Labor lawBY Dr. René Weißflog
Was lange währt, wird endlich gut? Arbeitsrecht im Spiegel des Koalitionsvertrages

“Wenn inzwischen fast jede zweite Neueinstellung befristet ist, läuft etwas gehörig schief” – so der Kanzlerkandidat der SPD in der heißen Phase des Wahlkampfes gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Gerade hatte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit aktuelle Zahlen zum Anteil befristeter Arbeitsverträge bei Neueinstellungen geliefert: 45 % im Jahr 2016! Mit einer (wohlkalkulierten?) öffentlichen Empörung war damit ein wesentliches Thema für die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD gesetzt. Angeheizt wurde die öffentliche Debatte um weitere Berichte zu unhaltbaren Zuständen schier endloser Befristungsketten. Prekäre Verhältnisse im deutschen Arbeitsrecht!

Tatsächlich? Ein Blick in den IAB-Bericht „Befristungen bei Neueinstellungen“ vom 21. Februar 2018 offenbart, dass die Anteile der Befristungen bei Neueinstellungen in den letzten Jahren relativ stabil zwischen 41 und 52 % gelegen haben. Differenzierte Daten zu Gründen für diese Befristungen oder zum Anteil der sachgrundlosen Befristungen wurden offenbar nicht erhoben. Das IAB hatte sich jedoch in einem Forschungsbericht aus dem Jahr 2015 ausführlich mit der Befristungspraxis im öffentlichen Dienst auseinandergesetzt, dazu verschiedene Daten ausgewertet und auch eine eigene Befragung durchgeführt. Die Studie liefert u.a. folgende aufschlussreiche Ergebnisse:

– Der Anteil befristet beschäftigter Arbeitsverhältnisse in der Privatwirtschaft lag im Zeitraum 2004 bis 2014 zwischen 4,8 und 6,7 %, im öffentlichen Dienst (ohne Wissenschaft) zwischen 6,2 und 8,5 % und in der Wissenschaft zwischen 25,7 und 37,0 %. Letzteres ist kein Skandal, sondern vor allem das Ergebnis der vom Gesetzgeber gewollten – und auch sinnvollen – befristen Beschäftigung in den ebenfalls zeitlich begrenzten Qualifikationsphasen der Promotion und Habilitation.

– Der Anteil sachgrundloser Befristungen an allen Befristungen ist zwar im öffentlichen Dienst zwischen 2004 und 2013 erheblich angestiegen, und zwar von 17,5 auf 35,7 %. Da sich der gesamte Befristungsanteil nicht in gleicher Weise erhöht hat, lässt sich dieser Effekt möglicherweise dadurch erklären, dass die öffentlichen Arbeitgeber der Empfehlung ihrer Berater gefolgt und, – wo möglich – anstelle eine Sachgrundbefristung vereinbart zu haben, auf die sachgrundlose Befristung ausgewichen sind.

So reibt man sich verwundert die Augen, wie es dazu kommen konnte, dass befristete Arbeitsverhältnisse – und hierbei vor allem die sachgrundlosen Befristungen – die Koalitionsverhandlungen in die Verlängerung geschickt haben.

Was aber ist nach zähem Ringen herausgekommen? Ein Kompromiss, der den Arbeitsrechtler schaudern lässt – auch angesichts der markigen Worte, mit denen er eingeleitet wird (Rdnrn. 2336 – 2345):

Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen. Deshalb dürfen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen. Die Quote ist jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen.

Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig, bis zu dieser Gesamtdauer ist auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich.

Hurra, ein neuer Schwellenwert: Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten! Wir dürfen gespannt sein, wie gezählt wird: Nach Köpfen, nach Vollzeit-Äquivalenten oder aber mit einer speziellen Umrechnungsvorschrift wie in § 23 KSchG? Zählen nur die eigenen Arbeitnehmer oder auch Leiharbeitnehmer, deren Vertragsverhältnisse der Arbeitgeber im Zweifel nicht kennt? Und woher weiß der befristet eingestellte Arbeitnehmer, ob sein Vertrag die magische Grenze von 2,5 % übersteigt? Der Arbeitgeber wird es ihm nicht sagen und wenn er’s denn sagt, wird ihm der Arbeitnehmer nicht glauben. Wie dem auch sei: Der zu Rate gezogene Fachanwalt für Arbeitsrecht wird dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer zur Erhebung einer Befristungskontrollklage raten, die Rechtschutzversicherung zahlt. Der Arbeitgeber kann dann im Prozess fein säuberlich sämtliche bestehenden befristeten Arbeitsverträge ausbreiten und dazu Beweis antreten. Nur wie? Aus der Befristungsabrede selbst ergibt sich ja nur in den seltensten Fällen, ob der Arbeitsvertrag sachgrundlos oder mit Sachgrund abgeschlossen wurde. Das geltende TzBfG kennt auch kein Zitiergebot. Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Arbeitgeber noch nicht einmal verpflichtet, seinem Betriebsrat bei der Einstellung eines befristet beschäftigten Arbeitnehmers mitzuteilen, ob die Befristung mit oder ohne Sachgrund erfolgt ist – und wenn ja, mit welchem (Beschluss vom 27. 10. 2010 − 7 ABR 86/09). Fragen über Fragen, welche die zuständigen Referenten im BMAS, die möglicherweise bereits an einem Gesetzentwurf feilen, in den nächsten Wochen beschäftigen werden.

Was hat das Vorhaben nun mit einem Missbrauch von sachgrundlosen Befristungen zu tun, den es einzudämmen gilt? Waren vielleicht einige Fälle von Sachgrundbefristungen gemeint, die in den vergangenen Jahren tatsächlich durch missbräuchliche Auswüchse (insbesondere im öffentlichen Dienst, vgl. etwa BAG vom 18.7.2012, 7 AZR 443/09: 13 Befristungen in elfeinhalb Jahren in der Justizverwaltung Nordhein-Westfalens) aufgefallen sind? Egal, jetzt wird endlich regiert. Und um Kettenbefristungen kümmern wir uns in einem der nächsten Blog-Beiträge.