Labor lawBY Dr. Anja Böckmann
Von Vollzeit in Teilzeit und zurück?

Dies ist nun der zweite Beitrag unserer kleinen Reihe „Arbeitsrecht im Koalitionsvertrag“. Unbestritten ist eine der möglichen Ursachen der unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen der Umstand, dass es vor allem Frauen sind, die die Familienarbeit leisten und deshalb in Teilzeit gehen. 80 % der in Teilzeit arbeitenden Personen sind Frauen. Das bisherige Recht räumt zwar einen Anspruch auf Teilzeit ein. Aber außerhalb der maximal drei Jahre langen Elternzeit und einer Pflegezeit für Angehörige war dieser Teilzeitanspruch nur unbefristet zu haben. D.h. wer sich einmal über die Elternzeit hinaus für Teilzeit entschieden hatte, war in die so genannte Teilzeitfalle geraten, aus der es praktisch kein Entrinnen gab. Obwohl sich Union und SPD schon in der abgelaufenen Legislaturperiode im Grundsatz darüber einig waren, dass hier Handlungsbedarf besteht, scheiterte ein Gesetzesvorhaben für eine befristete Teilzeit in der Endphase der letzten großen Koalition. Insofern überrascht es nicht, dass das Thema in den Koalitionsverhandlungen wieder eine Rolle spielte und auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat.

Worauf haben sich die Koalitionsparteien nun vorläufig geeinigt?

Grundlage ist der ursprüngliche Gesetzentwurf der ehemaligen Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles mit folgenden Änderungen:

1. Es besteht kein Anspruch auf Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit oder vorzeitige Rückkehr zur früheren Arbeitszeit während der zeitlich begrenzten Teilzeitarbeit.

2. Der neue Teilzeitanspruch nach diesem Gesetz gilt nur für Unternehmen, die in der Regel insgesamt mehr als 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen.

3. Für Unternehmensgrößen von 46 bis 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird eine Zumutbarkeitsgrenze eingeführt, dass lediglich einem pro angefangenen 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anspruch gewährt werden muss. Bei der Berechnung der zumutbaren Zahlen an Freistellungen werden die ersten 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitgezählt. Bei Überschreitung dieser Grenze kann der Arbeitgeber einen Antrag ablehnen.

4. Der Arbeitgeber kann eine befristete Teilzeit ablehnen, wenn diese ein Jahr unter- oder fünf Jahre überschreitet. Die Tarifvertragsparteien erhalten die Möglichkeit, hiervon abweichende Regelungen zu vereinbaren.

5. Nach Ablauf der zeitlich begrenzten Teilzeitarbeit kann die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer frühestens nach einem Jahr eine erneute Verringerung der Arbeitszeit verlangen. Alle Mitarbeiter in kleineren Unternehmen gehen also leer aus. In großen Unternehmen ab 200 Mitarbeitern hat praktisch jeder Mitarbeiter ein Rückkehrrecht. Das klingt nachvollziehbar, haben doch größere Unternehmen mehr Arbeitsplätze und können daher flexibler reagieren. Aber selbst in sehr großen Unternehmen gibt es eine Vielzahl von Arbeitsplätzen, die derart spezialisiert sind, dass es nur eine sehr kleine Gruppe von vergleichbaren Mitarbeitern gibt, die anderweitig nicht eingesetzt werden können. Man denke z.B. an die IT-Abteilung in einem Krankenhaus. Wenn dort ein Mitarbeiter fünf Jahre in Teilzeit geht, wird man ihm den Arbeitsplatz irgendwie freihalten müssen; wahrscheinlich mit einem auf fünf Jahre befristeten Vertrag, der der Großen Koalition ja eigentlich auch ein Dorn im Auge ist.

In Unternehmen mit 46 – 200 Mitarbeitern könnte es einen interessanten Wettstreit geben. Denn was passiert, wenn mehrere Teilzeitanträge vorliegen, die nicht alle erfüllt werden müssen, weil mit nur einem Teil der Anträge die Quote erreicht wäre? Geht es dann nach dem Motto „first come, first serve“ oder spielen soziale Gesichtspunkte eine Rolle? Und was passiert, wenn gerade der letzte Pflichtantrag für einen/eine Alleinstehende/n genehmigt wurde, der sich mehr seinen Hobbies widmen möchte, und dann der Antrag eines/einer Alleinerziehenden mit drei Kindern kommt? Geht der/die dann leer aus? Steht er/sie wenigstens auf einer Warteliste, so dass er/sie dann auch als erstes dran ist, wenn die Arbeitnehmerzahl steigt oder ein befristeter Teilzeitler in die Vollzeit zurückkehrt? Und wer behält das alles im Auge?

Und hilft eine fünfj.hrige Befristung überhaupt, wenn es um Teilzeit zur Kinderbetreuung geht? Unter Berücksichtigung der Elternzeit müsste der Teilzeit arbeitende Elternteil spätestens dann für mindestens ein Jahr in Vollzeit zurückkehren, wenn das Kind acht Jahre alt ist. Das wird vielen zu früh erscheinen, steht doch der Wechsel in die Oberschule noch bevor und fangen für viele Eltern die Nachmittagschauffeurdienste erst an, wenn die Kinder in die zweite oder dritte Klasse gehen. Und was passiert, wenn die Pflichtquote von befristeten Teilzeitstellen nach diesem Jahr erfüllt ist und es keinen Anspruch auf Teilzeit gibt? Vielleicht führt das Gesetz ja dazu, dass sich beide Elternteile bei der Teilzeit abwechseln. Das wäre dann eine wirkliche Errungenschaft dieses Gesetzes.

Spannend ist auch die Frage, wie die Mitarbeiterzahl zu ermitteln ist. Zählen alle Arbeitnehmer nach Köpfen oder gibt es eine anteilige Berücksichtigung von Teilzeitmitarbeitern?

Der neue Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil hat sich beeilt und bereits Mitte April einen ersten Gesetzentwurf vorgelegt, der bereits zum 1. Januar 2019 in Kraft treten soll. Veröffentlicht ist er bislang nicht. Ob und wie also die oben angesprochenen Fragen beantwortet werden, ist noch nicht bekannt. Mindestens einen Streitpunkt gibt es aber schon. Laut Presseberichten sieht der Gesetzentwurf eine Umkehr der Beweislast vor, wenn ein Mitarbeiter von der unbefristeten Teilzeit in Vollzeit zurückkehren möchte. Bislang konnte das der Arbeitgeber mit der Begründung ablehnen, der in Teilzeit arbeitende Mitarbeiter sei weniger geeignet als der eingestellte Bewerber. Der in Teilzeit arbeitende Arbeitnehmer musste dann beweisen, dass dem nicht so ist. In der Praxis gelang das fast nie. Das soll jetzt umgekehrt sein, so dass der Arbeitgeber die bessere Eignung des Bewerbers darlegen und beweisen müsste. Dass das dem Arbeitgeber leichter fallen könnte als bislang dem Arbeitnehmer, darf bezweifelt werden. Diese Beweislastumkehr soll dann auch für alle Betriebe, unabhängig von ihrer Größe gelten. Sollte das so kommen, ist den Teilzeitarbeitnehmern damit vielleicht sogar mehr geholfen als mit der befristeten Teilzeit.