

Das Verwaltungsgericht Potsdam setzt enge Grenzen für einen Verzicht auf öffentliche Abgaben
Seit längerem sind Bestrebungen in den Brandenburger Kommunen zu beobachten, die Beitragslast für die Anlieger bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen zu reduzieren. Zu einem solchen Modell hat sich jetzt die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Potsdam in einem Urteil vom 17. April 2025 – VG 1 K 404/22 – geäußert. Das Urteil enthält aber nicht nur interessante Aussagen zur „Beitragsdämpfung“ im Erschließungsbeitragsrecht, sondern beschäftigt sich auch mit den haushaltsrechtlichen Voraussetzungen für einen Verzicht auf öffentliche Einnahmen und weist damit über den entschiedenen Fall deutlich hinaus.
Gegenstand der Entscheidung war eine kommunalaufsichtsrechtliche Entscheidung, zu einer Änderung der Erschließungsbeitragssatzung einer brandenburger Kommune. Unter der Überschrift „Beitragsdämpfung“ sollte der ermittelte Beitragssatz oberhalb eines in der Satzung festgelegten Betrages in 2 Stufen auf 70 % und darüber hinaus auf 30 % reduziert werden. Dies war vom Bürgermeister beanstandet worden. Der Landkreis hatte diese Entscheidung bestätigt.
Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die „Beitragsdämpfung“ ist nach Ansicht des Gerichts aus zwei Gründen rechtswidrig:
1. Das Gericht sieht darin eine unzulässige pauschale Härtefallregelung, die ohne einen Bezug zum Nutzungsvorteil der jeweiligen Erschließungsanlage stehe. Dabei wird zwar ein Ermessensspielraum der Gemeinden anerkannt, den gesetzlich vorgesehene Mindestanteil von 10 v.H., den die Gemeinde an den Erschließungskosten zu tragen hat, zu erhöhen. Dies müsse aber einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet erfolgen, also insbesondere ohne Rücksicht darauf, welche Kosten bei bestimmten Erschließungsanlagen anfallen.
Das Urteil folgt sodann der in der Literatur vertretenen Meinung darin, dass der Gemeindeanteil über den Mindestanteil nach § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet oder für bestimmte Arten von Erschließungsanlagen erhöht werden kann. Kommunen in Brandenburg, die diesen Weg gewählt haben, befinden sich danach also insoweit auf der sicheren Seite.
Damit verknüpft das Gericht aber die Pflicht zur Beitragserhebung und folgert daraus ein Gebot zur Gleichbehandlung der Grundstückseigentümer im Gemeindegebiet. Davon könne zwar nach § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB in atypischen Einzelfällen zur Vermeidung unbilliger Härten abgewichen werden. Eine pauschale Minderung des Beitrags bei Überschreiten bestimmter Grenzen aus Billigkeitsgründen – wie hier – sei aber nicht zulässig.
2. Die „Beitragsdämpfung“ verstoße aber auch gegen haushaltsrechtliche Vorgaben. Diese entnimmt das Gericht dem hier anzuwendenden § 64 BbgKVerf a.F., die in der Neufassung des Gesetzes vom 5. März 2024 in § 63 und § 76 Abs. 1 BbgKVerf zu finden sind.
In § 64 Abs. 1 BbgVerf a.F. sieht das Gericht eine Rangfolge für die Finanzierung, wonach für spezielle öffentlichen Leistungen vorrangig Gebühren und Beiträge erhoben werden sollen, bevor auf Steuern zurückgegriffen werden darf. Zwar erkennt das Gericht die Einschränkung dieser Rangfolge durch den Einschub im Gesetz „soweit vertretbar und geboten” an. Der darin begründete Gestaltungsspielraum der Gemeinde sei hier aber verletzt, weil die pauschale Erhöhung des Gemeindeanteils aus Billigkeitsgründen die Grenzen des Abgabenrechts verletze und damit nicht vertretbar sei. Die Dämpfung sei auch nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen geboten, da es zulässig gewesen sei, einen höheren Gemeindeanteil einheitlich für das gesamten Gemeindegebiet festzusetzen.
Schließlich sieht das Gericht in der Dämpfung auch einen Verstoß gegen § 64 Abs. 3 BbgKVerf a.F.. Der teilweise Verzicht auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen widerspreche der darin festgeschriebenen Nachrangigkeit der Kreditaufnahme als Finanzierungsmöglichkeit, denn die Kommune hatte im maßgeblichen Zeitraum Investitionskredit in Anspruch genommen. Dies sei nur dann gestattet, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre. Diese Ausnahme greife aber nicht, wenn gleichzeitig auf kommunale Beiträge verzichtet werde. Die Kommune schöpfe ihre Möglichkeiten zur Erzielung finanzieller Mittel nicht aus.
Darin liegt die eigentliche Brisanz der Entscheidung, denn der Gedanke würde auch greifen, wenn eine Gemeinde ihren Anteil in der Satzung generell erhöhen würde, was das Gericht im Grundsatz für zulässig erachtet, obwohl gleichzeitig Investitionskredite aufgenommen werden. Sie wäre nach Auffassung des Gerichts in dieser Haushaltslage also verpflichtet, den gesetzlich zulässigen Anliegeranteil an den Erschließungskosten von 90 v.H. auszuschöpfen.
Diese Verpflichtung wäre aber nicht auf das Beitragsrecht beschränkt. Unzulässig wäre nach dieser Rechtsprechung beispielsweise auch die Festsetzung unterdurchschnittlicher Hebesätze bei der Grund- oder Gewerbesteuer, wenn Investitionskredite in Anspruch genommen werden.
Es wird zu beobachten sein, ob das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg diese strenge Auslegung der haushaltsrechtlichen Vorschriften teilt. Das Verwaltungsgerichts Potsdam hat die Berufung gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.