Kein Angebotsausschluss mehr bei Änderungen an den Vergabeunterlagen, BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 – X ZR 86/17

Der Bundesgerichtshof hat in der erst vor kurzem veröffentlichten, wegweisenden Entscheidung für das Vergaberecht den häufig beanspruchten Ausschlussgrund der „Änderung an den Vergabeunterlagen“ im Wesentlichen abgeschafft. Hintergrund war ein Schadenersatzprozess eines wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen ausgeschlossenen Bieters.

Im Rahmen der Ausschreibung von Leistungen im offenen Verfahren hatte der später ausgeschlossene Bieter ein in den Vergabeunterlagen zugelassenes Kurztext-LV eingereicht. An dessen Ende waren die Preise zum endgültigen Brutto-Angebotspreis aufaddiert worden. Unterhalb davon war ein Zusatz aufgedruckt: „… zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“.

Dieser Zusatz wich von den Regelungen in § 8.2.a) der Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVBBau) ab, wonach die Schlusszahlung innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung fällig sein sollte.

Der Auftraggeber berief sich auf den Ausschlussgrund des § 16 EU Abs. 1b) i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A 2012, da der Zusatz des Bieters eine Änderung der Vergabeunterlagen beinhaltete.

Der BGH sah dies anders und gab dem Schadenersatzanspruch statt.

1.

In den zum Vertragsinhalt des Vertrages gewordenen Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen war eine sog. Abwehrklausel enthalten. In § 1.3 der ZVBBau war der Ausschluss sonstiger Bestimmungen und Regelungen zu den Vertragsbestandteilen vereinbart: „etwaige Vorverträge, unter § 1.2 nicht aufgeführte Unterlagen, Protokolle oder sonstige Korrespondenz im Zusammenhang mit dem Abschluss dieses Vertrages, insbesondere Liefer-, Vertrags- und Zahlungsbedingungen des AN sind nicht Vertragsbestandteil“.

Nach der Auffassung des BGH verhindert diese Klausel wirksam, dass vom Bieter formulierte abweichende Bedungenen Vertragsinhalt werden. Damit liegt nach Auffassung des BGH keine Änderung der Vergabeunterlagen vor, da solche Änderungen der Vergabeunterlagen infolge der Abwehrklausel nicht wirksam werden. Ein Ausschluss kann deshalb laut BGH nicht auf den Zusatz im Kurztext-LV gestützt werden.

2.

Der BGH sah den Ausschluss auch aus einem weiteren Grund als unberechtigt an. In dem vom Auftraggeber in den Vergabeunterlagen vorgegebenen Angebotsschreiben hatte der Bieter eine Erklärung durch seine Unterschrift bestätigt, dass „wir neben den oben genannten Angebotsinhalten keine eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Bestandteil unseres Angebots machen“. Die Abänderung des Bieters mit dem Zusatz in seinem Kurztext-LV würde eine abweichende Allgemeine Geschäftsbedingung darstellen. Diese Zahlungsbedingungen steht damit im Widerspruch zu der Erklärung im Angebotsschreiben. Nach Auffassung des BGH hätte der Auftraggeber deshalb zwingend vor einem möglichen Ausschluss gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A den Angebotsinhalt gemäß § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A aufklären müssen. Da der Auftraggeber dies nicht getan hatte, war der Ausschluss auch aus diesem Grund unzulässig.

3.

Darüber hinaus stellte der BGH in seiner Entscheidung klar, dass alle Klauseln eines Bieters, die zu den Vergabeunterlagen widersprüchlich sind, grundsätzlich als Missverständnis des Bieters ausgelegt werden müssten. Nach Auffassung des BGH wisse jeder Bieter, dass die Vergabeunterlagen in einem Vergabeverfahren nicht abgeändert werden dürfen. Sofern dies gleichwohl in einem Angebot erfolgt sei, würde dies auf einem Missverständnis des Bieters beruhen, dem der Bieter voraussichtlich von vornherein Rechnung getragen hätte, wenn ihm dies bewusst gewesen wäre. Einem unvoreingenommenen Auftraggeber muss sich nach Meinung des BGH die Möglichkeit aufdrängen, dass das Missverständnis der Verwendung einer abweichenden Geschäftsbedingung des Bieters auf einem Missverständnis beruht. Dieses Missverständnis muss der Auftraggeber deshalb ohne Verstoß gegen § 15 EU Abs. 1 Nr.1 VOB/B aufklären, wenn bei Verzicht auf die eigene Allgemeine Geschäftsbedingung des Bieters ein vollständig den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot vorliegt. Dem Bieter soll insoweit die Gelegenheit gegeben werden, von seinen beigegebenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen Abstand zu nehmen.

Anders soll es nach der Entscheidung des BGH nur dann sein, wenn der Bieter manipulative Eingriffe in die Vergabeunterlagen vorgenommen hat und bei dem Hinwegdenken dieser Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt. In diesen Fällen wird wohl ein Ausschluss weiterhin zulässig bleiben.

4.

Dem Schadenersatzanspruch des Bieters steht nach Auffassung des BGH auch nicht entgehen, dass der Bieter nach seinem Ausschluss im Vergabeverfahren kein Vergabenachprüfungsverfahren eingeleitet hat. Der Bieter hatte den Angebotsausschluss gerügt, was dem Auftraggeber gleichwohl nicht zu einer Rücknahme des Ausschlusses veranlasst hatte. Der BGH sah es in diesem Fall als nicht notwendig an, dass der Bieter zunächst das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren durchführt, um später seine Schadenersatzforderungen durchsetzen zu können. Der BGH begründet dies mit dem Fehlen einer dem § 839 Abs. 3 BGB entsprechenden Vorschrift im Vergaberecht. Gegenteiligen Meinungen in der vergaberechtlichen Literatur erteilte der BGH damit eine Absage.

Eine unterlassene Rüge kann unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens (§ 254 BGB) nur dann dem Schadenersatzanspruch entgegenstehen, wenn anzunehmen ist, dass der Auftraggeber den Ausschluss des Bieters auf der Grundlage dessen Rüge zurückgenommen hätte. Dies setzt eine tragfähige Begründung voraus. Eine solche Entschließung des Auftraggebers wird sich jedoch voraussichtlich kaum nachweisen lassen.