ArbeitsrechtVON Dr. Ernesto Loh
Der Rechtsanwalt – persona non grata im Arbeitsgericht?

Vor den Arbeitsgerichten sind als Prozessbevollmächtigte oder Beistände
Rechtsanwälte und Personen, die das Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, ausgeschlossen; zugelassen sind jedoch Mitglieder und Angestellte wirtschaftlicher Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Arbeitnehmern oder von Verbänden solcher Vereinigungen (…)“

Das war vor weniger als 100 Jahren in Deutschland geltendes Recht, nachzulesen in § 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes von 1926. Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht sollten also die Parteien sich selbst vertreten oder aber Verbandsvertreter beauftragen. Wie sehr Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die Arbeitsgerichtsbarkeit als ihre Domäne ansehen, erkennt man daran, dass selbst beim Landesarbeitsgericht, das über Berufungen gegen Urteile des Arbeitsgerichts entscheidet, der Spruchkörper mit nur einem Berufsrichter besetzt ist und an den Urteilen außer ihm zwei ehrenamtliche Richter mitwirken – ein Arbeitgebervertreter und ein Arbeitnehmervertreter. Die ehrenamtlichen Richter haben gleiches Stimmrecht, könnten also – was allerdings nur höchst selten vorkommen wird – den Vorsitzenden überstimmen, der dann das Berufungsurteil so begründen muss, wie seine Beisitzer es für richtig hielten. Selbst beim Bundesarbeitsgericht, das als Revisionsinstanz vor allem für die Rechtskontrolle zuständig ist, wirken an den Urteilen zwei ehrenamtliche Richter mit – und da ein Senat des Bundesarbeitsgerichts mit drei Berufsrichtern besetzt ist, kann hier das Abstimmungsverhalten der Ehrenamtlichen von erheblich größerer Bedeutung sein.

Als 1953 ein neues Arbeitsgerichtsgesetz geschaffen wurde, traute sich der Gesetzgeber natürlich nicht, die Anwälte ganz von der Vertretung vor den Arbeitsgerichten auszuschließen. Immerhin wirkte die Regelung von 1926 noch nach. Denn in § 11 hieß es:

„Vor den Arbeitsgerichten sind als Prozeßbevollmächtigte oder Beistände
Rechtsanwälte nur zugelassen, wenn die Wahrung der Rechte der Parteien dies notwendig erscheinen läßt. Über die Zulassung entscheidet der Vorsitzende des Arbeitsgerichts. Beträgt der Streitwert mindestens dreihundert Deutsche Mark, so sind Rechtsanwälte zur Vertretung zugelassen.“


Die Vorschrift mag aus heutiger Sicht kurios erscheinen: Warum soll der Anwalt bei Bagatellstreitigkeiten nur mit Zustimmung des Gerichts auftreten dürfen, im Übrigen aber unbeschränkt? 1953 war aber ein Betrag von 300,00 DM keine Bagatelle: Nach den Angaben des Statistischen Bundesamts betrug 1953 der Monatslohn einer Frau 207,00
DM. Die Lohnentwicklung machte dann die 300-DM-Grenze immer mehr zur Farce und seit 1979 sind Rechtsanwälte uneingeschränkt zur Vertretung vor den Arbeitsgerichten zugelassen.

Die volle Sympathie genießen Rechtsanwälte aber immer noch nicht. Denn:„Im Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei (…) auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistandes.“ (§ 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG)

Wer sich beim Arbeitsgericht durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt und den Prozess gewinnt, muss also seinen Anwalt selbst zahlen. Erst ab der zweiten Instanz gilt der sonst dem deutschen Prozessrecht bekannte Grundsatz, dass der, der den Prozess verliert, der obsiegenden Partei die Kosten zu erstatten hat. Niemand ist bisher auf die Idee verfallen, dass derjenige, der noch bei Rot in eine Kreuzung fährt und dabei einen Unfall verursacht hat, zwar dem Geschädigten den Sachschaden am Fahrzeug zu erstatten hat, nicht aber die Anwaltskosten, die der Geschädigte aufzuwenden hatte.

Wenn es um die Frage geht, ob der Ausschluss der Anwaltskostenerstattung gerechtfertigt ist, wird geradezu gebetsmühlenhaft argumentiert, der Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber eine Kündigung erhalten hat oder der sich gegen eine Befristung zur Wehr setzt, solle nicht von der Erhebung einer Klage nur deswegen absehen, weil er Angst hat, dem Arbeitgeber die Kosten des von diesem beauftragten Anwalts erstatten zu müssen. Aber das stimmt hinten und vorne nicht. Sofern der Arbeitnehmer sich überhaupt Gedanken über die Prozesskosten macht, muss er ja berücksichtigen, dass er dann, wenn das Arbeitsgericht der Kündigungsschutz- oder der Entfristungsklage stattgegeben, auf die Berufung des Arbeitgebers das Landesarbeitsgericht die Klage aber abgewiesen hat, jedenfalls die in der Berufungsinstanz dem Arbeitgeber entstandenen Anwaltskosten erstatten muss – und die sind sogar höher als in der ersten Instanz. Im Übrigen hätte es genügt, wenn der Gesetzgeber für Bestandsschutzklagen eine Ausnahme geschaffen und nur hier bestimmt hätte, dass jeder Beteiligte seine Anwaltskosten selbst trägt. So war es früher im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt. Heute bestimmt § 81 Abs. 1 FamFG ganz allgemein, dass das Gericht „die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen“ kann. Ein solches gerichtliches Ermessen wäre ja auch im Kündigungsschutzprozess durchaus sinnvoll. Dann könnte das Arbeitsgericht die Kosten der erfolgreichen Klage dem Arbeitgeber aufbürden, wenn dieser der irrigen Meinung war, einem schwerbehinderten Arbeitnehmer ohne Zustimmung des Integrationsamts kündigen zu dürfen – wie umgekehrt der Arbeitnehmer, der während einer attestierten Arbeitsunfähigkeit im Konkurrenzbetrieb seines Sohnes tätig wurde, in dem seine Klage abweisenden Urteil verpflichtet werden könnte, die dem Arbeitgeber entstandenen Anwaltskosten zu erstatten. Keinesfalls rechtfertigt das, was – vielleicht – für den Bereich der Kündigung oder der Befristung gilt, ganz allgemein auf andere Bereiche zu übertragen und auch dort von einer Kostenerstattung abzusehen. Warum soll der Betriebsrentner, der um die Erhöhung seiner ohnehin geringen Rente kämpft, von dem, was er erhält, einen Teil an seinen Anwalt zahlen, wenn seine Klage Erfolg hat? Warum soll der Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer einen PKW nur zur dienstlichen Benutzung überlassen hat, auf den Kosten seines Anwalts sitzen bleiben, wenn der Arbeitnehmer den PKW bei einer privaten Spritztour zu Schrott gefahren und das Arbeitsgericht den Arbeitnehmer verurteilt hat, den Schaden zu ersetzen?

Wie man es dreht und wendet: Wenn die Anwälte von der Vertretung vor den Arbeitsgerichten schon nicht ausgeschlossen werden können, will man ihnen doch das Leben ein wenig erschweren. Denn möglicherweise lässt sich durch die zitierte Regelung diese oder jene Prozesspartei veranlassen, statt eines Anwalts einen Verbandsvertreter zu beauftragen – womit wir wieder im Jahr 1926 angelangt wären.