Möglichkeit von Präsenzunterricht in Abschlussklassen im Land Berlin? Wer darf entscheiden?

Die Frage nach dem Für und Wider, Präsenzunterricht an den Schulen bei dem derzeitigen Pandemiegeschehen durchzuführen, bewegt die Gemüter. Für beide Positionen gibt es respektable Argumente. Nicht aus dem Blick verloren werden darf allerdings, dass die Entscheidung in einer Art und Weise getroffen werden muss, die den aktuellen rechtlichen Vorgaben entspricht.

Es erstaunt daher, dass in einer Presseerklärung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom 8. Januar 2021 mitgeteilt wird, dass ab Montag, dem 11. Januar 2021 die Schulleitungen in Abstimmung mit den Elternvertretungen und der Schulaufsicht entscheiden können, ob die Abschlussklassen im Wechselunterricht vor Ort in der Schule in kleinen Lerngruppen oder im schulisch angeleiteten Lernen zu Hause unterrichtet werden. Als Abschlussklassen gelten nach der Pressemitteilung die Jahrgangsstufe 10 an allen weiterführenden Schulen sowie die Jahrgangsstufe 12 an Gymnasien und Jahrgangsstufe 13 an Integrierten Sekundarstufen/Gemeinschaftsschulen. Parallel zu der Pressemitteilung erfolgte eine Information aller Schulleitungen im Land Berlin mit Schreiben der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom 8. Januar 2020, mit dem die Schulleitungen aufgefordert werden, bis spätestens 13. Januar 2021 eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Das Schreiben präzisiert, dass für die Entscheidung der Schulleitung das Einvernehmen der regionalen Schulaufsicht erforderlich ist.

Ganz so einfach dürfte es sich das Land Berlin bei dieser Entscheidung nicht machen. Auszugehen ist davon, dass an öffentlichen Schulen und Schulen in freier Trägerschaft derzeit grundsätzlich ein Verbot des Lehr- und Betreuungsbetriebs im Präsenz besteht, § 13 Abs. 3 Satz 1 SARS-CoV-2 Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (SARS-CoV-2-IfSV). Die Verordnung kennt Ausnahmen von diesem Verbot für

  • Prüfungen (§ 13 Abs. 5 SARS-CoV-2-IfSV) und
  • eine Notbetreuung § 13 Abs. 6 SARS-CoV-2-IfSV).

Darum geht es vorliegend allerdings nicht.

Mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-IfSV vom 6. Januar 2021 hat der Verordnungsgeber eine weitere Möglichkeit geschaffen. Ausnahmen von dem Verbot, den Lehr – und Betreuungsbetrieb in Präsenz durchzuführen, kann die für Bildung zuständige Senatsverwaltung zum Zwecke einer an das Infektionsgeschehen angepassten Wiederaufnahme des Lehr- und Betreuungsbetriebs in Präsenz bestimmen, § 13 Abs. 3 Satz 1 SARS-CoV-2-IfSV. Allerdings kann dies nur auf dem Weg einer durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 SARS-CoV-2-IfSV erlassenen Rechtsverordnung erfolgen. Ein ministerielles Schreiben, mit dem die entsprechende Entscheidung auf die Ebene der jeweiligen Schulleitungen delegiert wird, stellt keinen rechtlich zulässigen Weg dar, das grundsätzliche Verbot, Lehr – und Betreuungsbetrieb an Schulen in Präsenz durchzuführen, für Abschlussklassen außer Kraft zu setzen. Diese Entscheidung muss die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie im Einvernehmen mit der für Gesundheit zuständigen Senatsverwaltung im Verordnungsweg treffen.

Die im Schreiben der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom 8. Januar 2021 skizzierte Vorgehensweise mag von dem Bestreben geleitet sein, die Kompetenz der Schulen unter Mitwirkung (nicht: Mitentscheidung) der Elternschaft vor Ort zu stärken. Rechtskonform ist diese Verfahrensweise nicht.