ArbeitsrechtVON Dr. Anja Böckmann
Ein Drink im Homeoffice kann gefährlich sein

Die Arbeitswelt 4.0 verändert unser aller Leben. Während Desk-Sharing und Co-Working-Spaces noch in den Kinderschuhen stecken, hält das Homeoffice immer stärker Einzug in den Arbeitsalltag. Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, größere Flexibilität und ein hohes Maß an Selbstbestimmung sind unbestreitbare Vorteile der Arbeit im Homeoffice. Die Nachfrage ist groß und hat nunmehr die ersten Politiker veranlasst, über eine Gesetzesinitiative für einen Anspruch auf Homeoffice nachzudenken. Den wenigsten Arbeitnehmern dürfte aber bewusst sein, dass die Arbeit im Homeoffice nach der derzeitigen Rechtslage zu einem deutlich geringeren Schutz in der gesetzlichen Unfallversicherung führt.

Verletzt sich ein Arbeitnehmer in den betrieblichen Räumen des Arbeitgebers oder auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, handelt es sich regelmäßig um einen Arbeitsunfall, dessen Folgen von der gesetzlichen Unfallversicherung gedeckt sind. Im Homeoffice gilt das nicht zwingend. So hat das Bundessozialgericht schon am 5. Juli 2016 (Az. B 2 U 5/15 R) entschieden, dass eine Arbeitnehmerin, die ihren Homeoffice-Arbeitsplatz in der oberen Etage des eigenen Wohnhauses verlassen hatte, um sich aus der einen Stock tiefer gelegenen Küche etwas zu trinken zu holen, auf dem Weg dorthin auf der Treppe ausrutschte und sich erhebliche Verletzungen zuzog, keinen Unfallversicherungsschutz hatte. Es handele sich nicht um einen Arbeitsunfall. Das Hinabsteigen der Treppe habe nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit gestanden. Die Arbeitnehmerin habe im Unfallzeitpunkt weder ihre Beschäftigung ausgeübt noch habe sie im Zusammenhang mit dieser einen Betriebsweg zurückgelegt. Vielmehr habe sie sich auf einem nichtversicherten Weg zum Ort der Nahrungsaufnahme befunden.

Unproblematisch zustimmen kann man dem Bundesozialgericht sicher darin, dass die Unterbrechung der Arbeit für eine Trinkpause keine Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt und sich der Unfall deshalb nicht in Ausübung der versicherten Beschäftigung ereignete.

Für viele überraschend war die Entscheidung deshalb, weil das Bundessozialgericht auch einen Wegeunfall ablehnte. Zu den Betriebswegen zählt jeder Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Dazu zählen nicht nur die Hin- und Rückfahrt zum und vom Betrieb nach Hause, sondern auch Wege im und außerhalb des Betriebs während einer Pause, um sich etwas zu essen oder trinken zu holen, die Toilette auszusuchen o.ä.. Das Bundessozialgericht zieht dabei aber eine deutliche Grenze zwischen dem häuslichen Bereich und dem versicherten Betriebsweg. Der Betriebsweg beginne grundsätzlich erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes. Diese Grenze sei im Interesse der Rechtssicherheit bewusst starr gezogen, weil sie an objektive Merkmale anknüpfe, die im Allgemeinen leicht feststellbar seien. Im Homeoffice könne ein Betriebsweg innerhalb des eigenen häuslichen Bereichs daher nur dann versichert sein, wenn der Beschäftigte diesen im unmittelbaren betrieblichen und nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse zurückgelegt habe. Hätte die Arbeitnehmerin also nicht den Arbeitsplatz verlassen, um etwas zu trinken, sondern um beispielsweise ein Arbeitsmittel aus dem unteren Stockwerk zu holen, wäre sie versichert gewesen, da sie dann in Ausübung ihrer Tätigkeit für den Arbeitgeber gehandelt hätte.

So verständlich das Interesse der Arbeitnehmer daran ist, während des ganzen Arbeitstages Versicherungsschutz zu genießen – und zwar auch im Homeoffice und während einer Trinkpause, so nachvollziehbar sind aber auch die Bedenken des Bundessozialgerichts zur Abgrenzung zwischen einem rein häuslichen, nicht gesetzlich versicherten Unfall und einem Arbeitsunfall. Denn das Homeoffice zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass der Arbeitnehmer den Arbeitstag jederzeit unterbrechen kann und darf, um sich privaten Tätigkeiten wie z.B. der Kinderbetreuung, dem Einkauf oder dem Haushalt zu widmen. Wäre jede dieser Tätigkeiten versichert, solange sich der Unfall nur zwischen der ersten Arbeitsaufnahme am Morgen und der letzten beruflichen Tätigkeit am Abend ereignete, so wäre das sicher zu weitgehend.

Aber was könnten taugliche Abgrenzungskriterien sein? Etwa die Dauer der Unterbrechung? Wohl eher nicht. Denn die Idee des Homeoffice wäre konterkariert, wenn der Arbeitnehmer immer mit der Stoppuhr überwachen müsste, wie lange er die Arbeit unterbricht. Und wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn sich der Unfall gleich zu Beginn der Unterbrechung ereignete, die Unterbrechung aber für mehrere Stunden geplant war. Auch die Art der Tätigkeit, für die der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit unterbricht, erscheint kein praktikables Abgrenzungskriterium. Denn wer soll entscheiden, welche Aktivitäten privilegiert sind – d.h. den Versicherungsschutz nicht unterbrechen – und welche nicht?

Solange weder Rechtsprechung noch Gesetzgeber sinnvollere Abgrenzungsmöglichkeiten finden, bleibt es dabei, dass im Homeoffice letztlich nur die berufliche Tätigkeit selbst bzw. alle Wege im Homeoffice, die im Rahmen der beruflichen Tätigkeit zurückgelegt werden, versichert sind und jede Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit für eine private Handlung auch den Versicherungsschutz unterbricht. Dass dabei dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist, liegt auf der Hand. Denn diese Abgrenzung führt dazu, dass der unredliche, informierte Arbeitnehmer immer behaupten kann, aus beruflichen Gründen den Arbeitspatz verlassen zu haben. Damit es dazu gar nicht erst kommt, ist allen Arbeitnehmern im Homeoffice zu empfehlen, vorsorglich eine private Unfallversicherung abzuschließen. Arbeitgeber sollten in der Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer zum Homeoffice auf das Risiko hinweisen, sind dazu aber wohl nicht verpflichtet.