Das Gesetz gibt dem Arbeitnehmer mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Zeugnisanspruch (§ 109 GewO). Auch im laufenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer aus begründetem Anlass ein Zwischenzeugnis verlangen. In beiden Fällen unterscheidet man zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Zeugnis. Das einfache Zeugnis bescheinigt nur, dass der Mitarbeiter für den Arbeitgeber in einem bestimmten Zeitraum mit näher beschriebenen Aufgaben tätig war. Das qualifizierte Arbeitszeugnis enthält auch eine Beurteilung zu Führung und Leistung des Arbeitnehmers und entspricht dem, was heute allgemein von einem Arbeitszeugnis erwartet wird.
Wie ein qualifiziertes Zeugnis auszusehen hat, ist gesetzlich nicht näher geregelt. Zensuren wie in der Schule werden jedenfalls nicht vergeben. Vielmehr handelt es sich um eine verbale Beurteilung, wie man sie aus der ersten oder zweiten Klasse kennt. Da hängt es dann weitgehend von den individuellen Formulierungskünsten der Personalabteilung ab, wie ein Zeugnis letztlich aussieht. Viele Firmen richten sich dabei nach festen Mustern, so dass sie alle mehr oder weniger gleich klingen.
Fest steht, dass ein Zeugnis dem weiteren beruflichen Werdegang des Arbeitnehmers nicht schaden darf. Zu viel Wirklichkeit gehört also nicht unbedingt in ein Zeugnis. Und so hält sich schon seit Jahren das Gerücht, es gebe Geheimcodes, mit denen man besonders schlimme Verfehlungen und/oder Charaktereigenschaften eines Arbeitnehmers in blumigen Worten umschreiben könne und jeder Arbeitgeber verstehe diese Sprache.
Aber ist das auch so?
Richtig ist, dass es eine von der Rechtsprechung geprägte Zeugnissprache gibt, die jedoch in erster Linie die Beurteilung von Führung und Leistung erfasst. So wird eine befriedigende Leistung mit „zu unserer vollen Zufriedenheit“ oder „stets zu unserer Zufriedenheit“ ausgedrückt. Eine gute Leistung entspricht z. B. der Formulierung „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“. Eine weitere Steigerung erscheint sprachlich schwierig.
Spätestens bei der sehr guten Leistung kommt man daher um das grammatikalisch eindeutig falsche „vollste“ nicht mehr herum. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das aber hinzunehmen, da sich diese Formulierung in der Zeugnisanwendung bewährt habe (BAG Urteil v. 23.09.1992 – 5 AZR 573/91). Ähnliche Standardformulierungen gibt es für die Verhaltensbeurteilung.
Danach wird es undurchsichtig. Als Faustformel gilt je mehr „stets“, „immer“, „jederzeit“ etc. ein Zeugnis enthält, desto besser auch die Beurteilung.
Und was ist nun mit den Geheimcodes?
In einschlägigen Internetportalen findet man regelrechte Lexika, die einem angeblich verraten, bei welchen Formulierungen Arbeitnehmer misstrauisch werden sollten. Diese sollte man aber mit Vorsicht genießen. So findet man beispielsweise im Internet für die Formulierung „Er zeigte reges Interesse an seiner Arbeit“ die Interpretation, der Mitarbeiter habe Interesse, aber keinen Erfolg gehabt. Das ist insbesondere dann abwegig, wenn dem Mitarbeiter an anderer Stelle sogar ausdrücklich bescheinigt wird, dass er erfolgreich gewesen sei. Dem Landesarbeitsgericht Hamm war es zu verdanken, dass jahrelang die Verwendung der Formulierung „wir haben den Mitarbeiter als (…) kennengelernt“ streng verpönt war. Der Gebrauch des Wortes „kennengelernt“ drücke stets das Nichtvorhandensein der im Kontext aufgeführten Fähigkeit oder Eigenschaft aus (LAG Hamm Urteil vom 28.03.2000 – 4 Sa 648/99). Dem konnte sich das Bundesarbeitsgericht 10 Jahre später nicht anschließen. Eine derartige Bedeutung sei dem Wort „kennengelernt“ nicht beizumessen. Daran ändere auch die vereinzelte Meinung eines Landesarbeitsgerichts nichts (BAG Urteil vom 15.11.2011 – 9 AZR 386/10). Manche Arbeitnehmer leiden regelrecht unter Verfolgungswahn. So musste sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Ende letzten Jahres damit auseinandersetzen, ob das Zusammentackern einzelner Zeugnisseiten ein Geheimcode sei. Dies hat es glücklicherweise verneint (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.11.2017, Az. 5 Sa 314/17).
Bei Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitgeber in blumiger Sprache etwas Negatives vermitteln möchte, helfen weniger aus dem Zusammenhang gerissene Formulierungen, sondern in der Regel eine sorgfältige Prüfung dahingehend, ob das Zeugnis den Eindruck vermittelt, der Arbeitnehmer sei im Versuch stecken geblieben – weil zum Beispiel nichts zu den Ergebnissen gesagt wird – oder Eigenschaften attestiert werden, die für Arbeitnehmer und/oder die jeweilige Position eher unpassend sind. Dabei ist immer das gesamte Zeugnis und nicht nur einzelne Formulierungen zu beachten.
Aber wird einem Arbeitnehmer heute nicht immer eine gute Leistung attestiert?
Tatsächlich musste sich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und ihm folgend auch das Bundesarbeitsgericht mit der Frage beschäftigen, was heute ein durchschnittliches Zeugnis ist. Diese Frage ist für die Beweislastverteilung in einem Zeugnisrechtsstreit von großer Bedeutung. Für eine überdurchschnittliche Beurteilung ist nämlich der Arbeitnehmer darlegungs- und beweisbelastet, eine unterdurchschnittliche Beurteilung muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen. Beides ist erfahrungsgemäß kaum möglich. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat in seiner Entscheidung vom 21. März 2013 – 18 Sa 2133/12 – anhand von Statistiken nachgewiesen, dass gegenwärtig im Durchschnitt eher gute Zeugnisse erteilt werden, und wollte die Beweislastverteilung entsprechend anpassen, so dass schon eine befriedigende vom Arbeitgeber dargelegt und bewiesen werden müsste. In der Folge hätte jeder Arbeitnehmer im Zweifel ein gutes Zeugnis verlangen können, da kaum ein Arbeitgeber Lust auf einen Zeugnisrechtsstreit hat. Dies hätte dann dazu geführt, dass alle Arbeitnehmer, denen man etwas Gutes tun möchte oder die sich aus der Masse hervorheben, ein sehr gutes Zeugnis bekommen hätten. Das hätte den Durchschnitt dann noch weiter nach oben verschoben, so dass man über kurz oder lang nur noch sehr gute Zeugnisse gefunden hätte. Dieses Problem hat das Bundesarbeitsgericht erkannt und das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 18. November 2014 – 9 AZR 584/13 – aufgehoben. Danach ist eine durchschnittliche Leistung weiterhin ein „befriedigend“.
Ein weiterer Streitpunkt ist die jeweilige Schlussformel eines Zeugnisses. So findet sich in aller Regel ein Schlusssatz, mit dem der Arbeitgeber sein Bedauern über das Ausscheiden ausdrückt, dem Arbeitnehmer dankt und für den weiteren Berufs- und Lebensweg alles Gute und viel Erfolg wünscht. Fehlt ein solcher Satz, ist das jedenfalls auffällig. Dennoch hält das Bundesarbeitsgericht an seiner Rechtsprechung fest, dass es keinen Anspruch auf Dank, Bedauern und gute Wünsche gebe (BAG, Urteil vom 11.12.2012 – 9 AZR 227/11).
Was sagt das alles nun über den Aussagegehalt von Zeugnissen?
Ein nur befriedigendes und ohne Dankes- und Wunschformel formuliertes Zeugnis deutet in aller Regel darauf hin, dass man nicht im Einvernehmen auseinandergegangen ist und/oder der Mitarbeiter nicht gerade zu den Stützen des Unternehmens gezählt hat. Aber es bleibt ein „und/oder“. Und niemand weiß, was zu einem etwaigen Zerwürfnis geführt hat, geschweige denn, wer das zu verantworten hatte. Auch dieser Mitarbeiter kann ein Gewinn für einen neuen Arbeitgeber sein. Ein sehr gutes oder gutes Zeugnis kann ernst gemeint sein, kann aber auch reine Gefälligkeit anlässlich der Trennung von einem besonders schwierigen Mitarbeiter gewesen sein. Gerade im Zusammenhang mit gerichtlichen Vergleichen oder Aufhebungsverträgen ist das allgemein üblich.
Man sollte den Zeugnisbeurteilungen daher keine allzu große Bedeutung mehr beimessen. Wichtiger wäre es für neue Arbeitgeber zu wissen, was ein Mitarbeiter tatsächlich gemacht hat. Hierfür reicht ein einfaches Zeugnis aus. Dabei kann auch angegeben werden, ob der Mitarbeiter diese Aufgaben selbstständig, im Team oder unter Anleitung gemacht hat. Bei Führungskräften kann dargestellt werden, für wie viele Mitarbeiter der Arbeitnehmer zuständig war und ob und ggf. welche Budgetverantwortung er hatte. Derartige Aussagen können völlig objektiv getroffen werden, führen zu weniger Arbeitsaufwand in der Personalabteilung und sind angesichts der dargestellten Entwicklungen nicht weniger aussagefähig wie die derzeit üblichen qualifizierten Zeugnisse. Da einfache Zeugnisse in aller Regel kürzer sind, wird auch weniger Papier verschwendet.