriums genehmigt worden sind und nunmehr errichtet werden, noch bei Windenergieanlagen, die auf der Grundlage der Festsetzungen eines wirksamen Bebauungsplans zulässig sind. Zudem sind für Einzelfälle auch Ausnahmen von dem Windkraft-Moratorium möglich, wenn die Genehmigung der Windenergieanlagen den in Aufstellung befindlichen Zielen der Raumordnung nicht entgegensteht oder wenn die geplanten Windenergieanlagen in einem künftigen Eignungsgebiet für die Windenergienutzung liegen, § 2 Abs. 2 RegBkPlG.

Dies erklärt, warum nach aktuellen Presseberichten trotz der schwierigen Rechtslage in Brandenburg im ersten Halbjahr 2021 bereits 40 neue Windenergieanlagen errichtet worden sind und damit deutlich mehr als im gesamten Jahr 2020. Brandenburg liegt damit beim Ausbau der Windenergie im bundesweiten Vergleich auf Platz 2. Mehr Windenergieanlagen wurden nur in Niedersachen errichtet. 

Ein erster Schritt zum Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos – Pflichten für Neubauvorhaben und für bestehende Gebäude nach dem neuen GEIG

Am 25. März 2021 ist das Gesetz zum Aufbau einer gebäudeintegrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur für die Elektromobilität, Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz – GEIG – in Kraft getreten. das sog.

Die Pflichten nach dem GEIG gelten für Wohngebäude und Nichtwohngebäude. Zu den Wohngebäuden zählen bspw. auch Wohn-, Alten- und Pflegeheime. Nichtwohngebäude erfassen alle anderen Arten von Gebäuden, die nicht dem Wohnen dienen, z.B. Läden, Gewerbe, Bürogebäude, Einkaufszentren, etc.

Die Pflichten nach dem GEIG treffen aber nicht jedes Wohn- und Nichtwohngebäude. Bei neu zu errichtenden Gebäuden gelten die Pflichten nur für Wohngebäude mit mehr als fünf Stellplätzen und für Nichtwohngebäude mit mehr als sechs Stellplätzen. Bei der Renovierung von bestehenden Gebäuden gilt das GEIG für Wohngebäude und für Nichtwohngebäude mit mehr als zehn Stellplätzen. Damit fallen bspw. Einfamilienhäuser nicht unters GEIG.

Bei Wohngebäuden, die in den Anwendungsbereich des GEIG fallen, muss jeder Stellplatz mit Leitungsinfrastruktur ausgestattet werden, also den vorbereitenden elektro- und datentechnischen Leitungen für die spätere Errichtung eines Ladepunktes. Bei Nichtwohngebäuden hingegen muss nur jeder dritte bzw. fünfte Stellplatz mit Leitungsinfrastruktur ausgestattet werden, aber dafür muss auch mindestens ein Ladepunkt errichtet werden.  

Bei bestehenden Gebäuden sollen die Pflichten aus dem GEIG im Rahmen einer größeren Renovierung eingreifen. Nach dem Gesetzeswortlaut soll eine größere Renovierung vorliegen, wenn mehr als 25% der Oberfläche der Gebäudehülle einer Renovierung unterzogen werden. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass davon Maßnahmen an solchen Bauteilen der Gebäudehülle erfasst werden sollen, durch die der Wärmeenergiebedarf des Gebäudes unmittelbar beeinflusst wird. D.h., betroffen sind davon vor allem Maßnahmen an der Außenwand oder am Dach. Eine entsprechende Maßnahme an der Außenwand soll danach bspw. die Erneuerung des Außenputzes der Fassade sein. Nicht erfasst werden sollen jedoch Maßnahmen wie lediglich ein Neuanstrich der Außenwand oder reine Putzreparaturen an beschädigten Stellen.

Das GEIG enthält zudem Sonderregelungen für gemischt genutzte Gebäude, Quartiere sowie Ausnahmeregelungen für Renovierungen, wenn die Kosten für die Maßnahmen nach dem GEIG einen bestimmten Prozentsatz der Gesamtkosten der Renovierung übersteigen.

Schließlich sieht das Gesetz Übergangsvorschriften für Vorhaben vor, für die der Bauantrag, der Antrag auf bauaufsichtliche Zustimmung oder die Bauanzeige vor dem Inkrafttreten des GEIG – also vor dem 25. März 2021 – erfolgt ist. Für diese Vorhaben gelten die Vorschriften des GEIG noch nicht. Dies gilt natürlich auch für nicht genehmigungsbedürftige Vorhaben, bei denen auf den Zeitpunkt des Beginns der Bauausführung abgestellt wird.

Eine Regelung zur behördlichen Zuständigkeit hinsichtlich der Überprüfung der Einhaltung der Pflichten nach dem GEIG enthält das Gesetz nicht. Der Sache nach dürfte die Zuständigkeit jedoch bei den Bauordnungsbehörden der Länder liegen und vor allem im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens relevant werden.

von Dr. Kristian Heise

Baulandmobibilisierungsgesetz tritt in Kraft

Das am 7. Mai 2021 vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz) wurde heute im Bundesgesetzblatt verkündet und tritt am 23. Juni 2021 in Kraft.

Mit den Änderungen im Baugesetzbuch (BauGB) sollen die Handlungsmöglichkeiten der Gemeinden im Bauplanungsrecht gestärkt werden. Unter anderem wird es zeitlich befristet wieder möglich sein, Bebauungspläne zur Schaffung von Wohnraum über § 13b BauGB auch unter Einbeziehung von Außenbereichsflächen im beschleunigten Verfahren (also ohne Umweltbericht) aufzustellen. Diese Verfahren müssen aber bis zum 31.12.2022 förmlich eingeleitet und der Satzungsbeschluss bis zum 31.12.2024 gefasst sein.

Zu den Änderungen und zur Gesetzesbegründung vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 19/24838 und 19/26023) sowie die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen vom 5.5.2021 (BT.-Drucks. 19/29396).

Das Gesetz zur Mobilisierung von Bauland vom 14. Juni 2021 finden Sie unter: https://www.bgbl.de.

Windenergie: finanzielle Anreize, die die Gemeinden kennen sollten

Zur Steigerung der Akzeptanz von Windenergieanlagen wurden in den letzten Jahren mehrere nicht zuletzt finanzielle Anreize für die Gemeinden geschaffen. So richtig rumgesprochen haben sich die Möglichkeiten aber offenbar noch nicht. Jedenfalls erreichen uns derzeit vermehrt Anfragen von Gemeinden, die wissen möchten, was und wieviel sie von Windenergieanlagenbetreiber verlangen können, wenn sie die Errichtung neuer Anlagen schon nicht verhindern können. Auf zwei Möglichkeiten möchten wir hier gern hinweisen:

1. Seit dem 1. Januar 2021 ermöglicht § 36k des Gesetzes für den Ausbau Erneuerbarer Energien (EEG 2021) den Gemeinden bundesweit eine finanzielle Beteiligung, wenn sich das Gemeindegebiet ganz oder teilweise innerhalb eines Umkreises von 2,5 km um die Windenergieanlage befindet.

Danach dürfen Windenergieanlagenbetreiber von Windenergieanlagen an Land, die einen Zuschlag für ihre Anlage nach dem EEG erhalten haben, den Gemeinden, die von den Windenergieanlagen betroffen sind, 0,2 Cent pro Kilowattstunde für die tatsächlich eingespeiste Strommenge und für die fiktive Strommenge einseitig als Zuwendung ohne Gegenleistung anbieten. Sind mehrere Gemeinden betroffen, ist die Höhe der angebotenen Zahlung pro Gemeinde anhand des Anteils ihres jeweiligen Gemeindegebiets an der Fläche des Umkreises aufzuteilen.

Wichtig ist, dass § 36k Abs. 1 EEG 2021 den Gemeinden keinen Anspruch gibt, sondern den Anlagenbetreibern nur die Möglichkeit eröffnet, den Gemeinden ein solches Angebot zu machen. Anlagenbetreibern, denen die Akzeptanz vor Ort am Herzen liegt, gehen auf die Gemeinden zu. Andere tun das derzeit noch nicht. Die Gemeinden sind daher gut beraten, von sich aus das Gespräch mit den Anlagenbetreibern zu suchen. In der Praxis ist häufig der Abschluss eines Nutzungsvertrages über gemeindliche Flächen (z.B. über die Zuwegung oder Kabelverlegung) oder Gespräche zu den Möglichkeiten von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vor Ort ein guter Zeitpunkt, die Zuwendung nach § 36k EEG 2021 zu fordern. Ist der Anlagenbetreiber dazu bereit, ist es wichtig, dies vertraglich festzuhalten, um als Gemeinde tatsächlich auch einen einklagbaren Anspruch auf die Zuwendung zu haben. Solche Verträge dürfen bereits vor der Genehmigung der Windenergieanlage nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz geschlossen werden, bedürfen gemäß § 36k Abs. 2 Satz 1 EEG 2021 aber in jedem Fall der Schriftform. Sollten Sie Unterstützung beim Vertragsentwurf benötigen, stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

2.  Unabhängig von der vorgenannten Möglichkeit haben Gemeinden im Umfeld von Windenergieanlagen – jedenfalls in Brandenburg – einen gesetzlichen Anspruch auf 10.000 Euro je Windenergieanlage und Jahr nach dem Windenergieanlagenabgabengesetz (BbgWindAbgG vom 19. Juni 2019, GVBl.I/19, Nr. 30).

Im Gegensatz zu dem freiwilligen Angebot nach § 36k EEG 2021 besteht nach § 1 Abs. 1 BbgWindAbgG für Betreiber von Windenergieanlagen, deren Anlagen nach dem 31. Dezember 2019 in Betrieb genommen worden sind, eine Pflicht zur Zahlung einer Sonderabgabe an anspruchsberechtigte Gemeinden.

Anspruchsberechtigt sind die Gemeinden im Land Brandenburg, deren Gemeindegebiet sich ganz oder teilweise in einem Radius von 3 km um den Standort der jeweiligen Windenergieanlage befindet. Sind mehrere Gemeinden pro Windenergieanlage anspruchsberechtigt, wird der Zahlungsanspruch unter den Gemeinden aufgeteilt und dabei die Anspruchshöhe pro Gemeinde anhand des Anteils des Gemeindegebietes an der Fläche des Umkreises, der sich um die Windenergieanlage befindet, zur Grundlage genommen. Dabei sind die Betreiber der zahlungspflichtigen Windenergieanlagen zur Ermittlung der anspruchsberechtigten Gemeinden und der Höhe des anteiligen Anspruchs pro Gemeinde verpflichtet. Die Sonderabgabe ist direkt an die anspruchsberechtigten Gemeinden zu zahlen.

Diese Mittel stehen den Gemeinden zwar nicht zur völlig freien Verfügung. Vielmehr sollen sie zweckgebunden für Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz für Windenergieanlagen verwendet werden. Der Katalog der möglichen Maßnahmen ist allerdings sehr weit gefasst.  Neben Maßnahmen zur Aufwertung des Ortsbilds und ortsgebundener Infrastruktur kommen auch Maßnahmen zur Förderung kommunaler Veranstaltungen, sozialer Aktivitäten oder Einrichtungen, die der Kultur, Bildung oder Freizeit dienen, oder unternehmerischer Tätigkeit in der Gemeinde in Betracht. Auch können die Mittel zur Bauleitplanung im Bereich der Erneuerbaren Energien genutzt werden. Einzige Bedingung: bei allen Maßnahmen soll für die Einwohner ein Bezug zu den aus der Windenergieerzeugung generierten Geldmitteln erkennbar sein. Dies dürfte durch das Aufstellen entsprechender Schilder ohne größere Probleme möglich sein.

Da seit Inkrafttreten des Windenergieabgabengesetzes 2019 wegen des Windkraftmoratoriums relativ wenige Windenergieanlagen neu errichtet worden sind, gibt es bisher auch nur wenige praktische Erfahrungen mit der Sonderabgabe. Erste Gemeinden überlegen aber schon sehr konkret, was sie mit dem Geld vor Ort machen könnten.  

In anderen Bundesländern gehen die Möglichkeiten zur Beteiligung an Windenergieanlagen zum Teil noch weiter. So zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz, BüGembeteilG M-V vom 18. Mai 2016). Danach bestehen mehrere Möglichkeiten der Beteiligung an Windenergieanlagen und zwar nicht nur für die Gemeinden, sondern auch unmittelbar für die Bürgerinnen und Bürger (z.B. ein vergünstigter Stromtarif oder der Kauf von Anteilen an der Betreibergesellschaft der Windenergieanlagen). Ob dieses Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Eine Verfassungsbeschwerde ist derzeit noch anhängig (Az. BVerfG – 1 BvR 1187/17). 

von Dr. Reni Maltschew und Dr. Kristian Heise

Rechtsschutz einer Gemeinde gegen eine Beanstandung durch den Landesdatenschutzbeauftragten

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat sich in einem Urteil vom 4. Februar 2020 (10 S 1082/19) zur grundsätzlichen Frage geäußert, welche Rechtschutzmöglichkeiten Gemeinden gegen Beanstandungen des Landesdatenschutzbeauftragten haben.

Die klagende Gemeinde sah sich in den Jahres 2016 bis 2018 mit insgesamt 177 Anträgen ein und desselben Antragstellers auf Akteneinsicht konfrontiert. Um die Flut von Anträgen zu bewältigen hatte die Gemeinde eine Beamtin im gehobenen Dienst eingestellt und sich ergänzende Hilfe eines Anwaltsbüros bedient. Da die Gemeinde einen erheblichen Teil der Anträge für offensichtlich rechtsmissbräuchlich hielt, ließ sie diese allerdings gänzlich unbeantwortet. Der Antragsteller wandte sich daraufhin an den Landesdatenschutzbeauftragten, der schließlich eine Beanstandung gegenüber der Gemeinde aussprach. Gegen diese Beanstandung erhob die Gemeinde Klage.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg sah die Klage – anders als das Gericht I. Instanz – als zulässig an. Die Klagebefugnis leite sich aus dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde ab, das durch die Beanstandung des Landesdatenschutzbeauftragten beeinträchtigt sein könne. Zulässige Klageart sei die Feststellungsklage, da nach der landesrechtlichen Ausgestaltung in Baden-Württemberg die Beanstandung des Landesdatenschutzbeauftragten eine bloße behördliche Wissenserklärung und nicht einen feststellenden Verwaltungsakt darstelle.

In der Sache wies der Verwaltungsgerichtshof die Klage allerdings zurück. Das durch den Antrag auf Akteneinsicht eingeleitete Verwaltungsverfahren müsse durch eine Entscheidung der Gemeinde beendet werden, behördliche Untätigkeit sei keine gesetzlich zulässige Verfahrensweise.

Die Entscheidungsgründe enthalten allerdings auch etwas Trost für die geplagte Gemeinde. Denn der Verwaltungsgerichtshof weist in einem obiter dictum darauf hin, vieles dafür spreche, dass die Akteneinsichtsgesuche rechtsmissbräuchlich waren. So lagen konkrete Anhaltspunkt vor, dass die Anträge nicht zum Zwecke der Informationserlangung gestellt wurden, sondern dem Ziel dienten, die Verwaltung zu lähmen bzw. Verfahren zu verschleppen und damit der Behördenblockierung dienten (behördenbezogener Missbrauch). Auch sah das Gericht deutliche Indizien für die sinnwidrige Instrumentalisierung des Informationsanspruchs zur Verfolgung verfahrensfremder bzw. -widriger Zwecke, insbesondere zur Generierung von Honoraransprüchen des Bevollmächtigten des Antragstellers (verwendungsbezogener Missbrauch). Schlussfolgerung: Die Akteneinsichtsanträge durften zwar nicht unbeantwortet bleiben, sie hätten aber als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen werden können.

Die Missbrauchskriterien dürften auch bei Auskunftsbegehren zu prüfen sein, die durch Rechtsvorschriften begründet werden, die den Versagungsgrund der missbräuchlichen Antragstellung – wie ihn § 9 Abs. 3 Nr. 1 IFG B-W regelt- nicht ausdrücklich normieren. Denn letztlich steht dahinter der allgemeine Rechtsgedanke von Treu und Glauben (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 12. Juli 2018 – 12 B 8/17).

Fortbildungen im Erschließungsbeitragsrecht Mai 2021

Zu aktuellen Fragen des Erschießungsbeitragsrecht wird Rechtsanwalt Dr. Ulrich Becker im Mai 2021 auf zwei Fortbildungsveranstaltungen des Bundesverbandes Wohnung und Stadtentwicklung (vhw) referieren.

1.      Mittwoch, 5. Mai 2021 – online 09:00 – 13:00 Uhr: Anlagenbestimmung und Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke

In dem ersten Halbtagsseminar werden Problemfälle bei der Bestimmung der beitragsfähigen Anlage anhand von Fallbeispielen erläutert. Wo beginnt und wo endet die Anlage nach der „natürlichen Betrachtungsweise“? In welchen Fällen muss aus rechtlichen Gründen von der natürlichen Betrachtungsweise abgewichen werden. Die Anlagenbestimmung ist der zentrale Ausgangspunkt für eine rechtssichere Beitragserhebung. Fehler, die hier gemacht werden, wirken sich regelmäßig auf die Rechtmäßigkeit der gesamten Beitragserhebung aus.

Ist die Anlage zutreffend bestimmt, muss in einem nächsten Schritt der Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke bestimmt werden. Dies ist das zweite Thema, das am 5. Mai anhand konkreter Beispiele aus der Praxis erörtert wird. Wann sind Anliegergrundstücke nicht beitragspflichtig? Wann gehören Hinterliegergrundstücke zum Kreis der in die Verteilung einzubeziehenden Flächen?

2.      Mittwoch, 19. Mai 2021 – online 09:00 – 13:00 Uhr: Erschließungsbeitragssatzung- Besteht Überarbeitungsbedarf?

Das zweite Halbtagsseminar ist satzungsrechtliche Fragen gewidmet. Nach der Abschaffung der Straßenbaubeiträge in Brandenburg (und auch in anderen Ländern) gerät zunehmend auch die Erhebung von Erschließungsbeiträgen unter Druck. Können Kommune durch Änderungen ihrer Erschließungsbeitragssatzungen dazu beitragen, die Akzeptanz von Erschließungsbeiträgen zu erhöhen. U.a. geht es um die Frage, ob und wenn ja, welche Elemente einer Anliegerbeteiligung in die Satzung aufgenommen werden könnten. Erörtert wird auch der Spielraum des Satzungsgebers, erweiterte Billigkeitsregelungen – etwa für einseitig anbaubare Straßen – in die Satzung aufzunehmen.

Zum Erschließungsbeitragsrecht ist Anfang 2021 ein neues Handbuch erschienen, an dem Herr Dr. Ulrich Becker als Mitautor beteiligt ist (Bitterwolf/Drescher/Thielmann (Hrsg.), Handbuch Erschließung und Erschließungsbeitragsrecht, 1. Auflage 2021, 720 Seiten -) .

Die Arbeitnehmereigenschaft von „Crowdworkern“ – Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 –

Die Digitalisierung erobert nach und nach auch den Arbeitsmarkt. Neue Arbeitsformen beschäftigen Gerichte und Politik. Ein heiß diskutiertes Thema ist dabei auch das sogenannte Crowdworking.

Crowdworker sind Personen, die über Online-Plattformen Aufträge generieren. Dies kann direkt über einen Vertrag zwischen Kunden und Crowdworker erfolgen, so dass der Plattformbetreiber letztlich nur Vermittler ist und die technische Infrastruktur zur Verfügung stellt, oder indirekt, indem der Crowdworker einen Vertrag mit dem Plattformbetreiber abschließt, in dessen Rahmen er dann den Auftrag durchführt, den der Kunde dem Plattformbetreiber erteilt. Die denkbaren Dienstleistungen sind vielfältig. Sie reichen von einfachsten Tätigkeiten wie dem Fotografieren von Warenauslagen über Botendienste bis zu anspruchsvollen Tätigkeiten wie dem Programmieren von Software. Je einfacher die Arbeit ist, desto eher stellt sich die Frage nach dem Schutz des Crowdworkers. Denn häufig erhalten solche Crowdworker nicht einmal mehr den Mindestlohn, haben keinen Kündigungsschutz und keine Urlaubs- oder Krankengeldansprüche. Wie viele solcher Soloselbstständigen über Online-Plattformen Aufträge generieren und wie schutzbedürftig diese im Einzelfall sind, ist nicht bekannt. Für viele ist es nur ein reiner Zuverdienst neben einer Haupttätigkeit. Viele leben aber auch von solchen Aufträgen.

Derzeit werden Crowdworker in der Regel als Selbstständige eingestuft. Begründet wird dies damit, dass Crowdworker völlig frei entscheiden dürfen, ob und welchen Auftrag sie annehmen. Crowdworker unterliegen keinen Weisungen und sind nicht in die betriebliche Organisation des Auftraggebers eingegliedert. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 2020 dieser pauschalen Betrachtung nun eine Absage erteilt und jedenfalls für den entschiedenen Fall festgestellt, dass es sich bei dem Crowdworker um einen abhängig beschäftigten Arbeitnehmer handelte. Der Crowdworker hatte in einem Zeitraum von elf Monaten 2978 Kleinstaufträge für die Beklagte, eine Crowdworking-Plattform, ausgeführt. Die Beklagte kontrollierte im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Crowdworker konnten über ihren Account auf der Online-Plattform Aufträge annehmen, ohne hierzu verpflichtet zu sein. Jedoch erhielten sie für erledigte Aufträge Erfahrungspunkte, die es ihnen ermöglichten, ein höheres Level zu erreichen und mehrere Aufträge gleichzeitig zu bearbeiten. Die Crowdworker konnten so die Touren selbstständig planen und Aufträge effizienter erledigen, was letztlich auch zu einem höheren Stundenlohn führte.

Nachdem es zu Problemen in der Zusammenarbeit gekommen war, teilte der Plattformbetreiber dem Crowdworker mit, ihm zukünftig keine Aufträge mehr zu vermitteln und seinen Account zu löschen. Der Crowdworker klagte daraufhin auf Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Nachdem die ersten beiden Instanzen die Klage abgewiesen hatten, war die Revision des Klägers beim Bundesarbeitsgericht erfolgreich. Das Bundesarbeitsgericht sieht durchaus die Indizien, die für eine Selbstständigkeit sprechen, kommt aber bei Gesamtwürdigung aller Umstände zu dem Ergebnis, dass die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung überwiegen. Ausschlaggebend war dabei neben der sehr genauen Vorgabe zum Inhalt des Auftrags vor allem die Gestaltung der Plattform und insbesondere das Bewertungssystem, das dem Crowdworker ermöglichte, durch Erreichen bestimmter Level mehr Aufträge gleichzeitig anzunehmen, um einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem sei der Kläger veranlasst worden, in dem Bezirk kontinuierliche Kontrolltätigkeiten zu erledigen. Er sei faktisch über die Beklagte gesteuert worden, sodass er infolgedessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht mehr habe frei gestalten können. Die Besonderheit liegt darin, dass das Bundesarbeitsgericht offenbar die psychische Beeinflussung des Crowdworkers durch ein solches System als maßgebliches Kriterium ausreichen lässt, um eine Weisungsgebundenheit zu begründen. Streng genommen müsste das dazu führen, dass ein Crowdworker, der dieser Versuchung standhält, nicht weisungsabhängig beschäftigt wird. Damit wird die Grenze zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit noch undeutlicher als sie ohnehin schon war.

Dennoch spricht weiterhin viel dafür, dass Crowdworker grundsätzlich als Selbständige zu behandeln sind. Allerdings sollten Auftraggeber von Crowdworkern angesichts der oben dargestellten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sorgfältig überlegen, wie sie ihre Plattform zukünftig gestalten und ob sie überhaupt Anreizsysteme zur Auftragsübernahme anbieten wollen.

Unabhängig davon könnte sich die Rechtslage zukünftig ohnehin zugunsten der Crowdworker ändern. Denn in der Politik werden die Stimmen lauter, die Soloselbstständige besser schützen wollen. So hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im November 2020 ein Eckpunktepapier „Faire Arbeit in der Plattform-Ökonomie“ veröffentlicht. Gefordert wird eine Beweiserleichterung bei der Klärung des Beschäftigungsstatus, eine Einbeziehung in das System der gesetzlichen Rentenversicherung, Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschutz und Urlaub sowie verbindliche Mindestkündigungsfristen. Mit einem konkreten Gesetzentwurf ist in dieser Legislaturperiode wohl aber nicht mehr zu rechnen.

Aktueller Stand des Mehrbelastungsausgleichs für die Abschaffung der Straßenbaubeiträge im Land Brandenburg

Mit Wirkung zum 1. Januar 2019 wurde die Erhebung von Straßenbaubeiträgen im Land Brandenburg abgeschafft. Für straßenbaubeitragsfähige Maßnahmen, bei denen die sachliche Beitragspflicht nicht bis zum 31. Dezember 2018 entstanden ist, dürfen die Kommunen in Brandenburg keine Straßenbaubeiträge mehr erheben. Der hierdurch den Gemeinden entstehende Einnahmeausfall wird durch Zahlungen des Landes an die Gemeinden kompensiert (sog. Mehrbelastungsausgleich). Die Grundlage hierfür bilden das Gesetz über den Mehrbelastungsausgleich für kommunale Straßenbaumaßnahmen und die Mehrbelastungsausgleichsverordnung für die Gemeinden infolge des Gesetzes zur Abschaffung der Beiträge für den Ausbau kommunaler Straßen (StraMaV).

Mittlerweile liegen erste Zahlen vor, in welchem Umfang die Abschaffung der Straßenbaubeiträge im Land Brandenburg den Landeshaushalt belastet:

  • Im Jahr 2019 leistete das Land insgesamt 31.246.862,35 Euro an Pauschalzahlungen an die brandenburgischen Gemeinden. Im Jahr 2020 belief sich die Summe der Pauschalzahlungen auf 33.757.519,50 Euro. Bemessungsmaßstab für die Pauschalzahlung ist die Länge des Gemeindestraßennetzes in der jeweiligen Kommune. Die höchste Pauschalzahlung erhielt die Landeshauptstadt Potsdam mit knapp 700.000 € für das Jahr 2020.

  • Hinzu kommen Erstattungszahlungen des Landes auf Antrag der Gemeinden gemäß § 3 StraMaV, deren Höhe die Landesregierung allerdings in eine Antwort auf eine Kleine Anfrage nicht beziffert hat. Mit den Erstattungszahlungen gleicht das Land die Beitragsrückzahlungen der Gemeinden an Bürger aus, die aufgrund der rückwirkenden Abschaffung der Straßenbaubeiträge notwendig geworden waren.

  • Schließlich lagen bis Ende 2020 Anträge auf Fehlbetragsausgleichszahlungen (§§ 4 bis 6 StraMaV) in Höhe von insgesamt 3.715.368,36 Euro beim zuständigen Landesamt für Bauen und Verkehr in Hoppegarten vor, von denen bislang gut 580.000,00 Euro bewilligt wurden. Ein Anspruch auf Fehlbetragsausgleich steht den Kommunen dann zu, wenn die Pauschalzahlungen nicht ausreichen, um den Wegfall der Straßenbaubeiträge zu kompensieren. Anders als die Pauschalzahlungen wird der Fehlbetragsausgleich nur auf ausdrücklichen Antrag gewährt.